Drei Stunden später bereute sie, dass sie sich von ihrem Mann hatte provozieren lassen. Sie hockte in einem Sessel hinten in einem kleinen, für ihren Geschmack viel zu nobel aussehenden Klassenzimmer und ignorierte geflissentlich die Blicke ihrer neuen Mitschülerinnen und Mitschüler. Professor Logan betrat den Klassenraum und nickte ihr aufmunternd zu. „Die Aufmerksamkeit gehört nach vorne, nicht nach hinten", rief er seine Schüler zur Ordnung.
Ria war ihm dankbar, dass er den Fokus der Aufmerksamkeit von ihr ablenkte. Solange nur gestarrt wurde, war es ihr egal. Sie fürchtete sich vor den Gerüchten.
„Gelehrter Logan." Ein Mädchen mit kurzen, hellgrünen Haaren meldete sich zögerlich.
„Joleen?"
Das Mädchen sah eingeschüchtert zu Ria. „Wir sind uns nicht sicher, wer unsere neue Mitschülerin ist."
Fragend sah Logan Ria an. Sie nickte ergeben und erlaubte ihm damit, sie vorzustellen. „Unser Gast wollte sich die hiesige Schultradition ansehen. Wie Sie wissen, stammt Ihre Hoheit Prinzessin Ria nicht von hier."
Ein Grund mehr auf ihrer Liste, warum sie die Gesellschaft vermeiden wollte. Sie hasste es, Prinzessin genannt zu werden. Sie konnte nicht einmal Eleasar als Prinzen ansehen. Und der war es ja in doppelter Hinsicht. Ich hoffe, du stellst dich schon mal darauf ein, dass ich mich nachher abregen muss, schickte sie einen brummigen Gedanken an ihn.
Kurz darauf erhielt sie eine muntere Antwort: Ich hatte gehofft, du hättest eingesehen, dass du gegen mich keine Chance hast.
Heute sehe ich großzügig darüber hinweg.
Logan lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich, als er Joleen dazu aufforderte, sich zu setzen. Er begann etwas von Entwicklungszyklen von Fähigkeiten zu erzählen und malte wüste Muster an die Tafel. Gewissenhaft schrieb sie das Tafelbild mit, schweifte mit den Gedanken aber irgendwann ab. Fähigkeitenkunde, Artenwissenschaft und Geschichte. Diese Fächer hatten Eleasar und der Professor ihr aufs Auge gedrückt. Angeblich gehörte das zum Grundlagenwissen.
Nach dem Klingeln kam Logan zu Ria. „Ich hoffe, Sie konnten folgen."
Lächelnd tippte sie sich an ihren Kopf. „Ich habe ein wandelndes Lexikon bei mir."
„Sie sollten es selbst lernen", entgegnete er nachsichtig lächelnd. „Bei Fragen kommen Sie bitte zu mir."
Sie nickte und fragte sich, warum er Eleasar respektvoller anredete als sie. Im Prinzip war es ihr lieber, nicht so in den Himmel gehoben zu werden. Auf der anderen Seite jedoch war sie sich darüber im Klaren, dass sie somit nicht als gleichberechtigt angesehen wurde. Es wurmte sie, aber gleichzeitig wusste sie, dass sie ihrem Mann keinesfalls ebenbürtig war. Laut Logan würde sie es niemals sein. Was für verlockende Aussichten.
Nachdem der Gelehrte aus der Tür verschwunden war, herrschte kurzzeitig Stille. Niemand traute sich, etwas zu sagen. Alle starrten Ria an. Genervt schlug sie ihr Heft zu. „Fragt endlich, es ist ja nicht auszuhalten."
Die anderen wirkten nur noch perplexer. Joleen fing sich als Erste. „Ihr seid Prinz Eleasars Gemahlin."
„Ja."
„Wir dachten, Logan macht Witze", platzte ein Junge heraus. Er hatte feine Gesichtszüge, eine kleine Himmelfahrtsnase und halblanges, orange-schwarzes Haar, das er offensichtlich mit viel Aufwand frisiert hatte. „Ich meine, du kommst pünktlich zum Thema Seelenbindung und kaiserlicher Familiengeschichte."
Jetzt wusste Ria, warum Logan und Eleasar so darauf bestanden hatten. „Geschichte, hm?" Nachdenklich stand sie auf und ging zum Fenster. „Ich bin gänzlich ungeeignet, euch von der kaiserlichen Familie zu erzählen."
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Grau wie der Sturm [Schattenseelen 3]
FantasiDer dritte Teil der Schattenseelen-Reihe Nachdem Ria an der Seite ihres Mannes nach Anderswelt zurückgekehrt ist, steht sie vor bislang ungekannten Problemen. Nun muss sie sich, allen Widrigkeiten zum Trotz, in einer neuen Welt zurechtfinden. Dass s...