Kapitel 32: Das Turnier - III

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Die Eröffnungsspiele waren beendet und der Start des Hauptteils des Turniers – der Tjost – stand unmittelbar bevor. Nachdem ich noch eine Weile mit Janus geredet hatte, beschloss ich Rajan aufzusuchen und ihm Glück zu wünschen.
Als wir das große Rundzelt mit dem Wappen von Meereshorn erreichten, kam Rajan grade heraus und schwang sich auf den Rücken seines Pferdes, dass schon bereit vorm Eingang stand. Er langte grade nach dem Helm, den der Knappe ihm hinhielt, da sah er kurz auf und unsere Blicke kreuzten sich.
Überrascht hielt er in der Bewegung inne und begann dann zu lächeln, dass sich die Grübchen auf seinen Wangen zeigten.
„Guten Morgen", rief er mir zu und machte Anstalten wieder abzusteigen.
„Nicht! Ich wollte nur..." Ich griff an meine Hüfte, wo eine kleine Tasche eingenäht war, und zog mein besticktes Seidentuch heraus. Wenn er schon mit dem Ringstechen an irgendwelchen Traditionen festhielt, dann konnte ich das auch.
Etwas unsicher trat ich an das große Schlachtross heran. Ich glaube der Schock von vorhin saß mir immer noch in den Knochen. Tatsächlich begann es leicht zu tänzeln, als ich mich näherte und warf schnaubend den Kopf hoch, doch mit einem kurzen, bestimmten Ruck an den Zügeln stand es wieder still.
„Vielleicht bringt es dir Glück", murmelte ich ein kleines bisschen schüchtern und streckte ihm mein Tuch entgegen. Etwas zögernd nahm er es mit seiner behandschuhten Hand entgegen und betrachtete die mit feinem, silbrig-schimmerndem Garn eingestickten Schneeflocken. Schließlich lächelte er sanft und band es sich mit schnellen geschickten Bewegungen ums rechte Handgelenk.
„Ich danke dir", antwortete er leise.
Just in diesem Augenblick erklang vom Turnierplatz her eine Fanfare und er hob den Kopf. Ein letztes verschmitztes Lächeln schenkte er mir, dann trieb er sein Pferd mit einem leichten Tritt mit den Haken an und trabte davon.

~

Als ich auf die Tribüne zurückkehrte lächelte Therisa mir freundlich entgegen, während Odrick es kaum wahrzunehmen schien und nur unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutschte.
Der lustig befiederte Mann vom Anfang trat wieder auf die Mitte des Platzes und fing an eine scheinbar nicht enden wollende Rede über wackere Ritter und Fähigkeiten im Kampf zu halten. Die Sonne kroch immer weiter dem Zenit entgegen und er redete und redete und gestikulierte wild in der Luft um seine tollkühnen Erzählungen passend auszumalen, solange bis der König verzweifelt die Hände in die Luft warf und rief: „Nun bring ihn doch endlich jemand zum Schweigen, das hält doch niemand mehr aus!"
Daraufhin tippelte ein Bediensteter eilig zum Redner, flüsterte ihm etwas ins Ohr, woraufhin dieser puterrot anlief, kurz zu uns schielte und seine Ansprache in drei Sätzen und ohne jegliche Ausschweifungen beendete. Mit wippender Hutbefiederung stolzierte er schließlich, offensichtlich beleidigt, vom Platz.
„Na also." Odrick lehnte sich zufrieden lächelnd im Stuhl zurück und rieb sich voller Vorfreude die Hände. „Endlich kann es richtig losgehen."

~

Wie Odrick es angekündigt hatte, ging es tatsächlich 'richtig los'. Nacheinander traten immer zwei edel gekleidete und schwer gerüstete Reiter gegeneinander an, der talentiertere, schnellere oder auch vom Glück mehr beschenkte stach den jeweils anderen mit seiner hölzernen Lanze vom Pferd und konnte sich anschließend im laut aufbrandenden Jubel des begeisterten Publikums baden.
In der ersten Runde hob Rajan den hochnäsigen Peyton Idle mit einer gezielt gesetzten Lanzenspitze aus dem Sattel. Allerdings schien es schon von Anfang an eher so, dass der Thronerbe von Eden mehr auf Eleganz und Anmut aus war, als auf tatsächlichen Turniererfolg. Während Rajan sein großes Schlachtpferd direkt nach dem ertönten Signal zum Galopp anfeuerte und mit gesenkter Lanzen auf ihn zu donnerte, stupste Peyton sein zartes Paradepferd nur sanft mit der Hacke an, woraufhin es träge voran trabte. Somit kam es auch, dass sie sich nicht, wie eigentlich üblich, in der Mitte der Abtrennung trafen, sondern weit auf Peytons Hälfte. Die Lanze schien er auch eher nur halbherzig auf seinen heranpreschenden Gegner zu richten, denn Rajan musste nicht einmal ausweichen, als er Peyton mit voller Wucht gegen den Brustkorb stieß.
Mit einem spitzen Aufschrei verlor dieser den Halt und purzelte in einem Knäuel aus bunten Rüstungsbändern und seinem hellblauen, mit violett-grünen Fäden durchsetzten Umhang vom Pferd. Während das Tier einfach weiter trabte und sich am anderen Ende der Bahn über einen Grasbüschel hermachte, versuchte der gefallene Ritter sich aufzurichten, schien aber die Arme nicht ganz aus dem Umhang zubekommen, der ihn seltsam umwickelt hatte. Erst sein Schildknappe, der herbeigeeilt kam, konnte ihn aus seiner misslichen Lage befreien.
Der König neben mir johlte freudig und bejubelte seinen Vetter, der nur kopfschüttelnd an der Tribüne vorbei ritt und wieder auf dem Zeltplatz verschwand.
An der hohen Holztafel uns gegenüber, wurde das hölzerne Wappen von Meereshorn vom Haken genommen und eine Stufe höher wieder aufgehangen. Sein Gegner in der zweiten Runde, der Gewinner aus dem vorherigen Zweikampf, schien unter dem Zeichen von Wolfsfelsen zureiten. Ich wusste allerdings, dass niemand aus der Familie des Lords anwesend war, daher ging ich davon aus, dass ein Ritter der dortigen Garde stattdessen teilnahm.
Während ich am Ende der ersten Runde völlig fertig mit den Nerven war, saß Therisa ganz entspannt und vielleicht auch etwas gelangweilt da, Odrick freute sich schon wieder auf die nächste Runde und schien es kaum abwarten zu können.
Es sah teilweise wirklich sehr brutal aus, wenn die hölzernen Lanzen an den Brustharnischen zerbarsten und die Ritter heftig aus dem Sattel gerissen wurden. Die Landung auf dem harten, sandigen Boden sah auch alles andere als sanft aus, zumal sie unter den Panzerungsplatten vermutlich nicht mal sonderlich gepolstert waren.
Mit einem Seufzen lehnte ich mich zurück und bat Roya mir etwas Wasser zu bringen. Den Wein von vorhin hatte ich ab da unbeachtet gelassen.
Es war bereits vorangeschrittene Mittagszeit und die Sonne, die hier in Goldstern mitten im Frühjahr schon ziemliche Kraft hatte, schien heiß auf den Platz und die Tribünen herab. Unsere war zum Glück überdacht, sonst wäre ich schon längst geschmolzen.
Ich nahm einen Schluck von der kühlen Flüssigkeit und richtete meinen Blick auf die im sanften Wind leicht flatternden Wimpel, welche die Deckenbalken zierten. Seltsam wie schnell ich mich an alles gewöhnt hatte. Ich meine nicht nur den ganzen Trubel und die Aufregung vom Turnier, sondern diese komplette Umstellung meines Lebens. An all die neuen Sitten und Gepflogenheiten, an ständig neue und fremde Leute in meiner Umgebung und vor allem an die Entfernung von meiner Heimat und meiner Familie. Manchmal wenn ich abends im Bett lag dachte ich noch an Schneewacht, meine Eltern und meine Brüder, doch in letzter Zeit hingen meinen Gedanken eher über den Geschehnissen und neuen Erfahrungen vom Tag oder das, was der Morgen bringen würde. Natürlich, ich vermisste mein altes Leben, doch weinen, wie am Anfang, konnte ich darüber nicht mehr. Vielleicht war es, weil ich eine neue Routine gefunden hatte und auch neue Menschen, denen ich vertrauen und mit denen ich reden konnte. Roya zum Beispiel war, trotz dessen, dass sie meine Zofe und mir damit eigentlich weit untergeben war, irgendwie zu einer Art Freundin geworden. Und ich glaube auch dieser Schritt auf Rajan zu war mir eine große Hilfe.
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als ich hörte wie Odrick sich mit jemandem von vor der Tribüne unterhielt. Die Stimme kam mir sehr bekannt vor, deshalb erhob ich mich und gesellte mich zum König an die hölzerne Brüstung.
Rajan stand unten. Er hatte den größten Teil seiner Rüstung abgelegt und trug nur eine einfache Hose und ein dünnes Leinenhemd, welches er vermutlich vorher unter dem Brustharnisch an hatte. Grade hatte er sich abgewandt, schirmte mit einer Hand seine Augen von der prallen Sonne ab und warf einen Blick auf die große Holztafel am anderen Ende des Platzes, auf welcher die nächsten Zweikämpfe abzulesen waren.
„Hm", machte er. „Sir Collin Winstor müsste das sein. Ich habe leider den Kampf nicht gesehen."
Er wandte sich zurück und unsere Blicke trafen sich, als er wieder hoch sah.
„Du schaffst ihn, da bin ich mir sicher." Odrick machte eine wegwischende Handbewegung und verlagerte entspannt sein Gewicht auf das andere Bein.
„Ich weiß nicht", äußerte sein Vetter seine Bedenken, „Er ist ein erfahrener Kämpfer und wird sich bestimmt schon in dem ein oder anderen Turnier geschlagen haben. Ich denke, dass Glück wird entscheiden." Damit nestelte er leicht an dem seidenen Tuch herum, das noch immer um sein Handgelenk gebunden war und zwinkerte mir zu, woraufhin ich nichts andere tun konnte, als zurück zu grinsen.
Odrick schien die Geste bemerkt zu haben, denn er sah kurz zwischen uns beiden hin und her, dann lachte er. „Na, damit kann es ja nur gut gehen!"

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Hallo ihr Lieben, ich möchte mich ganz herzlich bedanken für die vielen Reads und Votes und auch die Kommentare! Falls es jemand gesehen hat, 'Stern des Nordens' war vom 15. bis zum 17.06 auf Platz 1 in 'Historische Romane' ^-^

Nächste Woche kommt noch ein Kapitel zum Turnier, danach ist es geschafft :D Tut mir leid, wenn es sich eventuell etwas hinzieht, aber es ist doch ein ziemlich großes Ereignis und ich wollte das nicht in ein paar Sätzen abhandeln.

Liebe Grüße,

Eure Lacrima

Stern des NordensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt