Kapitel 21

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Ich hatte dieses eine Ziel. Die Golden Gate Bridge. Höchste Brücke in Kalifornien, San Francisco. Das Beste jedoch, sie war nur ein Katzensprung von mir entfernt. Ich schlängelte mich hastig durch die Menschenmengen. Nicht denken. Bloß nicht denken. Laufen. Einfach nur laufen. Weiter. Da lang. Rechts. Links. Gleich da. Nur noch die Straße überqueren.

Eine weitere Straße führte auf die imposante große Brücke hinauf. Unter ihr tobte der Fluss. Mit gemächlichen Schritten lief ich auf dem Bürgersteig hinauf. Neben mir rasten die Autos. Ich würde es schnell hinter mich bringen müssen. Die Autos. Man würde mich sonst noch aufhalten. Geschafft. Ich hatte den höchsten Punkt der Brücke erreicht. Das Geländer war hoch... Ich war nicht sportlich, nein. Ich hatte keine Angst, nein, das auch nicht. Gar nichts war in mir. Wut und Trauer hatte ich schon in meinem Zimmer verbraucht. Das hier ist mein letztes Kapitel. Langsam atmete ich ein und aus, während ich mich am Geländer festhielt und mit geschlossenen Augen gen Himmel richtete. 227 Meter würde ich fallen. Ich würde fliegen. Fliegen. Würde. Fliegen. Jetzt. Komm schon. Steig jetzt auf das Geländer, befahl ich mir selber. Alles verkrampfte.

Ich konnte nicht. Doch ich kann. Nein. Doch. Ich spürte, wie ich einen inneren Kampf führte. Die Realität sollte siegen. Nicht jetzt. Ich will jetzt nicht abdriften, will nicht irgendwo anders hin. Ich will das jetzt. Nein, ich wollte doch nicht, das Leben ist doch so schön! Alle lieben mich doch! Nein, tuen sie nicht. Tuen sie nicht. Soll ich nachgeben? So schön... So entspannend...

Nein, nein, nein, nein, nein das ist es nicht! Falsch! Es ist falsch! Spring! Steig auf das Geländer, und zwar jetzt!

Ich stieg drauf. Schnell. Hastig. Bevor dich jemand aufhalten kann! Schneller! Ich kann nicht so schnell!

"Halt!"   "Stopp!"    "Was um alles in der Welt tuen Sie da?"    "Jemand muss sie aufhalten!"    "Ja, nun tuen Sie doch was!"   

Mehrere Stimmen drangen sich an mein Ohr. Ich wurde also, kurz vor meinem absehbaren Tod noch verrückter, als ich schon vorher war. Ich machte mich bereit für den Sprung...

...Und wurde brutal zurückgerissen.

Nein. Das konnte jetzt nicht wahr sein.

"Das ist gefährlich, Kind! Wer steigt schon mitten am helllichten Tag auf die Golden Gate Bridge?"   "Sie zittert ganz doll!"   "Soll man den Artzt rufen?"    "War das vielleicht sogar ein Selbstmordversuch?!"    "Selbstmord?"   "Selbstmord?!"    "Da muss man doch die Polizei rufen, oder etwa nicht?"       "Polizei und Krankenwagen! Rufen Sie beides!" 

Ich presste meine Augen weiterhin ganz fest zu. Die Stimmen, die ich hörte, sprachen hastig und durcheinander. Ich rollte mich ganz eng zusammen und hoffte, dass es alles nicht wahr war. Doch eigentlich wusste ich es besser. Es war die Realität, die mir abermals in's Gesicht spuckte. Wie gern wäre ich gesprungen und hätte nie mehr irgendwas ertragen müssen. Natürlich musste ich aber wieder so dumm sein und bei Tag auf die Brücke steigen! Bei Nacht hätte ich keine Probleme bekommen, niemand hätte mich bemerkt und ich wäre leise für immer verschwunden gewesen. Dumm, dumm, dumm.

"Machen Sie Platz, bitte.", hörte ich eine dunkle Stimme. Ich wurde umgedreht und fühlte, wie jemand mich abtastete. "Kein Personalausweis, noch irgendetwas anderes, das hinweisen könnte, wer sie ist und wo sie wohnt." Jemand tätschelte mich sanft an der Schulter. "Kannst du mich hören?", fragte die Stimme weiter. Ja kann ich, dachte ich, sagte aber nichts. Vielleicht würden sie dann auch wieder gehen. Taten sie aber nicht. Mein Puls wurde noch geprüft, sowie meine Atmung. Ja, alles stimmte, ich war weder bewusstlos noch verletzt. Anschließend wurde mir eine Decke umgelegt. Dankbar mummelte ich mich in sie ein.

"Und Sie haben dieses Mädchen auf dem Geländer stehen sehen, mit ausgebreiteten Armen und Sie meinten zu sehen, sie würde gleich springen?", fragte die dunkle Stimme. "J-ja, habe ich... Sie hatte die Augen geschlossen und ließ sich leicht nach vorne fallen, da habe ich sie rechtzeitig gepackt und nach hinten gerissen... Wissen Sie, ich ging so auf der Brücke hoch und sehe sie da auf einmal stehen... Zuerst konnte ich meinen Augen kaum trauen, ich meine, wer macht denn bitteschön so etwas?!", sagte eine Männerstimme.

"Gut, danke. Sie können jetzt alle weitergehen.", sprach die dunkle bestimmende Stimme wieder.

Ich merkte, wie ich hochgehoben wurde. Sollte ich meine Augen nun öffnen? Nicht, dass ich irgendwo hingefahren wurde, in's Krankenhaus oder sonst wo hin!

Ich blinzelte ein wenig und sah, dass ich mich noch immer auf der Golden Gate Bridge befand. Vor mir ein Polizeiauto und ein Krankenwagen. Dann öffnete ich meine Augen ganz und sah hoch, in das Gesicht des Polizisten, der mich trug. Der sollte mich sofort runterlassen, es war mir äußerst unangenehm, getragen zu werden! "Hallo? Lassen Sie mich bitte runter!", sagte ich und blickte wütend in sein Gesicht. Überrascht setzte er mich auf dem Boden ab, hielt mich jedoch fest und rief nach einem gewissen 'Michael'. "Sie ist aufgewacht, Michael, komm schnell her!", rief er. Dieser Michael kam sofort angerannt und betrachtete mich kurz, als sei ich irgendein Weltwunder oder so. Ich war mir der Situation bewusst. Ich wurde bei meinem Vorhaben erwischt und nun galt ich bestimmt als gestört. Doch ich musste die Polizisten überzeugen, dass mit mir angeblich alles stimmte. "Mir geht's gut", fing ich an, "ich bin wohl, als ich auf dem Geländer stand, hinten rüber gefallen. Ich wollte keinen Selbstmordversuch starten, nein, wirklich nicht. Nur klettere ich gerne irgendwo drauf und bin sehr risikofreundlich! Sie können mich also ruhig wieder nach Hause gehen lasse!" Mit einem schiefen Lächeln hoffte ich, dass sie mir das abnehmen würden... Beide tauschten einen kurzen Blick, bevor einer sprach: "Wie heißt du denn?" Sollte ich die Wahrheit sagen? "Lisa Winter", antwortete ich vage... Es war besser so, mir irgendeinen Namen auszudenken. Einer lächelte leicht. "Also, weißt du, ein bisschen Berufserfahrung haben wir auch. Die Wahrheit, bitte."

Verdammt. Sie hatten mich wohl tatsächlich durchschaut. Wie konnte ich Polizisten, die darauf spezialisiert sind, derart unterschätzen. Ich beschloss meinen echten Namen zu nennen... Ich hoffte sie würden mich dann wirklich gehen lassen! Aber nach meiner Lüge bestimmt nicht.

"Mary Redwood.", gab ich niedergeschlagen meinen Namen preis. Auf einem kleinen PC gab der Polizist meinen Namen ein und überprüfte meine Daten.

"Mary, wann hast du das letzte Mal deinen Personalausweis erneuert?", fragte er. "Weiß ich nicht", sagte ich leise. "Vor 13 Jahren. Du warst damals zwei Jahre alt. Es ist schon viel zu lange her. Mary, wir fahren dich nach Hause und müssen anschließend dringend mit deiner Mutter reden.", sagte er bestimmt. "Nein!", stoß ich hervor. Sie durften nicht zu mir! Auf gar keinen Fall, unter keinen Umständen. Das ist das Ende, das würde das Ende sein! Keiner durfte etwas erfahren!

Doch zu spät. Der Polizist schob mich bestimmt in's Innere des Polizeiautos, schloss die Tür und startete den Motor. Es war alles aus.

Ab jetzt geht es erst richtig los! Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen und ich habe es überzeugend geschrieben. Lasst mir doch bitte ein Kommi da, wie ihr es fandet :)

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