Kapitel 10 / Melina's Sicht

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Ich wollt nicht weglaufen, auch wenn es im ersten Moment so aussah. Es wäre zwar sehr einfach gewesen, einfach die Treppe hinunterzugehen und dann durch die Eingangstür zu verschwinden, aber das war nicht meine Absicht. Ich ging hinüber in eins der Nebenzimmer. Hier standen viele Tische die überladen waren mit Bürokram, Computern, Laptops und anderem Equipment. Doch mein Blick galt der Glastür, die sich mir gegenüber befand und nur angelehnt war. Schnellen Schrittes durchquerte ich den Raum und zog leise die Tür auf. Und wie ich es mir bereits dachte stand er dort. Es war typisch für ihn. Wenn er dem Trubel und dem Lärm entgehen wollte, dann suchte er sich das nächstgelegene Plätzchen, wo es ruhiger war.

Ich trat auf den Balkon, aber er schien mich noch nicht bemerkt zu haben. Also schwieg ich und stellte mich neben ihn. Meine Hände legte ich aufs Geländer und sah hinunter auf das Nachtleben von Köln. Ich spürte, dass er mich bemerkt hatte, aber ich ließ meinen Blick weiterhin auf die Passanten gerichtet.

"Haben André und Cengiz dich mitgeschleppt?" Fragte ich schließlich.

"So ungefähr. Meinten es wäre gut für mich unter Leute zu gehen". Seine Stimme war rau, als wäre es das erste Mal seit Tagen, dass er sie mal wieder benutzte.

"Und jetzt stehst du hier."

"Jetzt steh ich hier". Er stützte sich ebenfalls auf die kalte Metallstange und starrte nach unten auf die Straßen.

Ich betrachtete ihn von der Seite. Das Licht der Stadt spiegelte sich in seinen Augen wieder. Sie wirkten beinah schwarz, passend zu den dunkeln Augenringen. Er schien genauso gut zu schlafen wie ich, nämlich gar nicht. Seine Haare standen ihm noch mehr vom Kopf ab wie sonst und auch das leichte zittern seiner Hände entging mir nicht. Er war am Ende seiner Kräfte und doch stand er hier, auch wenn ich nicht wissen wollte, wie vielen Energie Drinks er das zu verdanken hatte.

Wir schwiegen, doch es war nicht unangenehm. Das war es noch nie gewesen. Stille lässt die Gedanken ruhen, besonders dann wenn man diese Stille mit einer Person teilt, die einen versteht. Ich wusste, dass Jan mich verstehen würde, wenn ich ihm von meinen Problemen erzähle und das gleiche galt auch für mich. Aber je länger ich in die Stille hineinhorchte, umso unsicherer wurde ich mir. Wusste er, dass er sich mit anvertrauen konnte? Zwar hatte ich es ihm mehrfach gesagt, aber es schien so, als hätte es diese Gespräche niemals gegeben. Er verschloss sich mir gegenüber, was auch der Grund dafür war, wieso ich Nachts nicht mehr richtig schlief.

Ein Steinchen löste sich unter meinen Schuhen und mit einem leisen klicken kullerte es über den Rand des Balkons und verschwand in der Dunkelheit.

"Ich wollte dich anrufen", der Klang seiner Stimme ließ mich zusammenzucken und ich richtete meinen Blick schnell wieder auf die Straße.

"Wieso hast du's dann nicht getan?" Mein Herz hämmerte gegen meine Brust und ich hatte Angst vor seiner Antwort.

"Ich will dich da raushalten." Ungewollt entfuhr mir ein Schnauben, was ihn endlich aufblicken ließ.

"Ist ein bisschen spät, um diese selbstlose Nummer durchzuziehen, findest du nicht?" Der Sarkasmus war nicht zu überhören, doch meine Stimme blieb erstaunlich ruhig, was so ziemlich das Gegenteil von dem war, was sich in diesem Moment in meinem Inneren abspielte. Sein Blick war nun nicht mehr ausdruckslos, denn seine Augenbrauen zogen sich ungläubig zusammen.

"Ist das dein erst?"

Ich antwortete nicht und sah ihn einfach nur weiter an. Er biss die Zähne aufeinander und stieß sich vom Geländer ab.

"Du verstehst es einfach nicht, oder?"

"Dann erkläre es mir!" Meine Stimme war vollkommen ruhig und die Wut, die bis eben noch in meinem Inneren gelodert hatte war verschwunden.

"Wie soll ich es dir denn erklären? Du machst doch eh nur wieder einen auf mitleidig. Und das ist das letzte, was ich will."

"Gut", ich hob resignierend die Hände. "Wenn das so ist dann werde ich jetzt einfach durch diese Tür da gehen und dich nie wieder deswegen belästigen. Gefällt dir das besser?"

Mir war bewusst, dass er mir zustimmen wollte, doch das kurze Aufzucken von Trauer in seinem Gesicht ließ diesen Eindruck verschwinden.

"Ich weiß, dass du im Moment vieles nicht willst, aber das ich mich von dir entferne gehört nicht dazu. Widerspruch mir nicht." Er hatte seinen Mund erneut geöffnet um alles, was ich gerade gesagt hatte, zu leugnen, doch unter meinem Blick schloss er ihn wieder. Langsam ging ich auf ihn zu und nahm seine Hände, die nun schlaff und wehrlos an seiner Seite hingen, in meine. Sie waren kalt und rau.

"Kann es nicht einfach wieder so werden wie früher?" Hauchte er. Die Fassade um ihn herum bröckelte und fiel endgültig in sich zusammen. Das Zerbrechliche und Hilflose trat zum Vorschein. Zum einen war ich froh darüber, dass er sich zu öffnen schien, doch ihn wieder so zu sehen trieb mir erneut Tränen in die Augen. Verdammt! Wieso hatte ich meine Emotionen nicht mehr unter Kontrolle?

"Du scheinst auch nicht in Topform zu sein", ein heiseres Lachen drang an mein Ohr. Ein Laut, der nicht so richtig in diese Situation lassen wollte und doch löste es die Spannung zwischen uns.

"Vielleicht sollten wir uns beide einfach ne Auszeit gönnen." Murmelte ich.

"Wäre bestimmt nicht die schlechteste Idee." Er beugte sich leicht nach vorne und legte seine Stirn an meine. Erschöpft schloss ich die Augen und für einen Moment kam es mir so vor, als wäre alles in Ordnung. Als hätten die letzten Wochen einfach nicht existiert. Sein Atem hatte sich beruhigt und strich nun sanft über meine Haut, während ich Muster auf seinen Handrücken malte.

"Erinnerst du dich an die Nächte auf der GangTour?" Fragte ich in die Stille hinein.

"Sicher. Auch wenn ich mich kaum noch daran erinnre wie es ist, durchzuschlafen."

"Ich auch nicht." Ich drückte mich etwas von ihm weg um ihn ansehen zu können. Wir hatten in der Zeit oft ein Bett geteilt, meistens deshalb, weil ich bei unserem abendlichen Serienschauen eingepennt war. Es war einfach zu gemütlich gewesen, wie er schützend einen Arm um mich gelegt und ich seine Brust als Kopfkissen benutzt hatte. Ich spürte, dass er dasselbe dachte. Schweigend drückte ich seine Hand etwas und zog ihn Richtung Balkontür.

Wir mussten nichts sagen. Wir durchquerten das Büro, vorbei an den lärmenden Partygeräuschen, die Treppe hinunter und auf die Straße.

Die Wohnung der Apes war nur ein paar Minuten zu Fuß von hier entfernt. Niemand sagte ein Wort, es wäre auch überflüssig gewesen. So liefen wir, immer noch Hand in Hand nebeneinander her. Der jeweils andere gab uns halt und mehr war nicht nötig.

Erst vor der Wohnungstür ließ er mich los, aber auch nur um aufzuschließen und dann vor mir her in sein Zimmer zu gehen. Wortlos reichte er mir einen viel zu weites T Shirt und eine Jogginghose, die ich immer noch wortlos annahm und dann im Bad verschwand um mich fertig zu machen.

Mein Herz hämmerte, warum weiß ich nicht, aber es wurde erst besser, als ich endlich unter die Decke krabbeln konnte und mein Gesicht in Jan's Brust vergrub. Sein Geruch umhüllte mich und erst jetzt wusste ich, wie sehr mir diese Geborgenheit gefehlt hatte.

Ich spürte noch, wie er mir einen Kuss auf die Stirn drückte, dann schlief ich ein.


Hoffe euch gefällts :) Ich entschuldige mich hiermit dafür, dass so lange nichts kam. Ist momentan alles etwas stressig bei mir, also seit mir bitte nicht böse, wenn mal wieder ne längere Pause zwischen den Kapiteln liegt. Kreativität und Schule passen oft nicht zusammen.

Anmerkungen, Feedback und Ideen wieder ab in die Kommens :)

Hab euch lieb und wünsch euch noch ne schöne Woche :*


Can you feel my heartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt