Kapitel 41: Von Politik und Familie

5.5K 402 25
                                    

Arlisar schob eine Strähne hinter sein Ohr und kratzte sich an der Nase, während er nachdenklich an die Wand starrte. Eine Geste, die ich schon oft bei ihm beobachtet hatte.
Irgendwie war es seltsam meine Brüder hier zu sehen. Natürlich, ihr Anblick war sehr vertraut, aber hier in Goldstern, in diesem großen, hellen, prunkvollen Raum, zwischen edel gekleideten Lords und Ladys, das war komisch.
„Waldherz war keine Verwunderung," murmelte Arlisar gedankenverloren. „Und wie Ihr sagtet Sonnenhöh und Rotwind ebenfalls nicht."
Rajan schüttelte den Kopf. „Nein. Es war klar, dass sie zu Meereshorn hielten. Nur mit Wolfsfelsen hätte ich eigentlich noch gerechnet."
„Vielleicht wollte Sir Winstor keine Entscheidung treffen, die sein Lehnsherr nicht unterstützt hätte", mutmaßte ich vorsichtig.
„Möglich", antwortete Rajan und begann an dem Kelch vor sich zu drehen. Mal wieder. Irgendwann nehme ich ihm seinen Becher weg.
„Was mich nur sehr verwundert hat", begann Arlisar, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust, „war Nebelkamm. Ich hätte mit einer Gegenstimme oder bestenfalls einer Enthaltung gerechnet." Er musterte mich scharf, während ich verlegen auf meine ineinander verschränkten Finger starrte. Anscheinend hatte er Demians Kommentar von vorhin nicht vergessen. Kurz spürte ich auch den Blick meines Verlobten auf mir, bevor er nur mit einem leisen „Hm" antwortete.
„Warum sprach denn sein Sohn? War der Lord nicht anwesend?"
„Doch, er war da. Als ob er sich das entgehen lassen würde. Warum Demian sprach, weiß ich nicht."
„Und die anderen Enthaltungen?", fragte nun Arjon, was mich offen gesagt sehr verwunderte. Bisher hatte er nur unbeteiligt dagesessen und in die Gegend gestarrt.
Rajan legte abschätzig den Kopf schief und schüttelte dann den Kopf. „Waren zu erwarten. Silberlerchen hält sich grundsätzlich neutral und Drachenfall bekennt sich nur selten zu irgendwelchen Parteien."
„Und Eden?"
Daraufhin schnaubte mein Verlobter nur. „Nichts für ungut, aber weder Peyton, noch Benjamin, haben eine Ahnung von irgendwas."
„Wundert mich nicht", brummte Arjon dazwischen, „Das sind ja nur Witzfiguren."
„Es war also abzusehen, dass sie sich einfach der Mehrheit anschließen. Lord Idle ist wahrlich nicht zu beneiden. Vielleicht um seine Ländereien, aber bestimmt nicht um seine Söhne."
Wir alle sahen zum Tisch von Eden, wo die Brüder mit hochgereckten Nasen thronten und offensichtlich über die Dekoration diskutierten.
Arlisar grinste und schüttelte den Kopf. „Nein, wahrlich nicht." Dann wandte er sich wieder mir zu. „Wir haben ja leider nicht gehört, was du ihnen erzählt hast, aber du musst überzeugend gewesen sein, dass niemand für Sanners gestimmt hat."
Ich runzelte zweifelnd die Stirn. „War ich das? Ich glaube nicht, dass die Entscheidung tatsächlich auf dem Prozessverlauf basierte."
Rajan hob anerkennend die Augenbrauen, als hätte er so viel Weitsicht nicht von mir erwartet. Eigentlich etwas beleidigend. Aber er hatte ja recht, ich hat nicht viel Ahnung von Politik, warum also von so etwas.
„Vielleicht war es grundlegend von der aktuellen politischen Lage bestimmt, das mag sein. Aber wie ich es schon sagte, in den letzten Jahren ist das Ansehen von Birkenhain und Lord Sanners deutlich gesunken. Es kam immer wieder zu öffentlichen Pöbeleien und auch Anfeindungen gegen seine eigenen Vasallen. Auf Dauer dringt das nach außen. Wer nicht begreift, was Treue und gegenseitiger Nutzen im engsten Sinne bedeuten, kann auch auf erweiterter Basis kein gutes Verständnis dafür haben. Außerdem hat Lord Sanners in seiner eigenen Lordschaft dadurch kaum Rückhalt. Wer will schon einen Verbündeten, der im Ernstfall keine Stärke bieten kann?"
Ich nickte leicht. Das verstand sogar ich.
„Zusätzlich war es sehr leichtsinnig von Sanners einen solchen Prozess einzuberufen, wenn er keine Beweise vorlegen kann und nur eine einzige Zeugin zur Verfügung hat. Selbst wenn irgendwer politisch gesehen vielleicht Birkenhain befürwortet, war er schlau genug, dies zu erkennen und sich nicht für ihn auszusprechen."
„Er hatte noch seinen Sohn", wandte ich ein. „Vielleicht ging er davon aus, dass dieser als Zeuge gewertet wird. Außerdem hat er ja sowieso gelogen, ich kann schon froh sein, dass er nicht behauptet hat, mich ebenfalls von dieser 'Verschwörung' reden gehört zu haben."
„Stimmt wohl", murmelte Rajan und betrachtete mich. Kurz hatte es den Anschein, als wolle er meine Hand ergreifen, hielt sich dann aber vor meinen Brüdern doch zurück.
Arlisar seufzte laut und als ich wieder zu ihm sah, schmunzelte er mich an.
„Wir scheinen ja einiges verpasst zu haben, Schwesterlein. Da bist du zum ersten Mal ganz allein von zuhause weg, schon schaffst du es dir einen Gerichtsprozess auf den Hals zu hetzen."
„Das ist doch nicht meine Schuld!", protestierte ich empört.
„Versuch einfach mal nicht die Heldin zu spielen, Aree!", fauchte Arjon urplötzlich. „Das hätte uns schon öfter eine Menge Ärger erspart!"
Erst starrte ich ihn verdutzt an, dann wurde auch ich wütend. Wir hatten uns nie sehr gut verstanden, aber dass er mich nun dermaßen angriff, wollte ich mir nicht gefallen lassen.
„Was soll das denn bitte heißen?", keifte ich zurück und wollte eigentlich zu einer längeren Argumentation ansetzen, als Arlisar beschwichtigend dazwischen fuhr.
„Ist gut! Streitet euch nicht schon wieder!" Er legte Arjon eine Hand auf den Arm und zwinkerte mir zu. „Wir wissen ja, dass Aree schon immer ein eigentlich viel zu großes Herz hatte."
„Ich bitte dich Arlisar! Wer ist denn so bescheuert und rennt in einer fremden Festung irgendeinem heulenden Weib hinterher! Noch dazu in Birkenhain! Da kann man sich doch denken, dass das zu Ärger führt!"
„Es ist gut, habe ich gesagt!" Arlisar sah unseren Bruder nun mit warnendem Blick an, während ich ihn zornig niederstarrte. Und sowas nennt sich dann Familie.
Arjon schnaubte nur resigniert und verschränkte die Arme vor der Brust.
Meine Wut wurde erst etwas gemildert, als ich Rajans Hand auf meiner spürte. Anscheinend hatte er sich nun doch entschieden sie zu ergreifen.
Meine Brüder reagierten auf die Geste, als würde jemand hinter uns stehen und mit einer Fackel daraufzeigen. Arlisar zog schmunzelnd die Augenbrauen hoch, während Arjon Rajans Hand anstarrte, als würde er sie am liebsten abbeißen. Aber ihn würde ich für den Rest des Tages sowieso ignorieren.
Ich sah zu meinem Verlobten auf, der mich mit amüsiert glitzernden Augen musterte, ein leichtes Grinsen umspielte seine Lippen. Und in etwa konnte ich mir vorstellen was er dachte. Es war wieder meine dickköpfige, herausfordernde Art, mit welcher ich ihm auch seine Liebschaft mit Sarameh vorgeworfen hatte.
„Aber warum hat Sanners es dann überhaupt getan? Den Prozess einberufen?Wieso hat er nicht selber bemerkt, wie leichtsinnig das war?" Arlisar kratzte sich die Nase und lehnte sich wieder nachdenklich zurück. Er hatte es einfach so in die Runde gefragt, nicht wirklich mit Erwartung auf eine plausible Erklärung, aber ich spürte wie Rajans Griff fester wurde. Er zog die Augenbrauen zusammen und starrte finster auf die Tischplatte.
„Alles in Ordnung?", flüsterte ich ihm besorgt zu, doch er drückte nur noch einmal meine Hand, bevor er sie los ließ und aufstand.
„Bitte entschuldigt mich. Ich muss mit meinem Vetter sprechen." Damit wandte er sich um und verließ mit großen Schritten den Raum.

~

Noch immer saßen wir da, zu dritt an einem Tisch in dem großen Kaminzimmer, in dessen Kamin zu dieser Jahres Zeit allerdings kein Feuer brannte. Arlisar am rechten Kopf des Tisches, zurückgelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt und starrte mit gedankenverlorenem Blick in eine Ecke des Raumes. Arjon hockte auf dem Stuhl mir gegenüber, ebenfalls die Arme verschränkt und immer noch schmollend.
Da Rajan unsere kleine Runde verlassen hatte, war rechts von mir und daher links von Arlisar noch ein freier Platz.
Ich seufzte leise. Wir hatten uns länger nicht gesehen und anscheinend trotzdem so wenig zu erzählen. Doch, ich würde schon gerne etwas erzählen, aber Arjons Anwesenheit verdarb mir die Laune daran. Egal was ich sagen würde, von ihm kam sowieso nur Gekeife und Kritik. Aber eine Frage war mir doch wichtig, die ich bisher noch nicht stellen konnte, nach dem Prozess und der anschließenden Zusammenkunft hier im Kaminzimmer.
„Wie geht es unseren Eltern?", fragte ich lächelnd. „Und den beiden Kleinen? Sind sie wohlauf?"
Ich hatte mit einem Grinsen als Antwort gerechnet und einem detaillierten Bericht über irgendwelche Dinge, die Arden wieder angestellt hatte oder darüber, wie sehr Arley doch gewachsen war und wie Mutter und Vater mich vermissten. Doch stattdessen wurden Arlisars Züge hart und er tauschte einen bedeutungsschweren Blick mit Arjon.
„Was. Was ist los?" Ich sah irritiert von einem zum anderen.
Arlisar beugte sich vor und streckte seine Hand auf der Tischplatte nach meiner aus, erreichte sie aber nicht
„Aree", begann er vorsichtig und der Unterton in seiner Stimme ließ mir das Blut aus dem Gesicht entweichen. „Es ist einer der Gründe, warum wir hier sind..."
„Ist etwas passiert?" Ich bemerkte selber, dass meine Stimme etwas hysterisch klang, konnte aber nichts dagegen unternehmen, denn Panik hatte die Überhand ergriffen.
„Bitte, Aree, ich glaube es ist hier nicht der richtige Ort, um-"
„Arlisar! Was ist passiert?!"
Wieder dieser Blick, den sie tauschten. Wissend, bitter.
Arlisar kniff kurz die Augen zu, ballte die Hand zur Faust und atmete tief ein. Als er die Augen langsam öffnete lag eine unbekannte Trauer darin, die mir fast das Herz zerriss.

„Arley. Er ist tot."


Stern des NordensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt