In der Nacht dachte ich viel nach. Weichlich wie ich nun mal veranlagt war, tat es mir fast schon wieder leid, dass ich so prüde zu ihm gewesen bin, wo er doch gar nicht wusste, was los war. Aber was er da tat, war unverzeihlich. Wie stellte er sich das vor? Wenn wir verheiratet waren, wollte er sich dann weiterhin mit Sarameh vergnügen? Dachte er ernsthaft, ich würde mir das einfach so gefallen lassen? Aber über meinen Stolz hinweg, dachte ich auch einmal über meine Zukunft nach. Wollte ich wirklich mein Leben im Zwist mit meinem Ehemann verbringen? Wenn ich zurück an Lord Sanners dachte, hatte ich es wirklich gut mit Lord Thymeris, Liebschaft hin oder her. Er gab wirklich sein bestes, es mir so angenehm wie möglich zu machen. Wenn ich an die Sache mit dem Traubensaft dachte, musste ich über meinen Gram hinweg tatsächlich kurz Lächeln.
Vielleicht konnte man über die Ereignisse mit Sarameh irgendwie reden, es irgendwie klären. Ich meine, dass es so in Zukunft nicht weitergehen konnte, musste auch er einsehen.
Aber schon, als ich das in Gedanken durchspielte, wurde mir klar, dass ich niemals den Mut dazu aufbringen könnte, ein solches Gespräch mit ihm zu führen. Dennoch entschied ich mich, nicht mehr so unfreundlich und ignorant zu ihm zu sein, sondern so, wie Meister Devid und meine Eltern es mir mein Leben lang beigebracht hatten. Höflich und zurückhaltend. Lord Thymeris würde am Anfang vermutlich befürchten ich würde unter Stimmungsschwankungen der ernsten Art leiden, aber vielleicht erkannte er ja irgendwann das Friedensangebot. Mich bei ihm zu entschuldigen, sah ich aber trotzdem nicht ein.
Am nächsten Tag sah ich den Lord kein einziges Mal, aber am Abend kam wieder eine Einladung zum Essen. Hinsichtlich der Ereignisse des letzten Abends, konnte das auch nur auf gute Erziehung seinerseits basieren.
Da wir in einem Gasthaus untergekommen waren, stand ich also dieses Mal mit Roya vor einer Holztür. Ich lächelte ihr noch einmal etwas nervös zu, dann klopfte ich dreimal.
Aus dem Raum hörte ich eilige Schritte und als die Tür geöffnet wurde, stand dort Joffrey in einer tiefen Verbeugung. „Mylady", sülzte er an seinen Knien.
„Guten Abend, Joffrey," antwortete ich mit einem strahlenden Lächeln. Oh ja, ich wollte mich wirklich ins Zeug legen. Mein Blick huschte von ihm zum Lord, der sich vom Fenster abwandte, aus dem er geschaut hatte, und auf mich zu kam. Seine Mundwinkel waren hochgezogen, aber wieder einmal berührte es seine Augen nicht, aus denen er mich neugierig musterte. Erwartete er einen Wutausbruch?
„Mylord. Vielen Dank, für die Einladung", ergriff ich zuerst das Wort und hielt ihm meine Hand hin.
„Mylady, es freut mich sehr, dass Ihr sie angenommen habt", erwiderte er und hauchte einen Kuss auf meine Finger, bevor er mich zu meinem Stuhl führte. Als er selbst Platz nahm, beobachtete er mich genaustens. Ich wusste, dass er mein Verhalten abschätzte, versuchte irgendwie meine Gedanken herauszufinden, aber ich lächelte ihn nur unerschütterlich an.
„Ach, Mylord, ich wollte mich noch für Eure Aufmerksamkeit bedanken", sagte ich mit einem Blick auf den Kelch vor mir. „Gestern Abend...hatte mich die Überraschung wohl etwas überrumpelt."
Vielleicht fand er mein Verhalten etwas gruselig – jedenfalls würde es mir so gehen – aber er ließ es sich kein Stück anmerken, sondern ließ seine Mundwinkel kurz hochzucken.
„Wie gesagt, Euer Wohlbefinden ist mir sehr wichtig. Damit ist das selbstverständlich."
„Oh, es wäre nicht für jeden selbstverständlich."
Er sah mich nur kurz an und nahm dann einen Schluck aus seinem Kelch, während er Joffrey ein Handzeichen gab. Ich sah zu ihm auf, als der schlaksige Mann auf mich zu eilte und mir in einer halben Verbeugung das Essen auf dem Tablett anbot. War Joffrey eigentlich der persönliche Diener des Lords oder war er nur für das Mahl zuständig? Ich nahm mir vor, Roya bei der nächsten Gelegenheit danach zu fragen. Eine Antwort vom Lord selber zu erbitten, erschien mir nicht passend.
Als Joffrey uns beiden serviert hatte begannen wir zu essen. Wo ich sonst immer krampfhaft darauf geachtet hatte, nicht zum Lord zu schauen, um nicht seinem Blick zu begegnen während ich den Mund voll hatte, schaute ich ihn nun aufmerksam an.
Er hatte seine Augen auf seinen Teller gerichtet, während er etwas schnitt und aufspießte. Schau an, er beobachtet mich also gar nicht durchgängig, wie ich es immer gedacht habe. Als er kurz aufsah und meinem Blick begegnete, dachte ich ihm ersten Moment er würde sich verschlucken.
„Mylord, wie lange ist es noch bis wir die Königsstadt erreichen?", fragte ich lächelnd, damit er nicht dachte ich würde ihn grundlos beim Essen beobachten. Wobei er selbst das ja auch tat.
„Nun, wir haben bereits in der Lordschaft Birkenhain von der Nord-Süd-Straße auf den Nördlichen Weg der Krone gewechselt und-"
„Wirklich?", unterbrach ich ihn verblüfft, bereute es aber gleich. „Oh, verzeiht, ich wollte nicht..."
Er lächelte nur, seine Grübchen zeigten sich. „Ja. Wir befinden uns bereits in der Lordschaft Goldstern. Hätte ich Euch das erzählen sollen? Verzeihung."
Ich zog leicht den Kopf ein. Es war wohl meine Schuld, dass er es mir nicht sagen konnte, da ich ihn ja quasi eine Weile verweigert hatte.
„Jedenfalls treffen wir etwa in einer Woche in der Königsstadt ein. Vielleicht anderthalb."
Zwar lächelte er, doch sein Blick wurde etwas bedauernd, während er sprach. Neugierig legte ich den Kopf schief und strahlte ihn an. „Stimmt etwas nicht?"
„Hm?" Er setzte seinen Kelch ab, aus dem er gerade zu trinken begonnen hatte. Dann seufzte er und grinste schief. „Nun ja, wie Ihr vielleicht wisst, hat der König in zwei Wochen Geburtstag."
Ich nickte. Zwar hatte ich es verdrängt, aber grundsätzlich wusste ich es.
Er stellte den Kelch ab und begann daran herumzudrehen. „Wie jedes Jahr wird ein Turnier stattfinden. Da es ein runder Geburtstag ist, ein etwas größeres. Ich hatte insgeheim gehofft, wir würden nicht so schnell voran kommen und erst später eintreffen, aber... na ja."
So ganz verstand ich nicht worauf er hinaus wollte und überlegte krampfhaft. Er lachte leise, als er meinen wohl verwirrten Gesichtsausdruck bemerkte. Irgendwie war das Geräusch ungewohnt, aber aus irgendeinem Grund kribbelte es in meiner Brust und ich errötete.
„Er wird mich zwingen teilzunehmen", erklärte er mit krausgezogener Nase, grinste aber immer noch.
Ich errötete noch mehr, weil ich mich dafür schämte, es nicht selbst begriffen zu haben, versuchte aber abzulenken. „Sind Turniere nicht normal für Ritter? Oder seid Ihr nicht gut?" Zu spät bemerkte ich, dass ihn diese Frage beleidigen könnte, griff aber schnell nach meinem Traubensaft, um es zu überspielen.
Tatsächlich verschwand sein Lächeln, aber sein Blick blieb freundlich, während er mich mit schief gelegtem Kopf betrachtete. Kurz schien er nachzudenken. „Doch, vermutlich bin ich ganz gut, aber mir gefällt der Trubel nicht. Vor allem nicht, wenn man gewinnt."
„Also habt Ihr bereits gewonnen", stellte ich fest.
„Ja." Er nickte nur und wandte sich wieder seinem Essen zu. Ich tat es ihm gleich.
In Gedanken versuchte ich mein Wissen über Turniere zusammen zukratzen. Es gab verschiedene Disziplinen in denen sich die Ritter beweisen mussten, das war ja klar. Aber wie war es nun, wenn ich die Verlobte einer der Teilnehmer war? Vermutlich musste ich ihm mit einem seidenen Tuch zu winken und ihn anschmachten. Argh.
Als ich merkte, dass er sein Mahl beendet hatte, legte ich ebenfalls mein Besteck beiseite - auch wenn ich meinen Teller gar nicht geleert hatte – und sah ihn lächelnd an. Heute würde ich ihm nicht die Gelegenheit bieten, mich in Verlegenheit zu bringen. Er erwiderte das Lächeln erstaunlich aufrichtig.
„Sagt, Mylady, würdet Ihr mich noch auf einen kurzen Spaziergang begleiten?"
Die Frage überraschte mich etwas. Nie verbrachte ich mehr Zeit mit ihm, als für das Abendessen. Mein Blick glitt zum Fenster, es war bereits dunkel draußen.
„Gern", antwortete ich. Ich wollte schließlich nicht mehr so abweisend zu ihm sein. „Aber lasst mich noch schnell einen Mantel holen."
„Selbstverständlich." Er stand auf, kam zu mir und zog mir den Stuhl zurück. Dann bot er mir seinen Arm und führte mich zu meinem Zimmer. Ich lächelte flüchtig und verschwand im Raum.
Roya sah auf, als ich eintrat. Sie saß auf einem Stuhl und hatte wohl aus dem Fenster geschaut.
„Ah, Mylady, Ihr seid zurück", sagte sie mit ihrem sympathischen Dialekt.
Hastig lief ich zum Schrank und schüttelte den Kopf. Ich wollte den Lord nicht allzu lang warten lassen. „Nein, er hat mich zu einem Spaziergang eingeladen."
Sie schaute kurz überrascht und strahlte dann. „Oh, wie aufmerksam von ihm! Es ist Vollmond wisst Ihr? Vielleicht möchte der Lord Euch endlich näher kommen."
Verdutzt sah ich auf, den weißen Umhang mit dem grauen Turm auf dem Rücken schon in der Hand. „Wieso das? Er möchte doch bloß ein Stück mit mir gehen."
Sie lachte, ein witziges Geräusch bei ihrer rauen Stimme, wie ich fand. „Wisst Ihr, Mylady", begann sie und stand endlich auf um mir den Mantel umzubinden, „Bei uns im Süden ist ein Spaziergang bei Mondschein etwas sehr romantisches." Sie zwinkerte. „Vor allem bei Vollmond."
Ich konnte nicht verhindern, dass ich errötete und meine Gedanken zu dem Abend am Lagerfeuer huschten. Schnell schüttelte ich den Kopf. „Nein." Ich sah zu Boden, während sie die Bänder vor meiner Brust verknotete. „Ich denke er hat nur aus Höflichkeit gefragt."
Darauf antwortete sie nicht mehr, sondern lächelte nur in sich hinein.
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Stern des Nordens
FantasyDas Land ist zerstritten. Um die Anhänger des Königs zu stärken, sollen die nördlichen und südlichen Lordschaften durch die Hochzeit der jungen Lady Aree und des schleierhaften Lord Thymeris' vereint werden. Durch Intrigen versuchen Feinde der Krone...