Kapitel 1

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Joana, Rachel und Hazel wollten mich unbedingt in den Central Park schleppen. "Komm', Anabeth! Das wird lustig", hatte Hazel gesagt. "Und toll", hatte Rachel ihr zugestimmt. Joana hatte mich nur bettelnd angesehen. Es stand drei gegen eins. Und weil es uns nur im Viererpack gab, musste ich halt mit. Anderes hatte ich sowieso nicht vor.
Es war der erste schöne Tag seit langem. Der Winter schien endgültig vorbei zusein und die Temperaturen waren angenehm. Die Sonne strahlte hell am Himmel und Rachel und Hazel hüpften aufgeregt umher, während Joana und ich nur die Augen verdrehten. Joana war eine Klasse unter uns, schien aber die reifeste zu sein. Rachel und Hazel waren immer total aufgeregt, sangen und hüpften umher und ab und an fragte ich mich, ob sie auf Drogen waren.
Rachel kam aus Thüringen, zog aber mit dreizehn mit ihren Eltern nach New York. Manchmal war es lustig anzusehen, wenn sie sich aufregte und nicht mehr Englisch sprach sondern ins Thüringerische wechselte. Hazel und Joana verdrehten nur die Augen, weil sie nichts verstanden, ich stand dann immer daneben und grinste. Man konnte Hazel und Joana immer gut ärgern, indem man anfing, Deutsch zu sprechen. Obwohl Hazel langsam auch anfing, diese Sprache zu lernen.
"Man ist es voll hier", schimpfte Hazel. Dem konnte ich nur zustimmen: Überall waren Menschen. Eltern mit Kindern, Großeltern und Enkel und knutschende Pärchen. Joana ließ den Kopf sinken. Wir vier hatten uns noch mit Jason und Luca verabredet, zwei Jungs aus unserer Parallelklasse, mit denen wir uns gut verstanden. Bei den ganzen Menschen würden wir sie nur sehr schwer finden. "Da drüben ist noch was frei!", rief Hazel und hüpfte hin und her, während sie auf eine leicht schattige Stelle unter einem Baum zeigte. Rachel schüttelte den Kopf, als alle Hazel anstarrten. "Ich kenne dich nicht."
Schnell belegten wir den Platz am Baum, der auf einem kleinen Hügel stand. Rachel und Joana breiteten zwei Decken aus, Hazel zog ein paar Kekse aus ihrer Handtasche. "Wo sind die Jungs denn?", fragte Joana aufgeregt, als wir schließlich alle auf der Decke saßen. Total aufgekratzt fuhr sie mit der rechten Hand durch ihre blonden Haare. "Entspann dich", brummte Rachel. Sie mochte Luca und Jason nicht besonders. Im Gegensatz zu Joana: Seit Wochen konnte man beobachten, wie sie und Luca sich immer mehr annäherten. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die beiden zusammen kamen. Rachel war totaler Anti-Romantiker. Sie hörte immer zu, wenn jemand von uns Liebeskummer hatte und gab gute Tipps, hasste aber selbst alles was damit zu tun hatte. Manchmal war sie total genervt von Joanas Verliebtheit, meinte es aber nie böse.
Hazel war für alles offen und meine Ansichten sind euch ja schon bekannt. Freundschaft mit Jungs ja, große Liebe nein.
Plötzlich sprang Hazel auf. "Da sind sie!" Rachel schüttelte nur den Kopf und versteckte ihr Gesicht in den Händen. "Hazel! Ein bisschen leiser bitte! Danke!" Luca und Jason kamen auf uns zu. Luca war groß. Vor kurzem meinte er, er sei 1,94 Meter groß. Und daneben Jason, ungefähr drei Köpfe kleiner. Wie Zwerg und Riese. Dafür war Jason extrem intelligent und ich hatte ihn total gern.
Nachdem wir uns alle ausgiebig begrüßt hatten, schlug Hazel vor, Eis zu holen. Ich hatte nicht sonderlich Lust auf Essen, ebenso wie Jason. "Ihr könnt ja zur nächsten Eisbude gehen, und wir beiden passen auf die Decken auf." Alle stimmten zu, sodass ich mit Jason zurück blieb.
Stumm legte ich mich auf eine der Decken und starrte in die Blätter des Baums. "Du bist in letzter Zeit so still", meinte Jason und legte sich neben mich. Ich zuckte mit den Schultern. "Ich weiß auch nicht was los ist." Mein bester Freund sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, was seine grauen Augen betonte. Ich seufzte. "Kann ich was Verrücktes sagen?", fragte ich. Jason grinste. "Nur zu." "Weißt du, als ich klein war, lebte ich in Wien. Als ich acht Jahre alt war, zog ein Junge in die Stadt und besuchte die selbe Schule wie ich. Wir waren auf Anhieb die besten Freunde. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich irgendwie das Gefühl mit jemandem verbunden zu sein. Es war keine Liebe, an die glaube ich nicht, aber als ich einmal Kopfschmerzen in der Schule hatte, kam der Junge zu mir und fragte mich, ob ich auch solche Kopfschmerzen hätte. Einmal hatte er sich seinen rechten Arm gebrochen. Ich wusste davon nichts, aber hatte Schmerzen im rechten Arm. Das kam öfters vor. Aber eines Tages, ich war zwölf Jahre alt, zog er weg und wir verloren den Kontakt. Und in letzter Zeit habe ich so ein merkwürdiges Gefühl, so eine Art drücken am Brustkorb. Vielleicht hängt das mit dem Jungen zusammen, aber ich weiß nicht, wo er ist. Ich weiß gar nicht, was mit mir los ist. Das geht jetzt schon zwei Wochen so." Jason hatte die ganze Zeit aufmerksam zugehört. "Vielleicht ist er in New York", bemerkte er. Ich zuckte erneut mit den Schultern. "Glaube ich aber nicht Jason. Und selbst wenn; New York ist riesig. Es würde Ewigkeiten dauern, ihn zu finden. Ich habe seine Nummer nicht, nur alte Fotos. Er wird sich total verändert haben." Jason drehte sich auf den Rücken und starrte ebenfalls in die Blätter. "Ich bin kein Experte für sowas. Aber meiner Meinung nach ist er in der Nähe. Vielleicht hast du ihn gesehen, nur nicht wiedererkannt, spürst aber trotzdem seine Anwesenheit. Du könntest ihn mal auf Facebook suchen." "Du weißt, ich hab kein Facebook, Jason." "Dann suchen wir ihn mit meinem Account." "Und wenn wir ihn finden? Was dann? Schreiben ihn an? Hallo, ich bin's, Anabeth Smith, aus Wien, weißt du noch? Du bist auf den einen auf den nächsten Tag verschwunden und hast dich nie wieder gemeldet. Viele Grüße, hab dich lieb! Oder wie?" Jason verdrehte die Augen. "Es wäre ein Anfang!" "Und was, wenn er sich nicht mehr an mich erinnert? Oder keinen Bock mehr auf mich hat?" In dem Moment kamen Hazel, Rachel, Joana und Luca zurück, jeder ein Eis in der Hand. Hazel riss die Augen auf, als sie Jason und mich nebeneinander auf der Decke liegend fand. "Oh mein Gott! Seid ihr zusammen? Seit wann? Anabeth, warum sagst du mir nichts davon?" Jason lachte, ich verdrehte nur die Augen. "Nein Hazel." Sie zog einen Schmollmund, war aber gleich darauf wieder fröhlich wie immer.
Plötzlich wurde dieses Gefühl im Brustkorb stärker. Alles zog sich in mir zusammen und im nächsten Moment sprang ich auf. "Entschuldigung, bin gleich zurück", murmelte ich und lief den Hügel hinab. Ich fühlte mich extrem unwohl und keuchte. Was soll das, verdammt nochmal? Einatmen, ausatmen. Alles ist gut. "Entschuldigung, geht es Ihnen gut?" Vor mir stand eine junge Frau. "Alles in Ordnung." Sie nickte und ging weiter. Ich ließ meinen Blick über das Gelände schweifen. Eine Gruppe Jugendlicher lief über den Rasen. Einer starrte direkt zu mir. Es war ein Junge in meinem Alter. Kurz kniff er die Augen zusammen, schüttelte den Kopf und ging weiter. Ich schloss die Augen. Er kam mir so bekannt vor. Und doch so fremd. Wer war das? Irgendwo musste ich ihn schonmal gesehen haben.
"Hey, Beth!". Jason lief zu mir. "Alles okay?" Ich schüttelte einfach nur den Kopf. Er nickte und zog mich in seine Arme. Manchmal fragte ich mich, wie ich jemanden wie Jason nur verdient hatte.

Flieg mit mir (Sebastian Stan FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt