Kapitel 10

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Ich brauchte immer eine Weile, bevor ich die Verantwortung meinen Tributen gegenüber abschütteln konnte. Meistens schaffte ich das noch vor Beginn der Hungerspiele, was auch gut so war. Ich wollte mir keine Vorwürfe machen, falls ich nichts für sie tun konnte. Es lag nicht mehr in meiner Hand, sondern in der der Spielmacher, Sponsoren und anderen Tribute. Ich konnte nur versuchen Geld einzutreiben und mit diesem dann nützliche Dinge zu kaufen. War aber kein Geld da, konnte ich auch nichts tun und das wusste ich. Jetzt, in meinem 7. Jahr als Mentor. Anfangs hatte das noch ganz anders ausgesehen, besonders nach dem Tod von Treen. Jetzt war ich nur noch wütend und hasste dann das Kapitol, was bei weitem nicht so schlimm war als wenn es mich persönlich mitnahm oder ich das Gefühl hatte, versagt zu haben.

„Gleich geht es los. Zwei Minuten noch.", murmelte Jason, der einer der letzten Mentoren war, die zu uns in den Raum gekommen waren. Mittlerweile waren wir allerdings vollständig und hatten auch alle unsere Plätze eingenommen.

„Endlich. Die Warterei nervt.", brummt eine Stimme von hinten und als ich mich umdrehte erkannte ich Haymitch, auch wenn er gar nicht wie Haymitch aussah. Er wirkte gewaschen und, was noch viel erschütternder war, nüchtern.

„Glaubst du etwa, dein Mädchen hat Chancen, Abernathy?", fragte Caius und grinste in seine Richtung, auch wenn er dabei mehr als arrogant wirkte.

„Sie war besser als deine beiden Tribute, oder etwa nicht?", grunzte Haymitch zurück.

„Das war sicher ein Trick.", behauptete Caius sofort. Es tat ihm eindeutig nicht gut, so gute Tribute zu haben. Er mutierte zum Arschloch.

„Mach dich nicht lächerlich. Man kann die Spielmacher nicht austricksen und wenn doch, hätte Reißzahn das mittlerweile mit Sicherheit schon herausgefunden. Einmal tiefer Ausschnitt, breites Lächeln und Schwups, irgendjemand wäre schon so dämlich gewesen und hätte es ihr verraten. Unser lieber Haymitch hat leider keine solchen Reize, außer einer Alkoholfahne die ich heute allerdings gar nicht bemerke. Was ist los, Abernathy? Krank?", mischte ich mich ein, wobei ich am Ende überspielte, dass ich für ihn eingetreten war.

„Vermutlich.", murmelte er, schmunzelte allerdings in meine Richtung. „Und ich habe für den Notfall eine Flasche dabei. Kannst ja was abhaben Süße, falls es nicht so läuft wie du hoffst."

„Oh, nenn sie nicht Süße. Böser Fehler.", sprang Finnick ein, ehe ich etwas sagen konnte. Danach ertönte auch schon die Stimme von Claudius Templesmith der mit der Übertragung der Hungerspiele begann. Aus diesem Grund beschloss ich, seine Worte einfach unerwidert im Raum stehen zu lassen, um mich stattdessen auf die große Leinwand konzentrieren zu können.

Zunächst plapperte er irgendwas über die Spiele und dann über die Tribute, was ich allerdings schon wieder vergessen hatte, kaum dass ich die Worte überhaupt wahrgenommen hatte. Danach erhielten wir endlich den ersten Einblick in die Arena. Nichts Besonderes, nur viel Wald. Eigentlich ein Vorteil für Distrikt 7.

Claudius redete noch eine paar Minuten weiter und erklärte einige Dinge zur Arena, ehe die Kamera auch schon auf einen Tribut geschwenkt wurde und sie im nächsten Moment in ihren Glaszylindern die Oberfläche durchbrachen.

Im Mentorenraum war es nun totenstill und ich konnte mir vorstellen, dass einige vielleicht sogar die Luft anhielten, während die Sekunden herunter gezählt wurden. Erst mit dem Startsignal wurde wieder Luft geholt.

Der erste Tote war ein Junge. Er stammte aus Distrikt 9 und wurde von Caius Tributin getötet, die im nächsten Moment auf Katniss losging. Sie erwischte nur ihren Rucksack und sie konnte entkommen, was Haymitch zufrieden brummen ließ. Ich dagegen beachtete da die Situation schon gar nicht länger, sondern versuchte meine Tribute zu finden, die beide zum Füllhorn gerannt waren, was Jasons genervtes Seufzen verriet. Er hatte Leigha etwas anderes geraten, doch sie hatte nicht auf ihn gehört.

Sie hatte bereits einen grünen Rucksack auf dem Rücken, also eine gute Ausbeute für jemanden wie sie, und trotzdem rannte sie weiter vor. Ich wusste nicht, was sie dazu verleitete als sie die Waffen ansteuerte, doch ich konnte es eh nicht ändern. Ich konnte nicht eingreifen als ausgerechnet der Junge aus Distrikt 2, Caius Tribut, mit einem Schwert in der Hand vor ihr auftauchte. Ein Hieb und Blut spritzte auf die Kamera, ehe sie im nächsten Moment eine tote Leigha zeigte.

Da hatten wir nur noch Sam, doch der kämpfte gerade mit dem Mädchen aus Distrikt 4 und hatte gegen den trainierten Karriero keine Chance.

Sie streifte mit dem Schwert seinen Oberarm und Sam schrie vor Schmerz auf, ehe ihm die Axt, die er irgendwo wohl ergattern konnte, aus der Hand fiel. Jetzt stand er unbewaffnet vor ihr und erneut beendete ein Schwert das Leben eines Kindes aus Distrikt 7.

Diese verdammten Spiele dauerten noch keine verdammten 10 Minuten und schon war ich tributlos!

Wut kochte in mir hoch und ich stieß mein Glas vom Tisch, das auf den Boden aufprallte und in tausend Teile zersprang. Alles war umsonst! Sie hatte nicht mal einen Tag lang durchgehalten! Nicht einen einzigen!

„Ich geh trainieren. Sieht aus, als hätte ich schon Urlaub.", brummte ich und stand dann auf, ohne auf Finnick, Jason oder sonst irgendjemanden zu achten und marschierte dann geradewegs aus dem Zimmer. Ich musste unbedingt ein paar Übungspuppen köpfen und mir vorstellen, dass sie Snow waren. Das würde mich beruhigen, das beruhigte mich immer. Und dann konnte ich vielleicht wirklich so tun, als wäre einfach nur mein Job zu Ende und nicht das Leben zweier Kinder. Dann konnte ich vielleicht auch vorstellen, ich hätte Urlaub. Sofern man den Aufenthalt in dieser Hölle so nennen konnte.

Johanna Mason - Geschichte einer Siegerin: Die 74. HungerspieleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt