Kapitel 1

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Erschöpft stieg ich in die Bahn und setzte mich nieder.
"Und dann hat er mich seinen Eltern vorgestellt", sprach nebenbei meine beste Freundin Semra aus der Leitung.
"Wie süß", äußerte ich mich dazu piepsend.
"Hast du ihnen den gefallen?", fragte ich leicht neugierig. Naja irgendwie war es auch eine echt paradoxe Frage. Natürlich hatte sie ihnen gefallen, sie wäre eine Traumschwiegertochter.
"Ja, jetzt fehlt nur noch das Treffen zwischen unseren Eltern gemeinsam", quiekte sie.
Es war ein schönes Gefühl zu wissen, dass meine beste Freundin glücklich war. Ich freute mich für sie.
"Semra, ich muss auflegen. Bis später", sprach sie plötzlich.
Sie war echt nicht zu verstehen. Wir waren manchmal einfach zwei verschiedene Individuen. Sie war eher der ruhige Mensch während ich ein Mädchen mit viel Temperament, jedoch auch Selbstbewusstsein war.
Trotz vielen Verschiedenheiten waren wir uns ziemlich gleich, wenn wir untereinander waren. Unsere Denkweise war eins zu eins gleich.
Ausgestiegen aus der Bahn ging ich hektisch ins Café, indem ich seit knappen zwei Wochen arbeitete und mich der Arbeit auch sehr zufrieden stellte. Zwar war der Gehalt nicht hoch, doch damit kam ich irgendwie um die Runden.
Es war das Nötigste und irgendwie schaffte ich es mit dem Lohn auch zu überleben.
"Hey Deniz", lächelte ich meinen Arbeiter an und legte die Schürze untenrum an mir an.
"Alles klar?", fragte er zurück und ich nickte darauf.
Mehr kam nicht zum Gespräch, denn die Arbeit rief. Es war heute viel los, doch innerlich verdrehte ich nur meine Augen, Freitag halt.
Nach weiteren Stunden, in denen ich meine Energie immer mehr verlor, durfte ich endlich nach Hause.
Schnell stürmte ich aus dem Café und beschloss als erstes vernünftig zu Essen.
Nachdem ich mir einen Döner holte und genüsslich aß, fuhr ich wieder mit der Bahn nach Hause. Was heißt nach Hause. Ich besaß kein vernünftiges Zuhause, es war eher eine Art WG. Da ich keine allzu vertraute Beziehung zu meinen Eltern hatte, hatte ich sie verlassen und bin somit im sogenannten Ghetto aufgewachsen. Es war um ehrlich zu sein ein eiskalter Rausschmiss. Trotz meiner schlechten Lage hatte ich mich selbst gezwungen wenigstens mein Abitur zu überstehen, um mir meine Zukunft zu retten. Somit hatte ich seit kurzen auch schon mein Abi in der Hand.
In der WG begrüßte ich meine Wohngenossin Selma, die grad männlichen Besuch hatte.
In meinem Zimmer angekommen schmiss ich die Tasche in die Ecke und sprang auf mein Bett. Ich war erschöpft. Ruhebedürftig schloss ich meine Augen und versuchte dennoch nicht einzunicken, da ich mit Semra ein Treffen vereinbart hatte.
Trotz innerlicher Versprechungen nicht einzuschlafen, schlief ich ein und wachte nach einer Viertelstunde wieder auf.
Eilend ging ich ins Bad, duschte, machte mich fertig und ging auch wieder los.
"Hayaaaaat", schrie jemand hinter mir.
Es stand eine aufgedrehte Semra vor mir.
"Hast du was genommen?", zischte ich und versuchte sie zu beruhigen, denn die Menge blickte zu uns.
"Ich bin so glücklich", lachte sie.
"Hayat, lass uns bitte in die Shishabar."
"Nein", murmelte ich stur.
"Hayat bitte, Ercan hält sich grad dort auf. Irgendwie hab ich das Gefühl, das er was falsches tun wird."
"So ehrenlos ist Ercan nicht", machte ich ihr deutlich, doch sie verneinte.
"Nagut", gab ich letzendlich von mir, als sie mich mit einem Hundeblick persuadierte.
Da die Bar um die Ecke war, kamen wir recht schnell an. Wir bestellten uns eine Wasserpfeife und entdeckten auch Ercan, der sich mit drei weiteren Jungs und zwei Mädchen aufhielt. Ein Junge stach mir besonders ins Auge. Eine südländische, muskulöse und makellose Schönheit aus meiner Perspektive. Ein Junge, geschätzte dreiundzwanzig Jahre alt, dessen Blicke äußerst kalt und gefährlich wirkten. Ich hatte genug hübsche Männer gesehen, doch er war die Sorte, die am höchsten lag. Niemals würde ich als Frau mit meinem Aussehen in seiner Liga spielen können.
Kurz huschten seine Blicke zu mir, schon wandt er sich wieder seinem Freund.
Wohlmöglich hatte er sich beobachtet gefühlt, doch wie konnte man seine Augen von solch einer Schönheit mit arroganten Blicken lassen?
Erneut sah er zu mir, weswegen ich peinlich berührt zu Semra sah, die scharf am Schlauch zog und den Rauch auspustete.
"Mach es nicht auffälliger, als es schon ist", kicherte sie.
"Er ist hübsch", gab ich ehrlich von mir.
"Darf ich vorstellen? Tarik al-Sayed. Einer der größten Arschlöcher hier in Frankfurt", lachte sie.
"Du kennst ihn?", machte ich große Augen.
"Ercan hat mir von ihm erzählt. Mehr als seinen Namen und Ruf weiß ich um ehrlich zu sein garnicht."
Etwas überrascht schlürfte ich an meiner Sprite und versuchte mich von ihm abzuwenden. Es war wie ein Reflex, das meine Blicke mich zu ihm führten.
"Ich frag mich wieso dich Ercan noch nicht entdeckt hat", lachte ich leise, blies den Rauch und schmeckte den Geschmack der Blaubeere in meinem Mund.
"Er scheint ziemlich beschäftigt zu sein. Diese Mädchen sehen wie zwei ehrenlose Hündinnen aus", zischte sie eifersüchtig und ließ mich grinsen.
"Ja sehen sie", lachte ich charmant und lehnte mich zurück.
Automatisch entspannte ich mich durch die orientalische Atmosphäre und der nicht zu lauten Musik. Die gemütlich eingerichtete Shishabar ließ meine Seele baumeln.
"Du Stalker, ich hab dir doch gesagt, dass er nichts falsches tun wird", murmelte ich, nachdem wir lachend die Bar verließen.
"Vertrau ihm doch einfach", erklärte ich ihr, doch sie verneinte.
Sie hatte keine guten Erfahrungen im Themenbereich Liebe gesammelt, doch bei Ercan versuchte sie ihn zu akteptieren.
Ihre vorherige Liebe war ein mieser Aufreißer, der sie von vorne an nur verarscht hat.
Zuletzt kauften wir uns ein Eis und wollten uns gerade verabschieden, bis Ercan und seine Freunde auf uns zustoßen. Dabei war auch dieser Tarik dabei, der wie immer neutral wirkte und mich in Augenschein nahm, was mich nervös machte. Er hatte mich regelrecht mit seinen Blicken von oben bis unten durchbohrt. Anfangs sah ich selbstbewusst zu Ercan, der mit uns sprach, doch mit der Zeit verlor ich meinen Temperament und wurde etwas unruhig. Auch ein weiterer Freund sah zu mir, doch lächelte mich höflich an, was ich erwiderte. Komisch, dachte ich mir und wünschte mir innerlich, dass das Quatschen des verliebten Paares ein Ende hat.
Was mir auffiel war jedoch, dass dieser Tarik von nah noch attraktiver und begehrenswerter war. Sein Style war erstklassig. Schon vom Aussehen und Parfum her sah man ihm an, dass er aus einem reichen Elternhaus kommt, ich meine auf jedes seiner Kleidungsstücke war eine Marke zu sehen. Seine Haare waren leicht zur Seite gegelt, sodass sein eleganter und gleichzeitig gefährlich wirkender Undercut zur Geltung kam.
Zu seinem Bart fiel mir der bekannte Rapper Mudi auf, dessen Bart genau so voll wie Tariks war. Ein typischer Dreitagebart, der perfekt geformt war. Vom Gesicht her wusste ich, dass jede Frau um ihn kämpfte und er wirklich jede haben konnte. Seine Körperstruktur sagte mir, dass er regelmäßig trainieren ging. Hervorragende gefährliche Augen, umschmückt mit langen Wimpern. Um den Blick stets tödlich zu halten, hatte er seine übrigens beängstigend wirkende Augenbrauen leicht zusammen gezogen, als würde er das Gefühl Angst nicht einmal in sich tragen. Eins machte ich mir klar, ich war baff von diesem Mann vor mir. Er ist unverschämt heiß, ein Frauenschwarm.
Als das Gespräch nach etlichen Minuten vollendet war, entfernten wir uns auch sofort von den Jungs.
"Oh mein Gott Hayat hast du gesehen, wie dich alle angeguckt haben? Aber ich muss zugeben, heute siehst du zu gut aus", meinte Semra darauf los.
"Ich glaube er ist Model", sprach ich meine Gedanken laut.
Ich war die Person, die selten Komplimente machte, aber er hatte mich umgehauen.
"Ist echt so und das krasse ist, dass er dich angeguckt hat", zwinkerte sie mir zu.
"Wer weiß, wer weiß, vielleicht fängt Hayat ja an sich für Männer zu interessieren", provozierte mich meine beste Freundin.
Seit ich den Kontakt zu meinen Eltern abgebrochen hatte, hatte ich angefangen meine Gefühle in mir zu verdrängen und somit hatte ich niemandem die Chance gegeben, sich an mich gar ran zu machen. Auch heute schenke ich Männern keine Aufmerksamkeit, obwohl sich viele für mich interessieren.
"Nein Semra, fang nicht wieder damit an", hielt ich sie davon ab und lenkte vom Thema.
Am späten Abend marschierte ich nach Hause und aß genüsslich von der Pizza, die Selma selbst gemacht hatte. Auch sie kam später dazu.
"Wo warst du?", fragte ich sie und nahm eine Schmerztablette zu mir, als mein Kopf vor Schmerz dröhnte.
"Bei einer Freundin", grinste sie.
Zwar war sie eine Protistuierte, doch ich mochte sie. Sie war die einzige Person, die mir eine Unterkunft anbot, auch wenn sie selbst nie Moneten in den Taschen hatte. Die letzten Jahre waren die schlimmsten. Es gab Tage, andem ich hungern musste, da mir nicht einmal ein Cent übrig blieb. Auf meine Familie zählte ich nicht mehr, auch hatte ich seit Jahren nichts von ihnen gehört gehabt.
"Rate mal wer vierhundert Euro hat", lächelte sie stolz und hielt zwei Scheine in die Höhe.
"Woher?", fragte ich als aller erstes.
"Einfach so geschenkt bekommen, von einem Freund."
"Vierhundert?", fragte ich erstaunt und sie nickte.
"Ich hab mir gedacht, dass wir damit shoppen gehen können", schlug sie vor.
"Ich komme mit meinen Klamotten schon zurecht. Es ist dein Geld", gab ich stur.
"Wir werden ja sehen, ob du mitkommst oder nicht."
Eins was ich an ihr total mochte war ihre Höflichkeit und Unterstützung. Ihre Hilfe kommt ohne das man nach ihr rief.
"Lass uns schlafen gehen. Ich bin so fertig", murmelte sie entkraftet und ging auf ihr Zimmer.
Was mich betrifft, ich beschloss ein wenig Catfish zu schauen.
Nach einem schmackhaftem Orangensaft putzte ich mir die Zähne und legte mich aufs Ohr.

Verliebt in ein VerbrecherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt