Ich hatte Recht behalten, aus meinem Plan in der Stille zu beobachten wurde nichts. Wenn der König nicht gerade den Mund voll hatte – manches Mal auch trotz dessen – redete er ohne Unterbrechung. Je mehr Wein er trank, desto fröhlicher wurde er, doch ansonsten merkte man ihm seine Trunkenheit kaum an.
Ich erfuhr sehr viel über Goldstern, über ihn und auch die ein oder andere Geschichte von seinem Vater. Ab und zu fuhr Lord Thymeris ihm dazwischen, beispielsweise wenn er anfing von den Freudenhäusern der Stadt zu erzählen, aber darüber wollte ich nun wirklich nichts hören.
Irgendwann wurde er abgelenkt, weil ein älterer, aber dennoch sehr robuster Mann die Treppen zu unserem Tisch hinauf kam. Ich glaubte ihn als Lord Matthes Oakwin von Waldherz zu erkennen. Seine zottigen schulterlangen Haare und sein fülliger Bart waren bereits vollständig ergraut, doch seine grünen Augen strotzen voller Leben. Er begrüßte Lord Thymeris mit einem Kopfnicken und verwickelte den König in ein Gespräch, also lehnte ich mich seufzend zurück und sah zu meinem Verlobten. Dieser wandte den Kopf, als er meinen Blick bemerkte und lächelte leicht.
Er schien gerade etwas sagen zu wollen, als eine hohe Stimme von hinten erklang.
„Rajan!"
Wir beide wandten uns um, ich verwundert, er offensichtlich schon wissend, denn er stand auf und ließ sich in eine feste Umarmung ziehen, von der Frau, die dort plötzlich hinter uns stand.
„Mein Gott, wieso hat mir niemand gesagt, dass du wieder in Goldstern bist?", nuschelte sie in seine Schulter. „Und das bei meinem Lieblingsneffen!"
Der Lord zwinkerte mir zu und formte „Einziger Neffe" mit seinen Lippen. Kurz ließ er sich noch drücken, dann schob er sie sanft von sich.
„Tante Othilia, ich möchte Euch jemanden vorstellen, meine Verlobte, Lady Aree Braiden."
Jetzt wandte sie sich das erste Mal mir zu, und erst jetzt begriff ich. Dies musste Lady Othilia Aellin, die Mutter von König Odrick sein. Sie war eine große, sehr dünne Frau, mit scharfen Zügen und strengen grauen Augen, ihre Haare waren von einer weißen Kappe verdeckt. Ähnlichkeiten zu ihrem Sohn konnte ich keine ausmachen. Von der Freude, die sie eben noch ihrem Neffen entgegen bringen konnte, war nicht mehr viel übrig, als sie mich musterte. Ich erhob mich eilig, lächelte und vollführte brav einen Knicks.
„Es freut mich sehr, Euch kennen lernen zu dürfen, Lady Othilia."
„Das ist sie also, ja?", sagte sie an Lord Thymeris gewandt, anstatt mir zu antworten. Und ehe ich mich versah, hatte sie mit spitzen Fingern mein Kinn umfasst und drehte mein Gesicht einmal in jede Richtung, um mich kritisch zu betrachten.
„Hübsch ist sie ja, aber vermutlich steckt da nicht viel hinter."
Sie ließ mein Kinn wieder los und erstaunlicherweise klappte es nicht gleich herunter.
Der Lord verschränkte schmunzelnd die Arme vor der Brust. „Lerne sie erst einmal kennen, Tante. Sie wird dir gefallen, da bin ich mir sicher."
Irgendwie fühlte ich mich ein bisschen wie eine teure Vase oder ein Zuchttier, über das die beiden diskutierten.
Sie ließ nur ein argwöhnisches Geräusch hören, bevor sie sich wieder von mir abwandte, dem Lord noch kurz die Wange tätschelte und schließlich davon stolzierte.
Er sah ihr nur schmunzelnd und, wenn ich mich nicht täuschte, auch leicht kopfschüttelnd hinterher, bevor er den Blick seiner dunklen Augen auf mich richtete.
„Wollt Ihr tanzen, Mylady", fragte er und hielt mir einladend die Hand hin.
Gut, Tanzen wäre vielleicht nicht das erste, was mir nach einer solchen Situation in den Sinn kam, dennoch willigte ich ein und ließ mich auf die freie Fläche führen.
Er war ein guter Tänzer, führte mich sanft, aber sicher und trat mir nicht ein einziges Mal auf den Fuß, wie Arlisar es öfter getan hatte. Vater hatte nie gerne und wenn dann nur kurz mit meiner Mutter getanzt, von Arjon ganz zu schweigen. Somit war mir Arlisar bisher als einziger Tanzpartner gewährt. Dieser rechtfertigte seine Fehltritte zwar stets mit der Aussage, er sei Krieger und kein Barde, aber ich glaubte bis heute, dass es zumindest teilweise pure Absicht war. Selbst wenn nicht, hier hatte ich ja den Beweis, dass ein Kämpfer durchaus dazu in der Lage sein konnte vernünftig zu tanzen.
Während er mich langsam, zum Takt der leichten Musik passend, durch den Saal drehte, beobachtete ich zum ersten Mal an diesem Abend die Menschen um uns herum.
Es gab mehrere Paare, die um uns herum wirbelten. Ich kannte nur die wenigsten, einer davon war Lord Oakwin. Scheinbar hatte er sein Gespräch mit dem König beendet und hatte nun eine junge Frau mit dunklem Haar im Arm. Ich hoffte nur inständig, dass sie nicht seine Frau war. Bei einer Drehung trafen sich unsere Augen und sofort breitete sich ein Strahlen auf ihrem Gesicht aus. Etwas überrumpelt lächelte ich zaghaft zurück, aber genau in dem Moment verschwand ihr Gesicht hinter Lord Thymeris' Schulter.
Kurz dachte ich noch nach, ob ich sie irgendwoher kennen könnte, weswegen sie scheinbar so erfreut war mich zu sehen, doch ich kam zu keinem Ergebnis.
Ich wurde abgelenkt, als ein ziemlich auffälliger Mann in mein Blickfeld kam. Er war groß und ziemlich dürr und trug extrem grelle, in den Farben Dunkelviolett, Grün und Blau gehaltene, bauschige Kleidung. Sein hellbraunes Haar war unter den Ohren in einer exakten Linie abgeschnitten und er schien tatsächlich Ohrringe zu haben. Auch er hatte eine Frau im Arm, aber er.... nun ja, er stelzte mehr, als dass er tanzte.
„Peyton Idle", raunte mir der Lord ins Ohr, anscheinend war er meinem Blick gefolgt. „Erbe des Throns von Eden. Dort hinten ist sein Bruder Benjamin. Wir sprachen vorhin kurz über sie."
Ich sah in die Richtung, in die er mit dem Kopf genickt hatte. Und Hölle, der Mann dort sah fast genauso aus! Dürr, schrill und seine Nase reckte er fast mehr in die Höhe, als seinen seltsam frisierten Haarschopf. Sein eitler Blick glitt über die Menge und man könnte den Eindruck bekommen, er meine, sie seien alle nur wegen ihm hier. Als er kurz davor war mich beim interessierten Mustern zu erwischen, sah ich schnell weg und geriet irgendwie in die braunen Augen des Lords.
Beim Tanzen sollte die Aufmerksamkeit eigentlich beim Partner liegen, meine war überall anders, aber nicht bei ihm. Jedoch schien er keineswegs erzürnt, er lächelte sogar.
„Für Euch ist das alles neu, nicht wahr?"
„Ja, das letzte Mal, dass ich an solch einer großen, gemischten Gesellschaft Teil hatte, ist schon einige Jahre her."
Er nickte wissend. „Ihr solltet Euch daran gewöhnen, ich werde öfter in Goldstern gebraucht und so manches Mal her reisen. Es wird wohl häufiger vorkommen, dass Ihr mich begleitet. Außer natürlich Ihr wollt lieber in Meereshorn bleiben, dann zwinge ich Euch nicht."
„Ich...ich denke, ich schaue erst einmal wie ich mich dort eingewöhne. Das hat ja bestimmt noch Zeit."
„Ja, sicher."
Eine Weile tanzten wir schweigend weiter. Ich fragte mich gerade, ob dieses Lied eigentlich je ein Ende nehmen würde, als ich auf seinem Podest den König sah und mir damit eine Frage einfiel, die mir schon den ganzen Abend im Kopf herum spukte. Nun gut, eigentlich hatte ich eine Menge Fragen zu Odrick Aellin, denn er war ein sehr spezieller Mann, aber diese wollte ich zuerst loswerden, zumal sie eventuell etwas taktlos schien.
„Wieso hat er keine Haare mehr?", platzte es einfach so aus mir heraus, obwohl ich eigentlich vor hatte es etwas sensibler zu verpacken und ich errötete. Die Frage erscheint im ersten Moment vielleicht merkwürdig, aber seine Kopfhaut glich nicht der eines haarlosen alten Mannes. Sie war teilweise seltsam glatt, mit komischen Wülstungen an einigen Stellen.
Der Lord zog schmunzelnd eine Augenbraue hoch und setzte zu einer Antwort an, als hinter uns eine Stimme erklang.
„Ich erkläre es Euch gerne selbst, Mylady, wenn Ihr mir den nächsten Tanz schenkt."
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Stern des Nordens
FantasyDas Land ist zerstritten. Um die Anhänger des Königs zu stärken, sollen die nördlichen und südlichen Lordschaften durch die Hochzeit der jungen Lady Aree und des schleierhaften Lord Thymeris' vereint werden. Durch Intrigen versuchen Feinde der Krone...