Kapitel 38

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Es war schon eine Woche vergangen, seit Jonathan und ich 'Schluss' gemacht hatten. Er hatte mich nicht für weitere Aufträge um Hilfe gegeben, was mich schon traurig machte, da ich mit ihm Kontakt hatte und ich brauchte diesen Kontakt zu Gleichaltrigen, die einen irgendwie ablenken konnten. Tja, ich hatte mir das halt selbst eingebrockt, ich war unzuverlässig aufgrund meinen ständigen Sichtwechseln.

Es war Dienstag, das hieß Therapiestunde. Bisher hatte es noch nicht so viel gebracht. Ich mochte meine Therapeutin irgendwie nicht so und ich hatte die Vermutung, dass sie nur ihren Job machte und sich gar nicht dafür interessierte, wie es mir ging und ob ich 'geheilt' werden könnte. Aber ein Tapetenwechsel war doch immer was Schönes... So machte ich mich energielos auf den Weg zur psychologischen Krankenabteilung. Im Wartezimmer saß wieder der Typ mit seinen Autozeitschriften. Zwar interessierte ich mich null für Autos, doch beneidete ich ihn darum, dass er von außerhalb so etwas bekam. Einmal im Monat war hier der Besuchstag, wo irgendwelche verschollenen Verwandte oder Freunde hier jemanden besuchen durfte. Jeden Monat kam irgendeine Großtante oder so vorbei und brachte ihm einen Stapel von diesen Zeitschriften mit. Die meisten hier bekamen jedoch keinen Besuch, mich eingeschlossen. Da kam mir eine Idee. "Hey", sprach ich ihn an. Er blickte nicht auf und steckte seinen Kopf noch tiefer in die Zeitschrift. "Hey!", rief ich und erntete einen trägen Blick. "Was?",fragte er undeutlich. Ich fasste neuen Mut. "Morgen ist ja Besuchstag, da kommt ja... diese Frau wieder dich besuchen, nicht? Kannst du sie vielleicht anrufen und sie fragen, ob sie mir auch irgendetws zu lesen mitbringen will? Es ist hier sehr langweilig und eintönig, findest du nicht auch? Mit etwas zu lesen, wäre es gleich ein bisschen erträglicher. Du hast ja immerhin etwas." Vielleicht lag es daran, dass ich zu schnell und zu viel quasselte, jedenfalls zog er nur die Augenbrauen hoch und schenkte seine Aufmerksamkeit wieder der Zeitschrift. Dann halt nicht... "Mary Redwood", wurde ich aufgerufen. Das war mein Stichwort.

Der Raum, wo mich Frau Doktor Mason therapierte, war weiß gestrichen. Sie saß hinter einem rappeligen Holztisch und ich durfte auf einem noch rappeligeren Holzstuhl gegenüber von ihr Platz nehmen. Frau Mason hatte stets einen Laptop vor sich, wo normale Therapeuten sich vielleicht Notizen über den Patienten gemacht hätten, doch ich vermutete, dass Frau Mason im Internet surfte und sich die neueste Mode anguckte. Ihre knallroten Haare hatte sie extrem nach außen geföhnt und dazu einen grellen pinken Lippenstift aufgetragen. Es war manchmal sehr anstrengend, sie anzugucken. "Wie geht es dir heute, Mary?", fragte sie mich und schenkte mir ein gekünsteltes großes Lächeln, sodass ihre künstlichen weißen Zähne zum Vorschein kamen. "Wie immer", nuschelte ich. "Schön, schön...", war ihre Antwort. Dann schaute sie in ihren Laptop hinein und zupfte an ihren Haaren herum. "Ist etwas, für dein Leben Gravierendes, vorgefallen?", riss sie mich aus meinem Trance. "Ich hatte mich ein wenig mit einem Jungen angefreundet. Aber jetzt machen wir nichts mehr", fasste ich knapp zusammen, was mit Jonathan in der letzten Woche so vorgefallen ist. "Vertragt euch, Freunde kann jeder gebrauchen", sagte sie und legte ihre Hand auf meine. Doktor Mason zog ihre Mundwinkel so weit nach oben, dass ihre rot gepuderten Wangen noch röter wurden. "Okay." Nun fing sie an, ihre Fingernägel grün zu lackieren. "Bist du manchmal komisch drauf? Du weißt schon..." Redete sie etwa über meine, naja, Sichtwechsel? Ich wusste gar nicht, dass diese ihr aufgefallen sind. "Bist du machmal depressiv? Mary, hast du das Gefühl dir selbst wehtun zu müssen?", flüsterte sie und beugte sich zu mir rüber, sodass meine Nase fast in ihrem weiten V-Ausschnitt von ihrem plastikartigen roten Kostüm steckte. Ich hatte noch nie darüber nachgedacht, mich selber zu verletzen. Viele sahen darin einen Ausweg aus irgendeinem Leiden. Also, so empfand ich jetzt nicht, obwohl ich genug Gründe dafür gehabt hätte. Warum sollte ich mir auch selbst wehtun, das tat doch weh. Nee, danke. "Alles gut, Frau Doktor Mason." "Schätzchen, das sagen alle und meinen es nicht so." Kritisch beäugte sie mich. Ein kleines Kichern entschlüpfte mir. "Ich tue mir nicht selbst weh, Sie werden nirgendwo etwas finden." "Na, dann ist ja gut!", rief sie erfreut und klatschte in die Hände. "Was machst du eigentlich noch hier, Mary Redwood? Meine Diagnose ist: Geheilt! Du musst nicht mehr zur Therapie kommen!"

Bitte, was? So schnell ging das doch nicht. Die hatte bloß keine Lust auf so viele Patienten und möchte früher Schluss haben. Nein, zufrieden war ich nicht  damit. 'Geheilt' ohne mich jemand geheilt zu haben, ja klar. Auch, wenn ich sie nicht mochte: Ich wollte weiter zu diesen Sitzungen kommen, sie waren eine Abwechslung von dem öden Alltag hier und es tat ganz  gut, ein paar Sätze mit jemanden zu wechseln, die nicht gehässig oder beleidigend waren, egal mit wem.

"Frau Mason? Täglich denke ich noch an Selbstmord, aber nur noch einmal Tag, wissen Sie. Bevor ich bei ihnen eine Therapie gemscht habe, war es jede Minute! Sie helfen mir, aber helfen Sie mir doch bitte noch so, dass ich nie wieder daran denke, Sie machen Ihre Arbeit so gut." War natürlich alles gelogen. Doch Frau Doktor Mason stand bestimmt auf Komplimente. "Nun ja, Kleines... ich bin eine gefragte Therapeutin, wie du weißt..." War sie nicht. "Aber wenn du immer noch auf meine Hilfe angewiesen bist, dann tu ich natürlich alles für dich! Aber du musst mir auch ein bisschen entgegen kommen... vielleicht nur noch eine halbe Stunde dienstags, anstatt einer ganzen Therapiestunde? Das müsste doch reichen." "Natürlich, Sie sind so gütig", brachte ich sie in Verlegenheit. Fast wäre ich aufgestanden und hätte gesagt 'Schön mit Ihnen Geschäfte machen zu dürfen'. Aber nur fast. Warum war ich heute eigentlich so lustig drauf? Mir ging es im Gegensatz zu anderen Tagen echt okay.






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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 15, 2015 ⏰

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