Kapitel 52: Im Zeichen des Basilisken

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Am nächsten Morgen wurde ich von leisem Vogelgezwitscher geweckt, das sanft von draußen hereindrang. Eigentlich genoss ich das immer sehr, doch es war eine harte Nacht gewesen. Nach der Auseinandersetzung mit Rajan und der anschließenden Streitigkeit mit Arjon hatte ich letzte Nacht nicht viel Schlaf gefunden. Hinzukam, dass mich bei Nacht immer wieder die Erinnerung an den Tod von Arley einholten, die ich bei Tage bislang gut verdrängen konnte.

Am liebsten hätte ich mich umgedreht und einfach weitergeschlafen, da ich aber wusste, dass Roya jeden Augenblick kommen würde, strampelte ich mich stöhnend aus den Laken und setzte mich auf.

„Ah, guten Morgen, Mylady, Ihr seid ja schon wach!", erklang da die vertraute Stimme vom vorderen Bereich des Zimmers.
„Ja, ich konnte nicht mehr schlafen", murmelte ich und rieb mir die Augen. Und wie ich jetzt noch schlafen könnte.
„Das ist gut, wir müssen uns nämlich beeilen. Lord Thymeris möchte Euch sehen."

Ich stockte, seufzte dann und fuhr mir mit den Fingern durch die Haare.
„Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich ihn sehen möchte." Wahrscheinlich würde es mir nach gestern wirklich schwer fallen, ihm wieder in die Augen zu sehen.

„Es tut mir leid, aber er sagte, er dulde keine Widerrede. Wenn Ihr Euch weigert, würde er Euch auch im Nachtgewand zu sich schleifen lassen."

~

So strenge Ansagen war ich von Rajan nicht gewohnt. Ganz im Gegenteil, eigentlich hatte er mir bislang beinahe alles durchgehen lassen. Dass er plötzlich so hart durchgreifen wollte, schloss ich als Folge meines Verhaltens gestern.

Ich wusste nicht genau, wo es hinging, denn ich wurde von einem mir fremden Gardisten durch die Gänge geführt, doch mit jedem Schritt pochte mein Herz doller. Gedanklich bastelte ich mir bereits einige Entschuldigungen zusammen, aber als die dunkle Tür aufgeschoben wurde und wir durch einen Seiteneingang in einen kleinen Saal mit schmalen steinernen Säulen traten, waren alle Gedanken wie weggewischt. Es war nicht sonderlich hell hier drin, da durch zwei schmale Scharten nur spärliches Licht fiel.

Zuerst sah ich Meister Aureus. Er kniete in der Mitte des Raumes auf dem Boden, seine schwarzen Gewänder verteilten sich um ihn herum. Sein Mund war zu einem dünnen Strich zusammengepresst, eine tiefe Falte prangte zwischen seinen Augenbrauen. Vor ihm lag eine Gestalt mit braun-gräulichem Haar und kalkweißer Haut. Mehr konnte ich nicht erkennen, bevor der Meister ein dünnes weißes Laken über seinen Kopf zog und einmal die Hände vorm Gesicht faltete.

Etwas abseits stand eine kleine, rundliche Frau. Ihre ganzer Körper wurde von nicht enden wollendem Schluchzen geschüttelt, ihr gerötetes Gesicht war Tränen überströmt.

Vor ihr stand Rajan, hatte ihre kleinen Hände in seine großen genommen und redete leise auf sie ein, bis der Mann, der mich hergeführt hatte, zu ihm kam und ihm leise etwas ins Ohr flüsterte.

Er sah auf und unsere Blicke trafen sich für einen kurzen Augenblick.

„Entschuldigt mich", hörte ich ihn sagen, dann kam er auf mich zu.

Gerade stand Meister Aureus auf und trat beiseite, um sechs Priestern Platz zu machen. Sie stellten sich in einen Kreis um den Toten, jeder eine brennende Kerze in der Hand, und verfielen in einen leisen unverständlichen Singsang, der aber durch die Leere des Raumes von allen Seiten widerhallte.

„Wer ist er?", fragte ich leise, als Rajan neben mich trat, den Blick stur auf die verdeckte Gestalt in der Raummitte.

„Edar Rynon", antwortete er ebenso leise, seine Stimme klang bitter.

Schockiert sah ich zu ihm auf, aber in seinem Gesicht ließ sich kein Zweifel finden.

„Rynon?! Aber... wieso?"

Stern des NordensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt