Kapitel 57: Lady Thymeris

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Schweigend beobachtete ich die tanzenden Paare auf der Freifläche zwischen den Tischen.
Vor einigen Minuten hatten Rajan und ich den Tanz eröffnet, waren aber, da mir das Tanzen mit dem schweren, fülligen Rock sehr schwer fiel, nach zwei Liedern wieder zum Tisch zurückgekehrt. Zu einem weiteren Tanz konnte mich glücklicherweise niemand auffordern, da ich heute Rajan vorbehalten war.
Dieser saß ebenso schweigend neben mir und drehte wie so oft an seinem Kelch, das Kinn nachdenklich auf der Hand abgestützt.
Er hatte fast ausgetrunken, während mein Becher noch bis oben hin voll war. Ich hatte mich bemüht und ein paar Mal daran genippt, aber der herbe Geschmack des Weins bereitete mir einen Knoten im Magen.

König Odrick war so heiter wie schon lange nicht mehr. Zwar wirkte er trotzdem nicht wie der Mann, der er einst war, doch nach der dritten Fuhre Alkohol begann er sogar einige Witze zu reißen und dann selbst am lautesten darüber zu lachen.
Generell war die Stimmung auf der Feier recht ausgelassen.
Rajan hatte mir nebenbei erzählt, dass eigens eine Handelskarawane aus Sonnenhöh beordert wurde, die den Wein nach Goldstern brachte. In Sonnenhöh wurde der beste und nebenbei auch der meiste Wein des Landes produziert. Die Berghänge waren übersät mit Gärten und Plantagen. Selbst hatte ich das zwar noch nie gesehen, aber jeder erzählte davon.

Lady Rynon und das Gefolge von Sonnenhöh waren allerdings nicht mehr anwesend. Direkt am Tag nach der Ermordung von Edar Rynon waren sie samt dem Leichnam des Lords in die Heimat aufgebrochen.

Auch die Standarte von Nebelkamm war nirgends im Saal aufgestellt worden...
Irgendwo in meinem Herzen zog sich etwas zusammen. Wo war Demian und wie ging es ihm?

„Sie scheinen sich recht gut zu verstehen", raunte mir Rajan plötzlich ins Ohr und ich sah ihn irritiert an.
„Hm?"
Er nickte nur in Richtung der Tanzfläche.

Arlisar und Therisa fielen mir direkt ins Auge.
Er flüsterte ihr etwas ins Ohr, woraufhin sie fröhlich lachte und ein winziges Stückchen näher an ihn rückte.

Auch sie würden heiraten... Über das ganze Chaos der letzten Tage hatte ich das völlig vergessen.
Waldherz und Schneewacht lagen Grenze an Grenze, so würde Therisa nie weit von ihrer Familie entfernt sein. Sie würde Lady von Schneewacht werden und den Namen 'Braiden' annehmen, den Namen, den ich soeben abgegeben hatte.

Ich war jetzt Aree Thymeris, Lady von Meereshorn.

Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch sah ich wieder zu Rajan, der ebenfalls wieder mich anschaute. Erst lächelte er, doch dann sanken seine Mundwinkel herab und er zog ernst die Augenbrauen zusammen.

„Übrigens, ich..." Er hob die Hand und fuhr sich einmal seufzend durchs Haar. „Es tut mir leid, wie Odrick... vorhin eines Kriegsrede gehalten hat. So sollte man nicht über eine Heirat sprechen. Selbst nicht er als König."

Ich senkte den Blick, starrte auf meine Hände und dachte daran, was Odrick über unseren Ehebund gesagt hatte.

Er ist ein Vertrag... ein Zeichen... Eine Waffe!
Drum seien diese beiden zu Mann und Frau erklärt, auf dass er besiegelt ist - unser Triumph!

Wahrscheinlich glich es wirklich eher einer Rede, die man hielt, bevor man sein Heer in den Tod schickte.

„Aber er hat doch recht, oder?" Ich bis mir auf die Lippe und sah wieder auf. „Das alles hier ist doch nur eine... Machtdemonstration."
Rajan zog entgeistert die Augenbrauen hoch. „Schade, dass du das so siehst, Aree, denn es ist viel mehr als das."

Ich setzte an ihm zu widersprechen, ihm vor Augen zu halten, wie es mit unserer Heirat plötzlich alles Schlag auf Schlag gehen musste, wie Odrick es nicht dulden wollte, dass man ihm „in den Vorgarten geschissen" hatte, wie er es ausdrückte, doch ich überlegte es mir anders.

Ich wollte selbstlos sein. Ich wollte das Wohl aller über mein eigenes stellen. Und dazu gehörte wohl auch eine gehorsame Ehefrau zu sein.
„Tut mir leid", murmelte ich deshalb nur und zog es vor, Rajans irritierten Blick zu ignorieren und mich wieder meinem Bruder und seiner Verlobten zu widmen.

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