Kapitel 20

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Es war furchtbar ohne ihn. Furchtbar langweilig. Im Fernsehen kam nichts interessantes, außer der zehntausenden Wiederholung des Finales der diesjährigen Hungerspiele. Natürlich ohne die Szene mit den Beeren, man musste ja nicht dauernd zeigen, wie sie von den beiden vorgeführt worden waren. Sie beschränkten sich hauptsächlich auf den Kampf mit Cato und den Mutationen. Ich hoffte, dass Katniss und Peeta bald wieder fit werden würden und die blöde Siegesfeier endlich stattfinden konnte.

Als Finnick endlich wieder auftauchte, machten wir uns sofort auf den Weg zum Dach des Gebäudes, damit wir ungestört reden konnten.

„Wie geht es dir?", fragte ich zuerst und vermied es ihn dabei zu mustern.

„Geht schon. Und dir? Wie hast du die Langweile überlebt?", erwiderte er und ich wusste, dass er jetzt alles mit einem Grinsen überspielte.

„Mit Fernsehen, Knabbereien und viel Schlaf.", erwiderte ich und lehnte mich dann an die Brüstung des Daches. Hinter mir ging es sehr weit nach unten, doch ich brauchte keine Angst haben zu fallen. Ein Kraftfeld hielt uns gefangen damit wir nicht sterben konnten, solange sie uns hier brauchten. Zumindest nicht auf diese Weise.

„Diese Hexe, wie du sie immer nennst, war sehr gesprächig und hatte auch die Informationen, die uns interessieren Jo.", begann Finnick das Gespräch und lehnte sich dann neben mich, sodass sich unsere Arme berührten.

„Sehr schön. Was genau hat sie erzählt?", drängte ich ihn zum Weiterreden, vor allem weil ich sehr neugierig war. Neben Fernsehen, Essen und Schlafen hatte ich mir auch den Kopf halb zerbrochen, welche Konsequenzen dieser Sieg auf allen Ebenen und für alle Beteiligten mit sich bringen würde. Und auch für diejenigen, die nicht involviert waren. Ich wurde das Gefühl immer noch nicht los, dass das hier nur ein Anfang war.

„Sie meinte, dass gemunkelt wird, dass Snow von den zwei Siegern ganz und gar nicht begeistert ist. Seneca scheint deshalb..."

„Wer ist Seneca?", unterbrach ich ihn.

„Der oberste Spielmacher. Seit der Feier über das Ende der Spiele hat man ihn nicht mehr gesehen. Man braucht nicht viel Fantasie um sich vorstellen zu können, was ihm blüht oder ihm bereits... geblüht ist, falls man das so sagen kann.", fuhr Finnick fort. „Auch wird gemunkelt, dass die Liebe der beiden Sieger nicht echt ist und das alles ein Trick war um das Kapitol zu täuschen. Das hat die Hexe nicht geglaubt, tun nicht viele, aber ein paar wenige hohe Tiere und das reicht ja leider schon immer aus. Vor allem da ich mir vorstellen kann, dass Snow es ihnen nicht abgekauft hat."

„Glaubst du es denn?", fragte ich ihn und unterbrach ich dadurch erneut. Ich selbst hatte noch gar nicht wirklich darüber nachgedacht, auch wenn ich die Meinung über das tragische und wundervollste Liebespaar überhaupt nicht teilen konnte. Die Echtheit hatte ich noch gar nicht wirklich hinterfragt, doch jetzt wo Finnick es ansprach erschien es mir durchaus sehr plausibel und sogar wahrscheinlich. Wenn man in den Spielen war tat man alles, um zu überleben. Genau deshalb tötete man ja auch. Wieso also dem Kapitol keine Story auftischen, die Sponsoren und somit Überlebenschancen brachte?

Allerdings hatte ich mit Liebe auch keine wirkliche Erfahrung, weshalb ich Finnick anblickte und auf seine Einschätzung wartete.

„Ich glaube überhaupt nicht daran. Vielleicht hat er Gefühle, aber ihr kaufe ich es nicht ab.", antwortete er.

Ich dachte darüber nach. Wenn sie das wirklich alles gespielt hatten, um das Kapitol zu täuschen und man dann auch noch die Tatsache beachtete, wie sie beide die Spiele gewonnen hatten, entstand da plötzlich ein großes Problem, das sie jetzt hatten.

„Er wird ihre Familien töten.", kam mir die einzige Konsequenz.

„Ich weiß nicht. So beliebt waren schon lange keine Sieger mehr. Und es sind zwei. Es wäre doch recht auffällig, wenn beide Familien plötzlich sterben würden.", überlegte Finnick laut.

„Dann eben nur die von Katniss. Immerhin war die Sache mit den Beeren ihre Idee.", warf ich ein.

„Ich tippe auch auf ihre Familie. Auch wenn die Schwester im Kapitol so gut ankam. Wusste die Hexe zumindest."

Ich wusste nicht wieso, aber ich wurde ein wenig wütend. Nicht, dass ich ihnen und ihren Familien wünschte, dass ein Teil davon starb, doch es war schon unfair, wenn es nicht passierte. Manchen wurde die Familie schon für weniger genommen und sie sollten verschont werden?

„Ich weiß was du denkst Jo.", sagte Finnick leise und drückte kurz meine Hand. „Aber ich weiß auch, dass du nicht so sehr gerechtigkeit herbeisehnst um ihnen den Tod zu wünschen. Was geschehen wird, wird geschehen. Egal was und in welcher Richtung. Wir können nur die Rolle aussuchen, die wir dabei spielen wollen."

„Ich denke nicht, dass ich eine Rolle werde spielen können, wenn sie die Familien doch töten sollten. Wenn es soweit ist, bin ich nämlich in Distrikt 7 und du in 4.", erinnerte ich ihn.

„Davon habe ich auch gar nicht gesprochen. Nenn mich verrückt und kindisch, aber ich hoffe, dass da noch mehr in Bewegung kommt als ohnehin schon ist.", flüsterte er und über das Klangspiel, den Wind und den Lärm des Kapitols hätte ich ihn beinahe nicht verstanden. Trotzdem sah ich ihn verwirrt an, da seine Worte keinen Sinn für mich ergaben.

„Das Beste habe ich mir für den Schluss aufgehoben.", grinste er und als er nicht weiterredete, verengte ich meine Augen zu schlitzen um ihn anzutreiben. Es funktionierte.

„In ein paar Distrikten herrscht ein wenig Unruhe."

„Unruhe?", fragte ich sofort nach.

„Ja. Unruhe. Ich weiß nicht genau, was das bedeuten soll, die Hexe wusste es auch nicht und es sind laut ihr sowieso nur alberne Gerüchte, doch falls da wirklich etwas ist, ist das wunderbar.", rief er nun und wurde schnell wieder leiser, als er es bemerkte.

„Du glaubst also, da kommt noch was.", fasste ich zusammen. Finnick nickte und dann blickten wir uns eine Weile schweigend an. Ich wusste, dass wir beide das gleiche dachten und es war deshalb nicht nötig, darüber zu reden. Sollte das stimmen, sollte sich da wirklich etwas tun, dann durften wir hoffen. Auf eine Veränderung, auf eine Bewegung. Auf ein Ende von Snow und dem Kapitol, auch wenn das jetzt schon sehr weit hergeholt und übertrieben war, doch man durfte seiner Fantasie auch mal freien Lauf lassen. Vor allem wenn es um Todesarten für Coriolanus Snow ging. Da konnte man gar nicht kreativ genug sein.

Johanna Mason - Geschichte einer Siegerin: Die 74. HungerspieleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt