Kapitel 19

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Zwei Sieger.

Dieser Gedanke ließ mich nicht los, während ich noch immer auf den Bildschirm starrte, der das Siegerpaar schon längst nicht mehr zeigte, sondern nur noch jubelnde Leute aus dem Kapitol und aus Distrikt 12.

Zwei Sieger.

Das hatte es noch nie gegeben! Und eigentlich hätte es sie auch dieses Mal nicht geben dürfen, hätte sich Katniss nicht gegen das Kapitol aufgelehnt.

„Will mir niemand gratulieren?", durchbrach Haymitch die Stille, die mir bisher gar nicht aufgefallen war.

„Ich würde ja, aber ich kann immer noch nicht glauben, dass das gerade wirklich passiert ist.", murmelte der Mentor aus Distrikt 11 neben ihm. „Kommen die damit durch?"

„Jetzt ist es zu spät, natürlich kommen sie damit durch.", antwortete ich. „Sie haben versäumt einen von ihnen umzubringen, jetzt müssen sie mit dem Siegerpaar, Schrägstrich Liebespaar, leben. Außerdem, sieh dir die Bekloppten auf dem Bildschirm an. Die lieben die beiden. Was würde passieren, wenn ihnen etwas zustößt? Unruhen direkt im Kapitol? Unzufriedenheit? Das ist nichts, was Snow will. Nicht wahr?" Ich lächelte böse bei den letzten Worten. Für den Fall, dass neben Wanzen auch noch ein paar Kameras angebracht waren.

„Na dann, Glückwunsch Haymitch.", meinte Chaff nun doch und prostete seinem Freund zu. Dieser nickte und rüttelte dann an seiner Flasche, ehe er aufstand.

„Ich geh mich nach meinen Siegern erkundigen und mir dann die Kante geben. Man sieht sich bei der Siegerfeier.", meinte er und verschwand dann ohne ein weiteres Wort nach draußen.

„Zwei Sieger! Es gibt zwei Sieger!", rief kurz darauf jemand durch den Raum und jetzt begann doch die Diskussion, die eigentlich schon nach der Verkündung hätte stattfinden sollen. Doch es schien allen wohl so gegangen zu sein wie mir.

„Unglaublich. Zwei Sieger.", musste auch Finnick die Tatsache wiederholen, ehe er sich leicht zu mir beugte. „Sollen wir ein wenig durch das Gebäude wandern? Irgendwo muss man doch etwas rausbekommen, wie Snow und Co wirklich zu dem Sieg stehen."

Er hatte meine volle Aufmerksamkeit, auch weil ich nicht glauben konnte, dass es keine Konsequenz für dieses Verhalten geben würde. Sie zu töten war zu spät, doch daran dachte ich dabei auch nicht. Familien waren gerne ein Ziel für eine Bestrafung oder für eine Erinnerung, wer das Sagen hatte. Ich sprach ja aus Erfahrung.

„So schnell kann das niemals durchdringen. Wir können aber zumindest die Meinung der Leute dazu in Erfahrung bringen, ehe die ersten Gerüchte auftauchen.", flüsterte ich und als er grinsend nickte, erhoben wir uns fast gleichzeitig und ließen die immer lauter werdenden Mentoren zurück.

„Wen willst du fragen?", wollte Finnick wissen, der wie ein aufgeregter Junge wirkte. Doch ich konnte ihn verstehen. Das alles fühlte sich so... Ich hatte keine wirklichen Worte dafür, außer dass es das noch nie gegeben hatte. Doch so nah an einer Rebellion waren wir seit über 80 Jahren nicht mehr, auch wenn es hier nur zwei Kinder gewesen waren, wenn auch vor tausenden von Menschen!

„Keine Ahnung.", sagte ich leise, als ich zwei Friedenswächter patrouillieren sah. „Hey, ihr! Na, was sagt ihr dazu? Ein Jahrhundertsieg!"

Finnick sah mich erschrocken an, musste sich dann aber ein Grinsen verkneifen, ehe er ebenfalls total Siegeuphorisch tat.

„Keine besonders guten Kämpfer.", erwiderte einer von ihnen jedoch nicht ganz so begeistert, woraufhin ich seinen Partner ansah der, zumindest glaubte ich das in seinem Blick zu erkennen, etwas anderes dachte.

„In den Straßen hier ist mächtig was los. So gefeiert wurde schon lange nicht mehr. Die Leute hier lieben sie. Und Katniss ist eine fantastische Bogenschützin.", widersprach er kurz darauf auch schon.

„Wen juckt es? Nächstes Jahr gibt es neue Sieger. Im Jahr darauf auch. Jedes Jahr wird gefeiert und bald interessiert sie kein Schwein mehr.", brummte der erste wieder und bedeutete uns dann, weiter zu gehen.

„War jetzt nicht sehr aufschlussreich.", murmelte Finnick nach ein paar Metern.

„Einen Versuch war es wert, immerhin hattest du gar keine Idee.", grummelte ich.

„Ich habe da schon eine, aber die wird dir nicht so gefallen.", begann er ganz leise und er musste auch gar nicht weitersprechen damit ich wusste, worum es ging.

„Du sollst eine Kapitolshexe treffen?"

„Ja. Jetzt sieh mich nicht so an, du weißt, dass ich keine andere Wahl habe. Wir können froh sein, dass ich nicht schon eher ein Treffen hatte, immerhin sind meine Tribute schon länger tot.", antwortete er und ich seufzte.

Finnick tat das, was ich damals verweigert hatte. Ich wurde bestraft, ihn hatte man verwarnt. Snow hatte deutlich gemacht was passieren würde, wenn er sich ebenfalls weigerte. Und da er noch etwas zu verlieren hatte, blieb ihm keine andere Wahl.

„Wie viele? Wann?", fragte ich und kochte innerlich schon wieder vor Wut. Ich wollte nicht, dass er das tun musste! Sie dürften uns das niemals abverlangen! Aber es war nur ein weiterer Beweis, dass wir wie Puppen an ihren Fäden tanzten.

„Morgen früh. Am Abend bin ich wieder da.", meinte er und legte dann plötzlich den Arm um meine Schulter, ehe er sich an mich schmiegte. Ich wusste, dass er die Nähe meines Ohres suchte.

„Hohes Tier. Eine Schwester eines Spielmachers. Oder war es die Frau? Ich weiß es nicht mehr, aber sie muss etwas wissen. Und wenn ich ihr mein charmantestes Lächeln schenke, wird sie reden.", flüsterte er kaum hörbar.

„Nimm den Arm runter, was sollen die Leute denken?", erwiderte ich. „Und schneid der Hexe heimlich die Haare ab. Oder spuck ihr auf den teuren Teppich. Oder warte, am besten ich gebe dir eine Liste, dann muss ich nicht jedes Mal wieder alles aufzählen."

„Was würde ich nur ohne dich machen?", fragte er und lächelte mich an.

„Das mag ich mir gar nicht vorstellen.", schmunzelte ich und befreite mich dann aus seinem Griff.

Johanna Mason - Geschichte einer Siegerin: Die 74. HungerspieleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt