Weitaus weniger erfreulich war für Ria die Bekanntschaft mit dem Sohn des Kaiserpaares. Miro sah zwar ebenso gut aus wie seine Eltern, doch konnte sie darüber hinaus keine Ähnlichkeit feststellen. Ständig hielt er sich in ihrer Nähe auf und versuchte herauszufinden, warum sie jetzt im Palast wohnte und nicht mehr bei ihrem Mann. Als sie unmissverständlich klargemacht hatte, dass ihn das nichts anging, war er dazu übergegangen, sie über ihre Art auszufragen. Am liebsten hätte sie ihn endgültig zum Schweigen gebracht.
Mit wachsender Besorgnis beobachtete der Kaiser die immer größer werdende Anspannung zwischen den beiden. Ihm war klar, dass Ria sich nur deshalb zurückhielt, weil Miro sein Sohn war. Doch so sehr sie ihn ignorierte, es gab gewisse Gelegenheiten, da konnte sie es nicht. Besonders dann wurde ihre Abneigung seinem Sohn gegenüber deutlich.
Daher nahm er nach einer Besprechung seinen möglichen Nachfolger beiseite. Erst als alle anderen den Raum verlassen hatten, sprach er an, was ihm auf der Seele lag. „Wenn das so weiter geht, überlebt einer der beiden den nächsten Monat nicht."
Eleasar sah aus dem Fenster und hatte nur Augen für seine Frau. Ria spielte draußen im Garten mit einem kleinen Kind fangen. „Meinst du, sie ist dazu bereit?"
Raphael trat neben ihn und musterte ebenfalls die schwarzhaarige junge Frau. „Sie braucht Abstand zu meinem Sohn. Du bist der Experte, wenn es um Heilung seelischer Wunden geht." Vertrauensvoll legte er ihm eine Hand auf die Schulter. „Ria ist wie eine Tochter für mich. Ich würde sie dir nicht überlassen, hätte ich den Eindruck, es ginge erneut schief." Je mehr er in den vergangenen Wochen über das Mädchen gelernt hatte, desto mehr war sie ihm ans Herz gewachsen. Dass sie Vollwaise war, verstärkte seine väterlichen Gefühle für sie nur umso mehr.
Der Prinz nickte und wandte sich vom Fenster ab. „Ich werde sie fragen." Er schnappte sich seine Jacke und schickte sich an, den Raum zu verlassen, als der Kaiser ihn zurückrief.
„Ach, Eleasar." Er hielt inne und drehte sich um. Kaum merklich nickte Raphael zu Ria. „Was ist eigentlich mit ihrer Schwester?"
Ein dunkler Schatten wanderte über sein Gesicht. Dann warf er sich mit angespannten Bewegungen seine Jacke über und antwortete knurrend: „Tatsächlich ihre Schwester. Hoffen wir, dass Sem diese Verbindung nicht zu nutzen gedenkt."
Mahnend hob der Herrscher eine Hand. „Erkläre ihm nicht den Krieg, nur weil er über deine Frau an mich heran kommen möchte."
Sein Schützling nickte knapp. „Ich möchte Ria zu meinem Vater mitnehmen."
Raphael lächelte zufrieden. „Natürlich. Danach möchte ich hören, wie sie sich entschieden hat." Er wandte sich wieder dem Fenster zu und beobachtete die junge Schattenseele dabei, wie sie weiterhin mit dem kleinen Mädchen spielte und dann plötzlich freudig aufsah, als Eleasar in den Garten trat.
Glücklich fiel Ria ihrem Mann um den Hals. „Elea. Schon fertig?"
Eleasar küsste sie zärtlich. Es fiel ihm schwer, sich von ihr zu lösen, doch blieb ihnen später noch genug Zeit dafür. Zuerst mussten einige Dinge geklärt werden. „Ja. Würdest du dein Spiel bitte kurz unterbrechen?"
Eines der Dienstmädchen kam herbeigeeilt und brachte das Kind fort, während es das Mädchen ausschimpfte. „Offenbar ist es unterbrochen worden." Mit leicht gerunzelter Stirn sah Ria der Mutter nach.
Lächelnd zog er einen Zettel aus seiner Manteltasche. Es war schön zu sehen, dass sie sich Gedanken um so normale Dinge wie Kinder und Erziehung machte. „Adele hat dir geschrieben."
Von ihrem Unmut dem Verhalten der Mutter gegenüber war auf einmal nichts mehr zu sehen. Aufgeregt entriss sie ihm den Zettel. „Warum schickt sie den denn zu dir?" Gar nicht erst auf eine Antwort wartend, überflog sie die Zeilen. „Oh Gott." Hektisch drückte sie ihm den Brief in die Hand und rannte ins Schloss. Das konnte doch nicht sein. So viel Zeit war noch gar nicht vergangen, oder? Im Geiste versuchte sie nachzurechnen, wie viel Zeit denn nun vergangen war.
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Grau wie der Sturm [Schattenseelen 3]
FantasyDer dritte Teil der Schattenseelen-Reihe Nachdem Ria an der Seite ihres Mannes nach Anderswelt zurückgekehrt ist, steht sie vor bislang ungekannten Problemen. Nun muss sie sich, allen Widrigkeiten zum Trotz, in einer neuen Welt zurechtfinden. Dass s...