Kapitel 27

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Am nächsten Morgen wachte ich bibbernd auf und schaute wie jeden Morgen zuerst auf die digitale Uhr. Halb sieben. Und das Datum... Der achte Mai. Der achte Mai?! Da bin ich geboren. Heute bin ich sechszehn Jahre alt. Wo blieb die 'sweet sixteen' Party? Meine Gäste? Freunde, die mir gratulierten? Es heißt doch, mit sechszehn verändert sich dein Leben. Ich konnte gar nicht anders, als einmal kurz trocken aufzulachen. Es änderte sich rein gar nichts, für mich war es nur ein weiterer Tag, wo mein Alter nun eine andere Zahl trug. Geburtstage waren bei mir nie etwas Besonderes gewesen. Vielleicht gab es ein kleines Spielzeugauto, oder einen Schokoriegel. Doch diese Großzügigkeit wurde mit den Jahren auch immer weniger.

Plötzlich steckte Mrs Hood ihren grauen Haarschopf durch die Tür und herrschte uns unfreundlich an, dass wir jetzt duschen gehen sollten. Mit einem weißen Nachthemd bekleidet schreckte ich hoch und zog mir mit gesenktem Kopf schwarze Hausschlappen an, während Christina sich nur grunzend ihrem Buch zuwandte. Es war das gleiche Buch wie jeden Tag. Sie musste immer dasselbe Buch lesen, bestimmt auch schon bevor ich hier ankam. Ich hatte sie nie gefragt, warum oder wie das Buch hieß. Auf dem Cover war einfach gar nichts, außer schwarz. "Christina, du auch! Sofort! Ich habe nicht den lieben langen Tag Zeit!", rief Mrs Hood erbost und schlug die Tür zu, um die Anderen nun aus den Betten zu holen. Ich huschte schnell aus dem Zimmer, ohne weiter auf Christina zu achten. Sie wird schon irgendwann nachkommen. Mit einem Handtuch und  Klamotten lief ich schnell den Flur runter. In der Umkleide legte ich besagtes Handtuch und Klamotten auf den Boden. Bänke gab es nicht, Haken auch nicht. Alles abgerissen, zerstört, wer weiß. Ein paar Eisenstangen waren die Überreste. Rechts die Tür führte zu den Waschbecken, links zum Duschraum. Ich entledigte mich des Nachthemdes und der Unterwäsche und bog links ab. Der heiße Dampf kam mir entgegen, von den anderen Mädchen, die duschten. Reihenweise nebeneinander waren die befestigten Duschköpfe, direkt daneben jeweils ein Shampoo- und Duschgelspender. Fuß vor Fuß setzend ging ich zur letzten Dusche und versuchte nicht auf Brittany und ihre kichernden Freundinnen zu achten. Brittany war schön. Ich wusste nicht, wie ich das anders ausdrücken sollte. Es war nicht diese oberflächliche Schönheit, nein, du sahst diese Person an und konntest nicht anders, als sie anzulächeln. Jeder, einfach jeder mochte Britney, sie war zu jedem freundlich, war klug und sie war so schön. Jeder hier hatte irgendwelche  schlimmen Familienumstände, ich meine, warum war man sonst in diesem Heim? Doch Brittany... Bei Brittany konnte man sich gar nicht vorstellen, dass ihr je etwas Schlimmes wiederfahren sei. Sie lächelte ununterbrochen, beteiligte sich nie an den grausamen Aktionen, ja, ich hatte sie sogar mal gehört, wie sie zu einer ihrer Freundinnnen sagte, sie würde es hassen, wie hier alle miteinander umgingen. Würde ich sowas sagen, hätten sie nur noch einen weiteren Grund, mir etwas anzutun. Auch bei allen Anderen. Doch nicht bei Brittany. Selbst Brittany und Nancy konnten sich irgendwie leiden. Britatey mochte jeden und so war es auch andersherum. Warum sollte Nancy sie nicht mögen, Brittany war keine machtgierige Person, sie war keine Konkurrentin von Nancy.

"Ähm, du kannst aufhören, sie anzustarren", bemerkte eine Stimme abfällig und ich schreckte aus meinen Gedanken hoch, als ich sah, dass ich bestimmt fünf Minuten lang Brittany angesehen habe. Was die ganze peinliche Situation noch verstärkte, war, dass wir beide nackt waren. Beschämt schaute ich auf den Boden. Innerlich schlug ich mich selber, ich meine, wie doof kann man denn bitte sein? "Emma, wenn's mich stören würde, hätt ich's Mary schon gesagt", sprach Brittany sanft und lächelte mich entschuldigend an. Welcher Mensch besaß denn bitteschön so viel Freundlichkeit? Was war ihr Geheimnis? Wenn sich jeder so verhalten würde, dann wäre das Leben keine Hürde, die zu überwinden wäre, sondern ein Ort, von dem man später traurig Abschied nehmen würde. Überrascht von meiner plötzlichen Poesie stahl sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen. Als mir jedoch bewusst wurde, dass ich immer noch nackt, entblößt vor ihnen stand, schwand mein Lächeln und ich drehte mich abrupt um. Schaue nicht an dir runter, ermahnte ich mich. Ich wollte nicht sehen, was die anderen Abstoßendes an mir sahen. Ich schmierte meinen ganzen Körper mit dem Duschgel aus dem Spender ein. Die heißen, harten Wasserstrahlen prasselten auf meinen Kopf nieder. Obwohl meine langen, dünnen Haare meinen Blick versperrten, bemerkte ich trotzdem, dass eine weitere Person den Duschraaum betrat. Beim Aufschwingen der Tür spürte man immer einen kalten Windhauch, der einem kurz Gänsehaut verlieh.

"Hey, Fetti." Ich strich mir die nassen Haare aus dem Gesicht. Nancy. Zu meinem Schrecken nahm sie die Dusche direkt neben mir. Mein Instinkt befahl mir, sofort wegzulaufen. Ihre direkte Anwesenheit machte mir Angst. Es konnte einfach nichts Gutes heißen. Ein flüchtiger Blick in ihre Richtung und sie schaute mich vernichtend an, das reichte mir schon. Feige wie ich war, flüchtete ich blitzschnell aus dem Raum. In der Umkleidekabine schlang ich mir mein Handtuch um den Körper und atemte einmal tief mit geschlossenen Augen durch.

Dann fiel mein Blick auf den Boden. Auf den leeren Boden. Oh nein, alles, aber bitte nicht das. Es musste Nancy gewesen sein. Sie und die anderen Schlampen, die sich ihre Freundinnen nannten. Jeans, Unterwäsche, Shirt, Nachthemd, alles weg. Okay, nachdenken. Sie zu fragen, würde definitiv nichts nützen. Vielleicht waren sie aber auch im Waschraum in einem der Waschbecken, notfalls würde ich mich auch in nasse Klamotten hineinzwängen. Ich tapste also durch die rechte Tür und auf einen Blick erfasste ich die anderen Zähneputzenden Mädchen, aber keine herumliegenden Klamotten von einer gewissen Mary Redwood. Verdammt. Fluchend ging ich in die Umkleidekabine zurück. Ich musste wohl oder übel mit nichts, als einem Handtuch bekleidet durch den gesamten Hausflur gehen, um in mein Zimmer zu gelangen, wo sich die ersehnten Klamotten befanden. Vorsichtig und vor Kälte zitternd tapste ich auf den Flur. Das Handtuch fiel glücklicherweise bis zum Boden, so waren wenigstens meine Beine verdeckt. Wenn ich keinen sehe, dann sehen mich dire Anderen auch nicht, kam mir der Spruch auf einmal in den Kopf. Blick auf den Boden. Trotzdem bemerkte ich  die anderen Personen auf dem Flur, die redeten, auf mich zeigten, das Lachen. Als ich kurz aufschaute, sah ich Christina auf mich zustürmen. Sie sah so aus, als wollte sie mir dringend zum ersten Mal was sagen, da spürte ich es.

Meinem Körper wurde immer kälter, und ich hörte hinter mir die meistgehasste Stimme: "Ups! Sorry, das wollte ich gar nicht!"

Unfähig, mich zu bewegen, drang das Klicken einer Handykamera an mein Ohr. Erst eins, dann immer mehr.

Es war die größte Demütigung meines Lebens. Sich einzureden, es sei ein Traum, war nicht  möglich. Das Gekichere und die angeekelten Beleidigungen waren zu schrill.

"Heb dein Handtuch auf, na mach schon!", schrie mir eine unbekannte, panische Stimme in's Ohr. Da machte es klick bei mir.

Ich stürzte mich, entblößt wie ich war, auf das Handtuch, auf welchem immer noch ein Fuß von Nancy stand und riss es weg. Schützend hielt ich es vor meinen Körper und schirmte so das Schlimmste ab. Doch ich wusste, dass es zu spät war. Zerstört schaute ich von unten zu Nancy hoch. "Heute warst du wohl ein wenig freizügiger unterwegs. Kleiner Tipp, es steht dir nicht", säuselte sie und ging süßlich lächelnd mit ihrem Gefolge von dannen.

Taumelnd stand ich auf und hetzte auf unser Zimmer.


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