Kapitel 32

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Mit gemischten Gefühlen verließ ich das kleine Zimmer von meiner Therapeutin. Diesmal war mein Vater dran gewesen. Ich wurde über ihn ausgefragt, sollte Dinge aufschreiben, die ich ihm sagen würde, wenn er jetzt vor mir stehen würde. Immer wenn ich eine Pause beim Sprechen machte, sagte meine Therapeutin: "Schön, ja schön." Ich wusste nicht, was an einem Drogen- und Alkoholabhängigen Mann schön sein sollte, aber ich glaube, es sollte mich irgendwie aufmuntern, weiter zu reden.

Vor der Therapiestunde hatte ich nach Jonathan gesucht, aber er war weder im Computerraum, noch im Speisesaal gewesen. Als ich das Ambulanzgebäude verließ und auf das Heim zuging, kam mir von Weitem doch tatsächlich Jonathan entgegen. Bevor ich ihn aber ansprechen konnte, fragte er mich hastig: "Weißt du, wo Nancy ist? Vielleicht auch, wo Emma ist, du weißt, schon diese Freundin von Brittany?" Ich dachte einen Moment nach. "Schau mal in der Küche vorbei, wahrscheinlich ist sie da." "Okay, danke", sagte er und wollte schon weglaufen, als ich ihn jedoch zurückrief. "Hey, Jonathan, bleib doch bitte kurz hier, ich... ähm, ich wollte dich mal was fragen. Oder eher was anbieten, genauer gesagt, einen Deal." Da blieb er tatsächlich stehen und kam mit fragendem Gesichtsausdruck zurück. "Ja?" "Du... als ich dir gestern alles von mir erzählen sollte, da hab ich dir nicht alles erzählt. Da hab ich das Wichtigste weggelassen. Ich kann es dir aber noch erzählen. Wenn... Du mir sagst, wie du vorgehst. Und wie ich dir helfen kann." Unsicher schaute ich ihn an. Es war wirklich nicht besonders nett, diesen Deal einzugehen. Aber ich hoffte so sehr, dass er zustimmen würde. Unstimmig schaute er mich an. "Du weißt schon dass es zum ersten Deal gehörte, dass du mir deine ganze Vergangenheit erzählst. Angenommen, ich würde es genau in die andere Richtung lenken. Wenn du mir nicht von dieser wichtigen Sache erzählst, helf ich dir nicht mehr. Noch ist nicht alles in die Wege geleitet worden, weißt du? Das ist sehr gerissen von dir, das jetzt zu verlangen." Nun war sein Gesichtsausdruck, der eben noch unsicher war, finster geworden. Und ich saß in der Falle. Es war sehr dumm von mir, das von ihm abzuverlangen, wenn er noch längst nicht alles erledigt hatte. Ich hatte den Drang, mir einmal fest gegen den Kopf zu schlagen. Warum hatte ich ihm nicht nachdem er alles erledigt hat, den Deal vorgeschlagen? Warum hatte ich mal wieder nicht nachgedacht? Na, super. Angenervt blickte ich ihm direkt in seine komischen, grünen Augen, jedoch eher genervt von mir, als von ihm.

"Du kannst mitmachen."

Unvermittelt starrte ich ihn an. Was hatte er gesagt?

"Das war echt nicht fair von dir, mir diese wichtige Sache nicht zu erzählen, aber du kannst mir helfen. Also dabei, dich selbst zu retten."

Ungläubig starrte ich ihn immer noch.

"Warum?", kam es aus mir raus.

Zögernd zuckte er mit den Schultern und kam einen Schritt auf mich zu. "Für meinen nächsten Auftrag, da bräuchte ich ein wenig Hilfe. Und... versteh mich nicht falsch, aber du hast keine Freunde oder irgendwelche Leute, denen du unsere Pläne erzählen könntest. Da ist niemand, dem du etwas verschweigen musst, man wird dich nicht vermissen, wenn du mal nicht da bist, oder so. Eigentlich bist du die perfekte... wie soll ich sagen, Komplizin?" Wir beide mussten gleichzeitig über dieses Wort schmunzeln. Es verlieh dem Ganzen etwas Geheimes, so wie bei Geheimagenten, die auf gemeinsamer, gefährlicher Mission unterwegs sind. Okay, jetzt hatte ich wirklich komische Gedanken, obwohl ich ja öfter welche hatte...

"Hast du verstanden, Mary?", riss Jonathan mich aus meinen Gedanken, "ich gehe auf den Deal ein." Grinsend hielt er mir die Hand hin. "Abgemacht?" Unbeholfen schlug ich ein. So etwas hatte ich, ehrlich gesagt, noch nie gemacht. "Abgemacht."

Ich war mir sicher, ich strahlte, wie ein komischer Gnom.


**wrong view**


Jack und ich verstanden uns wieder so gut, wie eh und je. Wir hatten eine Mission vor, ich wusste zwar nicht so genau, um was es da ging, aber trotzdem. Es war so toll von ihm, dass er nun auch auf dieses schöne Heim hier gestoßen war und zusammen mit mir Mittag aß, in die Schule ging und wir sonst alles wieder miteinander machen konnten. Es war mal wieder Essenszeit. Das Essen war saulecker, lecker schmecker, wie beim Bäcker. Ich grinste vor mich hin. Diesen Reim musste ich gleich unbedingt Jack erzählen, der würde ihn bestimmt total cool finden. A propos Jack - wo war er eigentlich? Als ich mich kurz auf dem Gang, auf dem ich mich gerade befand, umsah, entdeckte ich ihn einige Meter weiter vorne, wo er an einem Mülleimer stand. Wahrscheinlich, um was wegzuwerfen.

"He, Jack!", rief ich. Doch unerwarteterweise drehte er sich nicht um. War der taub, oder was? Wenn ja, musste ich ihm schnellstens ein Hörgerät besorgen...

"JACK, KANNST DU MICH HÖREN? HALLO, JACK!" Also das musste er aber gehört haben, so laut ich geschrien hab. Tatsächlich wandte er sich verwirrt um und als ich ihm wild zuwunk, während ich schneller auf ihn zulief, fragte er mich: "Ich heiße Jonathan, nicht Jack, hast du das etwa vergessen?" Ich lachte ihn aus. Der Arme litt wohl unter Gedächtnisschwund, jetzt vergaß er schon seinen eigenen Namen. Oder er machte nur Spaß. Ich tippte auf Letzeres.

"Jaja", kicherte ich und hakte mich bei ihm unter. "Komm, ab zum Essen!"

Im Speisesaal setzte ich mich an den größten Tisch, damit Jack und ich auch extra viel Platz hatten. Auffordernd klopfte ich auf den Stuhl neben mir. Zögernd setzte er sich zu mir. "Mary, wenn wir jetzt sozusagen zusammenarbeiten, sollten wir das nicht ein wenig unauffälliger machen?", flüsterte er mir zu. Achja, die Mission. Spielerisch stupste ich ihn an. "Okay, Agent Jack, Sie dürfen sich dann drei Tische weiter niederlassen." Argwöhnisch erhob er sich und schlurfte zu einem anderen Tisch. Hatte er etwa Angst, dass man uns enttarnte? Naja, wenn ja, musste ich ihn unbedingt gleich nochmal fragen, was das eigentlich für eine Mission war und warum man uns nicht entdecken durfte. Plötzlich stand da plötzlich ein Mädchen mir gegenüber, gegen die ich zwar nichts Konkretes hatte, sie mir aber trotzdem unsympathisch war. Ihr Name war Emma. "Das da ist unser Tisch. Wenn du nicht unter Amnesie leidest, müsstest du das eigentlich wissen." Knall. Das war ihr Tablett, das sie auf den Tisch knallte. "Also, verschwinde." Provozierend musterte ich sie. Sie wollte einen Zickenkrieg? Den konnte sie haben. Von sowas ließ ich mich doch nicht unterkriegen. "Und wenn nicht, reizendes Fräulein?" Das 'r' ließ ich extra schön rollen, ich war sehr stolz, dass ich das konnte. "Lass gut sein, Emma." das war Brittany. Hach, das war schon immer wieder lieb von ihr, dass sie mich vor ihren Freunden verteidigen wollte. Aber ich kam auch ohne sie sehr gut zurecht. "Nein, sorry, aber sie nervt mich in letzter Zeit gewaltig. Das sollte sich mal ändern", zischte Emma ihrer Freundin entgegen. "Ohja, und wie es sich ändern sollte."

Ehe ich's mir versah, landete ich unsanft auf dem Hosenboden. Hinter mir stand grinsend meine Rivalin Nancy, die triumphierend den Stuhl, auf dem ich eben noch gesessen hatte, ind er hand hielt. Tja, was sollte man dazu sagen? Wenn sie sich als Hulk versuchen wollte - bitteschön. Ich war aber in der Lage, ganze zwei Stühle in der Hand zu halten. Aber hier und jetzt wollte ich sie wirklich ungern vor den ganzen Schaulustigen blamieren. Also ließ ich es einfach und gab ihr noch den weisen Rat: "Iss nicht so viel Salat, dann schaffst du's vielleicht auch zwei Stühle zu stämmen, Kleine."

Mein Abgang war fabelhaft gewesen, das wusste ich. Mein Tablett hatte ich einfach auf dem Tisch stehen gelassen und den Saal verlassen. Hunger hatte ich sowieso nicht so viel. Auf dem Weg zu meinem Zimmer kam mir ein schnaufender Jack hinterhergerannt. "Warte, Mary!", rief er und ich drehte mich um. "Ja, was ist denn?" "Hast du mich etwa nicht richtig verstanden? Unauffällig, das musst du sein! Dich nicht in den Mittelpunkt drängen, vermeidbaren Streit nicht provozieren! Ich bin nicht umsonst auf den Deal eingegangen, aber du bist auf einmal ganz verwandelt. Mit dieser Person würde ich nie zusammen arbeiten können!" Etws irritiert strich ich mir eine verirrte Strähne aus dem Gesicht. War das jetzt seine Art von Ironie, oder was? "Ich verstehe nicht ganz, Jack..." "UND WARUM, ZUM TEUFEL, NENNST DU MICH IMMER JACK?!"



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