Grau wie der Sturm [Schattenseelen 3]

.:22:. Auszeit

Nachdem sie wieder an Land waren, setzte Eleasar seine Ankündigung in die Tat um und brachte Ria zu seinem Vater. Marjan begrüßte ihren Besuch, wenngleich er ziemlich beschäftigt wirkte. Offenbar hielt Sara ihn auf Trapp.

Hatte Ria sich auf eine ruhige und entspannte Zeit im Vampirschloss und bei ihrer Freundin zuhause gefreut, so wurde sie bitter enttäuscht. Eleasar selbst musste arbeiten, kam aber immer dann vorbei, wenn sein Zeitfenster es erlaubte. Und weil er Camille noch immer nicht traute, hatte Ria jetzt immer mindestens einen Bodyguard bei sich, der ihr nicht von der Seite wich. Da war es nur wenig verwunderlich, dass sie und Adele sich heimlich in einen abgelegenen Raum von Arams Haus verzogen, damit sie nach Herzenslust ungehört Informationen und Bedenken austauschen konnten. Zudem frustrierte es beide gleichermaßen, dass sie in dieser Situation nicht aus dem Haus gehen durften. Und wenn sie es doch taten, kam gleich eine ganze Armee mit.

„Ich halte das nicht mehr aus", stöhnte Adele und setzte ihren Sohn auf seine Krabbeldecke. „Die beiden übertreiben wirklich, was ihre Sorge um uns betrifft."

Ria schenkte ihr ein schwaches Lächeln. „Wenn selbst du das sagst, muss es wirklich schlimm sein. Immerhin haben wir uns." Adele war der duldsamste Mensch, den sie kannte.

Ein wenig bedrückt nickte ihre Freundin. „Was würdest du tun, wenn du jetzt nicht hier wärst?"

Da brauchte sie nicht lange nachzudenken. „Vermutlich mir von der Kaiserin weiter beibringen lassen, wie ich heilen kann. Und Eleasar die Hölle heiß machen, wenn der auftaucht."

„Ich habe nur Cian." Traurig starrte Adele ihren Sohn an. „Aram arbeitet ja die meiste Zeit und sonst meiden mich die Leute. Mir ist klar, dass das an den Gerüchten liegt, die im Umlauf sind, aber irgendwie bin ich einsam."

„Was für Gerüchte?", fragte Ria scharf. Sie hatte noch keine über Adele gehört.

„Nun ja", antwortete sie zögerlich, „eigentlich sind es ja keine Gerüchte. Es hat sich herumgesprochen, dass ich ein Mensch bin. Jetzt ignoriert mich jeder."

Aufgebracht sprang Ria auf. „Wir gehen raus! Spazieren wir durchs Dorf."

„Und was soll das denn bitte bringen?" Hoffnungslos sank Adele auf den Boden.

„Du bist kein Mensch, sondern eine Unsterbliche. Zumindest sagt Elea das. Aram hat dein Leben an seines gebunden und solange er lebt, bist auch du quasi unsterblich. Also ich könnte dich immer noch umbringen, aber prinzipiell bist du in der Lage mich zu überleben. Du siehst nicht einmal mehr aus wie ein Mensch. Eher wie ein Vampir." Letzteres war nicht einfach aus der Luft gegriffen. Ihre beste Freundin war seit ihrer Ankunft in dieser Welt eine Spur blasser geworden, ihre Haut ein wenig makelloser und von einem leichten Schimmer umgeben, als würde sie von innen heraus ganz schwach leuchten.

Ungläubig schüttelte Adele ihren Kopf. Sie hatte sich ihrem selbstauferlegten Schicksal ergeben.

Noch am gleichen Tag ritt Ria zum Schloss und bat Marjan darum, Aram weniger stark einzubinden. Sie konnte es nicht ertragen, ihre Freundin unter der Engstirnigkeit der Städter leiden zu sehen. Das Ergebnis war, dass Adele mitsamt Kind ins Schloss ziehen sollte. Dort hatte sie wenigstens ein paar Kontakte und entkam so den krank machenden Umständen der Stadt.

Wenige Wochen darauf saßen die beiden Frauen munter plaudernd im Schlosshof und spielten mit dem knapp sechs Monate alten Cian, als Hufgetrappel eine Gruppe Reiter ankündigte. Fasziniert betrachtete der Junge die vor ihm liegenden kleinen Steine beim Wackeln. Etwas Bekanntes streifte Rias Geist, die daraufhin wie von der Tarantel gesprochen aufsprang und zum Tor hinaus den Reitern entgegen rannte.

Eleasar sah Rias zierliche Figur auf sich zu rennen. Typisch, dass sie sofort das Schloss verlassen musste. Während sie lief, wehten ihre überraschenderweise wieder hüftlangen schwarzen Haare im Wind. Er löste sich von der Gruppe, um seine Frau im Vorbeireiten auf den Pferderücken und damit an sich zu ziehen. „Hallo meine Hübsche."