11.Kapitel

22 6 2
                                    

„Du kannst nicht kochen?", fragte Sebastian entgeistert.
„Siehst du, auch du bist gegen Frauen voreingenommen", sagte ich verschnupft. „Es muss doch nicht automatisch jede Frau kochen können. Ich war eben viel mit der Schule beschäftigt. Da bleibt keine Zeit für so etwas wie kochen", erklärte ich. Sebastian war ganz überrascht gewesen, als er bemerkte, dass ich nicht gut mit einem Kartoffelschäler umgehen konnte.

Als er meinen Gesichtsausdruck sah, grinste er.

„Sorry", sagte er ironisch."Ich konnte ja nicht wissen, dass du keine Zeit für so etwas unwichtiges hattest."

Scherzhaft boxte ich ihm in seine Magengegend. In sekundenschnelle schnappte er meine Hand und drehte sie. Plötzlich war ich an seinen Körper gepresst, er mit meiner Hand fest im Griff. Als er sie nach oben zog, fing ich an zu keuchen: „Au! Hör sofort damit auf! Lass los! Gnade!"

Lachend ließ er mich los.
„Leg dich nie wieder mit mir an", drohte er mit einem Augenzwinkern.
Ich rieb mein Handgelenk. Das tat ziemlich weh. Ich hatte zwar auch einmal Kampfsport trainiert, aber es aufgrund mangelndem Talents aufgegeben. Und ich konnte mich nicht mehr an diesen Griff erinnern.
Nachdenklich sah ich auf meine Hand, auf der sich jetzt rote Striemen bildeten.
„Wie hast du das gemacht?", fragte ich.
„Hmmm?"
Sebastian schreckte hoch.
„Sorry, ich bin wohl ein bisschen abgeschweift. Was hast du gefragt?"
Ich wiederholte.
„Ach das, das war ein sogennanter Wickelgriff. Der ist ganz einfach. Siehst du, du hältst deine Hände überkreutzt, und wenn du jetzt zuschlägst..."
Er zeigte mir den Wickelgriff ganz genau, und zeigte sich sehr geduldig, da er mir alles mehrmals zeigen musste, bis ich es verstand und ausführen konnte.

Ich schaffte es dann auch tatsächlich, die Kartoffeln zu schälen, und ich musste zugeben, dass es Spaß gemacht hatte. Sebastian löcherte mich die ganze Zeit mit Fragen, wie zum Beispiel meine Lieblingsfarben, Lieblingsfilme, Lieblingsbücher, Lieblingsfach...
Ich kam mir vor wie in einem dieser Tests, bei welchen man das antworten muss, das einem als erstes in den Sinn kommt.

Als er das fertige Essen schließlich durch die Durchreiche schob, ließ ich mich erschöpft gegen die Küchenzeile sinken.

„Sal?"
„Ja?"
„Woran denkst du gerade?"
Woran ich dachte? Ich dachte an Flynn. Das erste mal seit einer ganzen, vollen Stunde.
Aber das konnte ich ihm unmöglich sagen.
Also log ich ihm einfach kalt in sein Gesicht: „Ich denke daran, wie es jetzt weitergehen soll."
Sebastian zog seine Augenbrauen nach oben.
„Weißt du, ich bin nicht wie du. Ich will mich nicht hinter der Küche verstecken und darauf warten, dass die passende Gelegenheit kommt, um endlich wegzulaufen. Ich will jetzt sofort etwas an meiner Situation ändern. Aber es geht nicht. Ich weiß noch nicht einmal wo ich heute Nacht schlafen soll", erklärte ich ihm.
Dabei versuchte ich so viel Erschöpfung und Verzweiflung in meine Worte zu legen. Ich war noch nie der größte Lügner gewesen, aber angesicht der letzten Tage, war es nicht schwer, echte Gefühle vorzuspielen.

Ich beobachtete Sebastians Gesicht genau. Kaufte er mir meine Lüge ab?

Ich versuchte, die Emotionen zu lesen, die sich jetzt auf seinem Gesicht widerspiegelten.

Wut? Traurigkeit? Mitgefühl?

Sebastian holte tief Luft, bevor er mir resigniert antwortete:„Ich verstecke mich nicht. Alle denken das. Ich hätte gedacht, dass du anders wärst, dass du es verstehen würdest, aber... Ich habe mich in dir getäuscht."
Er drehte sich von mir weg, seine Schultern sackten nach unten.
„Sebastian, jetzt mach mir keine Schuldgefühle! Was hätte ich denn wissen sollen?"
Er antwortete nicht. Stattdessen sagte er: „Also was das schlafen angeht, Bleib in der Küche. Ich geh jetzt in mein Zimmer."
Er begann zu gehen. Echt super. Ich kannte ihn gerade für knappe zwei Stunden, und schon hatten wir uns gestritten. Ich fühlte, wie mir Tränen über die Schläfen liefen.

Er war der erste Junge, der mich zum Weinen gebracht hatte.

Ich stand auf, und wollte ihm gerade aus der Hintertür folgen, durch die er verschwunden war. Diese Tür hatte ich noch nicht bemerkt. Sie war nicht verschlossen.
Ohne nachzudenken öffnete ich sie und starrte in einen langen, dunklen Gang, von dem die vielen Türen vermutlich zu den Schlafsälen der Männer führten.
Schon bei der ersten Tür stolperte ich über etwas auf dem Boden liegendes.
Wo zur Hölle war Sebastian hin?

Ich übersah schon wieder etwas und krachte laut in einen Schrank.

Oh scheiße!

Ich könnte schon wieder heulen.

Wo war ich hier nur hineingeraten?

Ich hielt ganz still. Hoffentlich hatte niemand etwas gehört. Ich wagte nicht einmal zu atmen.

„Na, Süße? Was tust du denn hier so ganz alleine?"


RUNAWAY (on hold)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt