Kapitel 1

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Ich schlenderte durch die Straßen von Distrikt 7, wobei meine Lippen zu einem leicht triumphierenden Lächeln verzogen waren. Ja, ich hätte es nicht tun dürfen und ja, ich war ein Monster, aber ich konnte nicht anders. Und ehrlich gesagt hatte ich bei Menschen wie ihnen keine Gewissensbissen. Nicht die geringsten.

Mein Name wurde gerufen, gerade als ich ein wenig abseits der Stadt lief, und sofort verschwand das Lächeln auf meinen Lippen. Was wollte er jetzt schon wieder?

„Johanna, bleib stehen.", sagte Jason, auch wenn ich meine Schritte eh schon verlangsamt hatte, damit er mich einholen konnte. Stehenbleiben wollte ich nicht.

„Bist du zufällig heute schon am Hinrichtungsplatz vorbei gekommen?", fragte mein ehemaliger Mentor und ich spürte seinen eindringlichen Blick auf mir.

„Möglicherweise.", antwortete ich, blickte jedoch wieder zufrieden vor mich hin. Natürlich war ich dort vorbei gegangen. Es war bisher immer gleich verlaufen. Egal ob mit Tom oder mit einen von ihnen.

„Ich wusste es! Du hast da deine Finger mit im Spiel!", zischte er und stellte sich nun vor mich hin, damit ich doch stehen bleiben musste.

„Ich, meine Finger im Spiel? Mach dich nicht lächerlich Jason. Ich kann nichts dafür, dass sie den obersten Friedenswächter gehängt haben, oder seit wann habe ich eine solche Macht und kann Urteile wie diese verhängen? Wenn ich das könnte, würde neben ihm Snow an einem Strick baumeln, bis die Krähen ihn aufgefressen haben."

„Spar dir das! Wir beide wissen, was du getan hast. Du musst damit aufhören Johanna.", tadelte er mich.

„Wieso? Es ist eine große Erleichterung für den Distrikt, dass wir diesen Mistkerl los sind, oder trauerst du ihm etwa hinterher?", fragte ich und stemmte meine Hände in die Hüften.

„Nein, natürlich nicht. Ich bin sogar froh, dass er an seinem Strick baumelt. Aber ich mache mir Sorgen um dich. Es tut dir nicht gut, wenn du solche Dinge tust."

„Glaub mir, ich kann damit leben den Tod eines Mannes mitverschuldet zu haben, der sogar kleine Kinder ausgepeitscht hat, weil sie einen Apfel geklaut haben.", versicherte ich ihm. „Außerdem bin ich groß genug um diese Dinge selbst zu entscheiden. Ich bin 22, um ganz genau zu sein. Auch wenn du alt und weise bist, manchmal nerven deine Ratschläge einfach."

„Wie hast du es diesmal eigentlich angestellt? Aber bitte, nicht zu viele Details.", murmelte Jason und zeigte mir damit, dass es eigentlich keine richtige Strafpredigt war.

„So wie immer. Ein paar Treffen, scheinbar heimliche Küsse, Liebesbekundungen, und schon war er weg. Das ist der Nachtteil für Snow. Er kann keine Ausnahmen dabei machen und muss jeden wegräumen, an dem mir was liegt. Ob es nun stimmt oder nicht.", erzählte ich und so krank es war, ich musste leicht schmunzeln. Aber für mich war das ein kleiner Sieg und ich konnte auch nichts dafür, wenn diese Friedenswächter so dämlich waren. Sie glaubten jedes Mal, sie hätten die Siegerin gezähmt und für sich gewonnen, die sonst niemanden an sich ran ließ. Idioten.

„Du bist eine furchtbare Schwarze Witwe. Ein Monster. Und ich habe es erschaffen.", seufzte er, woraufhin wir uns wieder in Bewegung setzten.

„Du hast mich nicht erschaffen, die Veranlagungen dazu hatte ich schon immer. Außerdem haben sie bisher immer mich angebaggert, nicht umgekehrt. Und im Grunde habe ich bisher immer nur dem Distrikt etwas Gutes getan, oder nicht? Bisher nur Friedenswächter von der üblen Kapitolsorte.", konterte ich.

„Glaubst du jetzt, du bekommst ein ‚Gut gemacht' von mir, oder was?", fragte Jason und ich verdrehte die Augen.

„So etwas erwarte ich schon lange nicht mehr von dir, in der Hinsicht warst du schon immer sparsam.", schmunzelte ich. „Und jetzt verschwinde, gleich kommen wir wieder auf einen Weg und ich will nicht, dass Snow mitbekommt, dass wir zusammen sind." Zwar war Jason ebenfalls ein Sieger und somit außer Reichweite von Snow und dem Hass auf mich, doch ich wollte kein Risiko eingehen. Vor allem nicht, da Jason mittlerweile Frau und eine Tochter hatte. Es war sicherer wenn Snow glaubte, dass ich mich von allen abgeschottet hatte und selbst meinen ehemaligen Mentor nicht wirklich sehen wollte.

Jason seufzte, nickte dann aber und schlug einen anderen Weg ein.

„In zwei Tagen ist die Ernte. Heuer werden wir zusammen die Mentoren sein.", rief er mir noch zu, doch ich winkte nur mit der Hand ab. Ich wusste, dass in zwei Tagen die Ernte war, das brauchte er mir nicht zu sagen. Vielleicht klang es grausam und moralisch falsch, aber ich freute mich darauf. Nicht auf die Tribute, nicht auf die Spiele, aber auf Odair. Er war mein bester Freund und ich sah ihn nur einmal im Jahr. Das nervte, war leider nicht zu ändern. Uns blieb nur das Telefon und das war nicht dasselbe.

Mittlerweile war meine leicht positive Stimmung verflogen und wich der sonst üblichen, finsteren Miene. Danke Jason!, dachte ich und kickte einen Stein weg, der es wagte mir im Weg zu liegen.

Ich mochte mein Leben nicht und es brachte auch nichts das zu behaupten. Meine Familie war tot und jeder, der mir sonst etwas bedeutet hatte, ebenfalls. Ich hatte nur Jason und Finnick, sonst stand mir niemand näher und das würde sich auch nicht ändern, das durfte sich nicht ändern. Doch manchmal wünschte ich, es wäre anders und ich könnte zum Beispiel mit Jason tauschen. Er war auch Sieger, war auch in den Spielen und hatte auch töten müssen. Unsere Leben unterschieden sich in der Hinsicht kaum. Doch da ich mich geweigert hatte Snow zu geben, was er wollte, würden unsere Leben nie mehr ähnlich werden. Er würde immer die Menschen töten, die mir etwas bedeuten. Aus diesem Grund konnte ich nie eine eigene Familie haben, sie wäre immer dem Tod geweiht. 

Johanna Mason - Geschichte einer Siegerin: Die 74. HungerspieleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt