Kapitel 62: Das Danach

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Das Zimmer, in welches man mich gebracht hatte, war ein anderes. Nicht das, in dem ich die letzten Wochen geschlafen hatte und auch nicht das, in welchem ich mit Rajan die vergangenen zwei Nächte verbracht hatte.

Ich bemerkte es, aber es interessierte mich nicht. Wie könnte es auch nach alledem, was heute Morgen passiert war.

Was ich aber bemerkte und mich auch störte, waren die fremden Zofen um mich. Ich kannte sie teilweise flüchtig, von der Vorbereitung zur Hochzeit oder auch von meiner Hochzeitsnacht vor zwei Tagen. Aber Roya war nicht unter ihnen.

Ihr warmes Lächeln oder ihr liebenswürdiger Blick, oder schon allein ihre Anwesenheit hätten garantiert dazu beigetragen, dass ich mich nicht ganz so leer fühlte. Und wieder so fremd.

Rajan war am Anfang kaum dazu zu bringen, von meiner Seite zu weichen. Doch als der König ihn dringend zu sich rufen ließ, verließ er doch den Raum. Das war in etwa um die Mittagszeit gewesen. Nun färbte sich der Himmel draußen bereits rötlich, die wenigen Wolken verliefen sich ihn violetten Nuancen.

Man hatte versucht mir Suppe einzuflößen, doch ich weigerte mich. Allein der Gedanke an jegliche Nahrung verursachte mir Übelkeit.

Man hatte auch versucht, mich dazu zu überreden ein wenig zu schlafen. Doch auch wenn meine Augen trocken waren und brannten, immer wenn ich sie schloss, sah ich wieder seine glasigen Augen, die Träne auf seiner Wange und dann all das Blut.

Ich zog es vor nur schweigend im Bett zu liegen, gebettet auf unzähligen Kissen, und aus dem Fenster zu starren. Es versicherte mir, dass die Welt nicht dabei war unterzugehen. Nur meine eigene.

Aus den Gedanken wurde ich gerissen, als sich eine dunkel gekleidete Gestalt in mein Sichtfeld stellte. Ich hob den Blick und sah zu erst die Caladrius-Brosche, dann sein von Sorgenfalten zerfurchtes Gesicht.

„Wie fühlt Ihr Euch, Mylady." Meister Aureus faltete die Hände vor dem Schoß und neigte leicht den Kopf.

Kurz überlegte ich, was ich sagen könnte.

Leer. Hintergangen. Als wäre mein ganzes Leben eine Lüge gewesen. Wie man sich fühlt, wenn der eigene Bruder, zu dem man immer aufgesehen hatte, versuchte einen umzubringen. Wie man sich fühlte, wenn man eben diesen Bruder, den man trotzdem so sehr liebte, kalt und tot am Boden liegen sieht.

Doch das wollte er nicht hören. Ihn interessierte die Wunde an meinem Bauch.

Tatsächlich bemerkte ich sie kaum. Der Schmerz war da, aber das dumpfe Gefühl in meinem Kopf schob ihn in den Hintergrund.

„Ich verstehe, dass Ihr nicht reden wollt." Er winkte einem jungen Burschen zu, der einige Schritte entfernt zurückgeblieben war und eine Tasche, sowie eine kleine Kiste bei sich trug. „Dennoch muss ich Eure Wunde noch einmal versorgen und neu verbinden. Ihr habt bestimmt Verständnis dafür."

Es war mir egal.

Weil ich mich nicht rührte, half eine der Zofen das leichte Leinenhemd, das ich trug, hochzuziehen und den alten Verband abzunehmen.

Der Meister betrachtete den Schnitt unterhalb meiner Rippen mit gerunzelter Stirn, trug aber nur eine kalte Salbe auf und ließ es dann erneut verbinden. Aber was sollte er auch sonst tun.

„Die Wunde sieht natürlich nicht gut aus, aber sie hat sich nicht so sehr entzündet, wie ich es befürchtet hatte. Man kann wirklich von Glück sprechen, Mylady."

Ich schätze 'Glück' wäre keines der Worte, mit welchen ich meine Situation beschreiben würde, trotzdem gab ich mir Mühe, wenigstens einmal zu ihm aufzusehen.

Stern des NordensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt