Kapitel 12 / Melina's Sicht

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Die Frage, wann wir es den anderen erzählen würden, schwebte die ganze Zeit wie eine Wolke über mir. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass sie irgendwann von selbst drauf kamen, aber Jan und ich sahen uns tagsüber bedeutend seltener als ich angenommen hatte. Entweder war er mit den Aps unterwegs, musste schneiden oder war beim nächsten Soundcheck.

Nur Abends hatten wir Zeit für uns und auch dann waren wir beide von dem vergangenen Tag so geschafft, dass wir oftmals viel zu schnell einschleifen.

So ging das nun schon die letzten zwei Tagen und unsere letzte Show rückte immer näher.

Wieder einmal ziemlich geschafft ließ ich mich auf eins der Sofas in unserm Fitting-Room fallen.

"Schade, dass es schon zu Ende geht", seufzte ich und Shirin, die bereits begonnen hatte sich zu schminken, nickte mir aus dem Spiegel heraus zu.

"Aber es war auf jeden Fall ne geile Zeit". Fügte sie hinzu und ich musste Grinsen.

"Eine sehr geile", bestätigte ich und fuhr mit meinem Finger die in hellgrau gestickten Buchstaben auf meinem Armband nach.

"Uhh, da sieht aber jemand sehr glücklich aus", ich sah wieder zu ihr und wurde ein kleinwenig rot.

"Hast du das von Jan bekommen?" Fragte sie und kam zu mir hinüber.

"Ja", antwortete ich und zeigte es ihr.

'Damit du die tolle Zeit hier nicht vergisst'

"Gott, ist das süß", sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme ein paar Oktaven nach oben schoss und ich musste lachen.

"Er scheint dich wirklich sehr zu mögen".

"Nicht so sehr wie ich ihn", erneut quietschte sie.

"Was ist denn mit Shirin los?" Kam es in diesem Moment von der Tür und die restlichen Mädels, angeführt von Annika betraten den Raum.

"Gar nichts", meinte die Angesprochene und setzte sich wieder vor ihren Spiegel, allerdings nicht ohne mir einen weiteren wissenden Blick zuzuwerfen.

"Ach kommt schon. Ihr verheimlicht uns doch schon die ganze Zeit was", hackte Paola weiter nach.

"Ich glaube ja, es hat was mit Jan zu tun", mischte sich nun auch Dagi ein.

"Wie kommst du denn jetzt darauf?" Annika sah sie fragend an.

"So wie er sich ständig um Melina kümmert. Also ich an ihrer Stelle würde ständig an ihn denken".

Oha. Jetzt nicht rot werden! Mit viel Mühe bekam ich meinen Körper wieder unter Kontrolle und versuchte gelassen zu wirken. Was mir offenbar auch gelang.

"Also. Is da was dran, Melina?" Nun waren alle Augen in diesem doch sehr kleinen Raum auf mich gerichtet. Genau dieser Situation hatte ich doch eigentlich aus dem Weg gehen wollen. Super gemacht, Melina. Und was jetzt? Sollte ich es ihnen sagen, oder es leugnen. Beides schien mir nicht wirklich richtig vor zu kommen. Immerhin hatte Jan da mit zu bestimmen, wann wir es ihnen erzählen.

Also entschied ich mich für einen Kompromiss. Ablenkung.

"Das bleibt ganz eurer Fantasie überlassen", sagte ich mit mysteriösem Unterton und erhob mich.

"Wer weiß, was die Wirklichkeit ist. Jeder nimmt diese anders war. Jeder hat seine eigene Perspektive. Gibt es überhaupt eine richtige Wirklichkeit? Eine richtige Wahrheit? Man weiß es nicht." Verschwörerisch wedelte ich mit meinen Händen in der Luft herum und ging langsam rückwärts Richtung Tür.

"Jetzt dreht sie komplett am Rad", hörte ich Dagi zu Annika murmeln, was diese zum Lachen brachte. Auch ich musste mir eingestehen, wie bescheuert das war, aber es erfüllte immerhin seinen Zweck. Zumindest solange, bis ich mit dem Rücken gegen etwas weiches stieß. Erschrocken fuhr ich herum und sah in ein paar klare, blauen Augen.

"Und ich dachte Alkohol gibt's erst nach dem Auftritt." Er grinste zu mir hinunter und mein Herz begann automatisch schneller zu schlagen.

"Also ich hab mehr so das Gefühl, dass Melina ne ganz andere Droge intus hat", hörte ich Shirin sagen und sofort ging ein wissendes Raunen durch den Raum. Ich sah sie mit einem warnenden Blick an, doch sie grinste nur breit und zwinkerte mir zu. Zwei Arme schlossen sich von hinten um mich.

"Wollen wir noch nen Kaffee trinken gehen, bevor nachher wieder alles in Hektik ausartet", raunte Jan mir zu und seine Stimme verpasste mir einen Gänsehaut.

"Gerne doch", ich sah ihn an und unsere Gesichter waren nur wenige Zentimeter von einander entfernt. In mir schrie alles geradezu danach ihm durch Haare zu fahren und ihn jetzt zu küssen, aber ich riss mich zusammen. Unter anderem deshalb, weil irgendjemand meiner Freundinnen nun anerkennend Pfiff. Ich verdrehte die Augen und löste mich aus seiner Umarmung, nur um gleich darauf seine Hand zu nehmen.

"Dann los", lächelte ich und in sein Gesicht trat wieder dieser Ausdruck unendlicher Zuneigung und ... Liebe. Ja. Wenn ich es nicht besser wüsste war es wirklich Liebe, was sich dort in seinen Augen spiegelte. Ich konnte nicht aufhören zu Lächeln und ihm schien es genauso zu ergehen. Ich zog ihn hinter mir her und ignorierte gekonnt das Getuschel aus dem Fitting-Room.

Mein KuscheltierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt