Kapitel 8

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"Verpiss dich du Bastard!", kam schrill von mir, so laut es nur ging.
Mit voller Kraft entzog ich mich ihm und versuchte zu flüchten, doch vergebens.
Er packte mich und stieß meinen Kopf gegen die nächstharte Wand. Ein Schütteln im Inneren machte sich breit, so schmerzhaft war es.
Es kamen nur noch leise Schreie aus mir, ein Wimmern.
"Lass mich gehen", kam heiser aus mir.
Mit voller Wucht riss er mein Shirt auf. Mit solcher Gewalt hatte ich nicht gerechnet. Eine kalte Brise umhüllte meinen ungeschützten Oberkörper. Er hatte mich in seiner Hand.
Der andere legte mich zu Boden und setzte sich auf mich.
Mit seinen kalten Händen knöpfte er meine Hose auf und riss sie förmlich von mir. Mein Weinen wurde ruhig, ich sah nur geschockt zu ihm.
"Bitte, mach das nicht, nein, nein", gab ich entsetzt von mir und wollte mit letzter Kraft den Versuch zwischen zwei stark gebauten Männern und mir starten. Als kleines zierliches Mädchen schlug mein Versuch fehl. Fest biss ich in seinen Arm und schaffte es, dass er seine Kraft erniedrigte, doch der zweite packte mich gewaltig an den Haaren und schleuderte mich zu Boden, als ich wieder aufstand. Er schrie Schlampe zu mir. Länger ging dieses Spiel nicht, länger konnte ich nicht mehr. Er zog den Slip herunter und entblößte sich untenrum.
"Nein!", kam kreischend aus mir.
"Hör auf!", schrie ich so laut.
"Hilfe!", schrie ich zuletzt und gab es auf.
Welche Menschenseele würde bitte um 3 Uhr nachts sich auf der Straße treiben? Niemand, ich war hilflos. Ich verlor auf der Straße, von einem Fremden meine Ehre. Er nahm mir sie, als wäre es nur ein Kaugummi, was ich bei mir trug.
Ich zischte und die Tränen flossen von der Seite herunter. Fest hielt er meinen Mund zu und vergewaltigte mich so qualvoll, auf der kalten Straße. Ich weinte wie verrückt, konnte mich kaum noch bewegen. Es war ein unerträglicher Schmerz. Als er in geschätzten zehn Minuten fertig war, atmete ich erleichert aus, doch der andere Mann grinste, was nur eins heißen konnte.
Ruckartig stand ich auf und wollte wegrennen, doch er schubste mich zu Boden und stieß in mich herein, so gewalttägig, fest und schmerzhaft. Während beide Spaß an mich hatten, kreischte ich wie verrückt und erinnerte mich an Abeds Worte. Er wollte nicht, dass ich meine Ehre verliere. Doch ich verlor sie zum zweiten Mal.
Ich schrie mir die Seele aus dem Leib und zappelte bis zum Ende. Es tat so weh, so weh. Ich ertrank in Selbstmitleid. Das würde ich keinem Feind wünschen. Ich starb in dieser Nacht jede Sekunde. Jede Sekunde war qualvoll. Ein Brennen brachte mich zum zucken. Seine Zigarette drückte er in meiner Haut und das überall. Überall verbrennte er meine Haut mit seiner Zigarette und einem Feuerzeug. Es brannte wie die Hölle, ich verlor mein Bewusstsein. Zuletzt bekam ich seinen festen Tritt in meinem Magen mit, der mir augenblicklich den Atem raubte und ich in der kühlen Nacht hilflos auf der Straße lag[...].
"Frau Ates?", lächelte die Krankenschwester und tätschelte meinen Arm. Eindeutig Krankenhaus. Es war kein Traum, knallharte Realität.
Ohne Rücksicht auf mich zu nehmen stand ich auf und richtete das Hemd.
Überall klebten Verbände und Pflaster an mir. Kleine Bruchteile erschienen vor mir. Wie mich jemand ins Krankenhaus brachte und dass der Arzt meine Wunden säuberte. Mehr kam mir nicht in den Sinn.
"Frau Ates, ganz ruhig. Am besten legen sie sich wieder zurück und trinken erstmal ein Schluck Wasser. Ihre Freunde warten im Wartezimmer."
"Haben Sie ihnen erzählt, was passiert ist?", schoss aus mir. Mein Herz klopfte schneller und meine Zunge trocknete, ich hatte Angst. Angst, das jemand von der letzten schlimmen Nacht wusste.
"Selbstverständlich nicht Frau Ates. Wenn sie wollen, dann kann ich gerne mit Ihnen nachher sprechen. Soll ich sie hereinholen?"
Sollte sie? Ich hatte Null Lust darauf. Es war sicherlich Selma und vielleicht Abed, aber was sollte ich ihnen erzählen? Ich hatte garkeine Ausrede.
"Ja bitte", lächelte ich zwanghaft.
Während sie die "Besucher" holte, überlegte ich eilig eine Notlüge.
Plötzlich klopfte jemand. Selma, Abed und Tarik kamen herein.
"Hayat du zitterst ja", sprach Selma aufgebracht und deckte mich zu. Meine Zunge war wie ausgetrocknet, ich war nicht in der Lage Wörter aus mir zu bringen. Öfters feuchtete ich meine Lippen an und sah zur Decke.
"Gehts dir gut?"
Nein Selma. Ich wurde gestern zweifach brutal vergewaltigt und lag nackt auf der Straße im kalten Wetter.
Schluckend nickte ich und nippte am Glas, um an Flüssigkeit zu gewinnen.
"Was ist überhaupt passiert?", fragte Abed und sah besorgt zu mir.
"Gestern auf dem Nachhauseweg haben mich zwei Typen verprügelt", gab ich schwach von mir.
"Sicher, dass sie dich nur verprügelt haben?", fragte nun Tarik.
Nicht weinen Hayat. Steck ein.
Wiederwillig nickte ich.
"Wurden die wenigstens gefasst?"
"Ich weiß genau so wenig wie ihr, es ist nunmal passiert", zuckte ich die Schultern, dabei würde es mich mein Leben lang verfolgen. Jeden Tag würde ich an diese grauenhafte Nacht denken.
"Weißt du noch wie die aussahen?", fragte Abed ein wenig wütend.
Unwissend schüttelte ich meinen Kopf. Ich hatte beide Gesichter eins zu eins im Kopf, es waren sogar irgendwelche schmutzige Südländer. Bah, ich ekelte mich so.
Meine Blase meldete sich, doch ich wollte schlecht mit einen OP- Hemd aufstehen.
"Selma würdest du mir heute noch irgendwelche Sachen vorbei bringen?", fragte ich kleinlaut und lehnte mich vor Erschöpfung nach hinten.
"Klar, ich ehm, sollen wir dich lieber allein lassen?"
Ohne einen Blick zu würdigen nickte ich und presste meine Lippen zusammen, ehe ich in Tränen ausbrechen würde. Es war grad erst 8 Uhr. So früh. Der Vorfall war grad mal fünf Stunden her. Ich wollte im Erdboden versinken. Als sie gingen, brach ich tatsächlich in Tränen aus und schluchzte. Das konnte doch nicht wahr sein! Wieso verdammt? Wieso ich? Wieso sowas? Was hatte ich getan Allah, welche Sünde hatte ich begonnen, dass du mir so schlimme Narben zufügst? Mein Leben ist im Eimer, ich würde seelisch sterben. Niemand würde mich ernst nehmen, wenn er auch nur dieses zu Gerücht geflüstert bekommt hätte.
Betrübt stand ich auf, wusch mir über meine Wange und stöhnte. Mein Unterleib schmerzte dermaßen, als hätte jemand mehrmals ein scharfes Messer reingestochen. Langsam und mit der Anlehnhilfe der Wand latschte ich zum Bad und zischte. Wegen dem scheiß Infusionsgerät fiel es mir so schwer.
"Verdammt das brennt", schrie ich mittlerweile und sah Blut.
Es brannte höllisch. Was hatten sie mir bloß nur zugefügt?
Da ich nur eine unnötige Netzunterhose unter dem Hemd trug, beschloss ich diese zu wechseln und legte eine Binde herein. War das normal, wenn man blutete?
"Frau Ates", klopfte die Krankenschwester von vorhin besorgt.
"Ich-ich komme", sagte ich geschwächt, spülte ab und richtete meine Haare.
"Darf ich rein?"
"Ja."
Sie kam herein, nahm das Gerät und bot mir Stützhilfe an.
"Ist es normal, wenn man blutet?"
"Ja, es ist noch von vorhin und das geht relativ schnell auch wieder weg. Machen Sie sich da keine Sorgen.
Wieder kamen mir die Tränen. Nickend schluckte ich den fetten Kloß herunter.
"Frau Ates, es war ziemlich offensichtlich, was passiert ist. Ich möchte Sie micht bedrängen, aber es gibt viele Hilfsorganisationen."
"Mir geht es gut, alles gut. Ich möchte sowas nicht", kam kühl von mir.
"Können Sie mir eine Ibo geben?"
Sie nickte und verließ den Raum. Nachdem sie mir die Iboprofentablette und eine Wärmeflasche überreichte, lehnte ich mich nach hinten, doch ich konnte einfach nicht schlafen, sondern musste ungewollt wieder weinen. Selma brachte mir die Sachen und hatte gefragt, was passiert sei, doch ich rückte nicht mit der Sprache raus. Es war peinlich und ich würds nicht einmal mir selbst vertrauen.
Nachdem sie ging, dachte ich über alles nochmal nach. Sie hatten mein Leben zerstört.
Unerwartet klopfte es an der Tür. Ein Mann, geschätzte 22 betrat den Raum. Meine Augen sahen in seine. Eine Nachbarin hatte ich nicht, was hatte er hier zu suchen?
"Bilal", hielt er mir die Hand entgegen, die ich zögernd annahm.
"Ehm Hayat", piepste ich.
Was zur Hölle hatte er zu suchen und wieso kam er ausgerechnet mich besuchen?
"Du fragst dich bestimmt, warum ich hier bin. Ich bin derjenige, der dich hier ins Krankenhaus gebracht hat. Erinnerst du dich noch?"
Oh, okay. Dann duzen wir uns eben.
"Nicht an dein Gesicht, aber den Rest ja."
Ein Lächeln zierte seine Lippen.
Tränen sammelten sich in meinen Augen. Er hatte mich halbnackt gesehen, eher nackt. Es war mir so, so unangenehm.
"Hey ist alles gut?"
Bekümmert sah er zu mir herunter.
Nein, meine Augen schwitzen.
"Ist halb so schlimm", lächelte ich unter Tränen.
Er überreichte mir ein Taschentuch, was ich dankend annahm.
"Tut mir Leid, das ich so spät bin, ich musste arbeiten und ja", sagte er verlegen.
Nickend analysierte ich ihn unauffällig.
"Es hat mich eigentlich ja nicht zu interessieren, aber kannst du mir erklären, wieso du auf der Straße lagst?"
"Oder ist es das, wonauch es aussah?"
"Ich-ehm-es ist das, wonach es aussah."
Eine Träne rollte meiner Wange herunter.
"Tut mir echt Leid für dich", sagte er leise und wusch mit seinem Daumen plötzlich über meine Wange.
Man, was sollte ich denn sonst sagen? Er hatte mich kleidungslos auf der Straße gesehen, mir fiel keine Ausrede ein. Die erste Person, die es erfuhr.
"Hey, wein doch nicht", sprach er sanft und versuchte mich irgendwie zu beruhigen, doch es kam einfach alles hoch. Er war sowieso ein Fremder, hier in Köln würde ich ihn hoffentlich nicht wieder begegnen.
"Kanntest du den Typen oder weißt du noch, wie er aussah?"
"Ich habe noch deren Gesicht ein wenig im Kopf, aber mehr auch nicht."
"Deren?!"
Aufgebracht sah er zu mir. Er war geschockt.
"Du solltest echt zur Polizei."
"Ich trau mich garnicht."
"Wenn du willst, unterstütze ich dich dabei."
Meine Blicke erhoben sich und sahen müde in seine glitzernden dunklen Augen. Er war so attraktiv und anständig. Mit einem engen Hemd und einer Janshose stand er vor mir. Über dem Hemd trug er noch einen Sakko. Anscheinend war er arbeiten. War er ja auch mein Gott.
Wieso bot er mir Hilfe an? Ekelte er sich nicht vor mir? Wieso war er so nett verdammt?
Er nahm eine Karte aus seiner Tasche und legte sie auf meinem Nacktschränkchen.
"Meine Karte, wenn was ist, kannst du mich hier drauf erreichen", lächelte er.
Plötzlich öffnete er seinen Mund und deutete zur Infusion.
"Die läuft ja aus", sagte er und verschwand, um der Krankenschwester Bescheid zu geben.
Schnell versuchte ich aufzustehen und zur Tasche zu gehen,um mir irgendwas vernünftiges anzuziehen. Nach Stunden kam ich endlich an und nahm ein Bh. In sekundenschnellem Tempo streifte ich mir den OP Hemd vom Leib und zog den Bh an. Danach legte ich ein lockeres Shirt um mich, sodass das Wichtigste erstmal abgedeckt war.
"Natoll", seufzte ich, als ich keine bequeme Hose sah. Dann eben ein knielanges Shirt.
"Frau Ates", hörte ich hinter mir.
Zügig drehte ich mich um und ließ mir von ihr helfen. Dankend deckte ich mich zu und sah, dass sie mir essen gebracht hatte.
Der junge Mann namens Bilal verabschiedete sich von mir und ging dann auch, da die Uhr acht schlug. Ich verstand nicht, wieso er so freundlich war, doch ihn wieder begegnen würde ich sowieso nicht.
Endlich war ich allein. Ungelogen, ich weinte bis in den nächsten Morgen durch.
Selma besuchte mich den nächsten Tag und Abed kam nur für zwei Stunden, da er wichtiges zu tun hatte. Immernoch hatten sie mich bedrängt, mit der Sprache rauszurücken, doch niemals würde mir das Wort auf der Zunge erscheinen, niemals.
Die Brandstellen waren ziemlich tief und brannten, sobald die Salbe ihre Wirkung aufgab, doch der Schmerz, die Unterleib- und Kopfschmerzen waren nicht einmal halb so schlimm wie die Schmerzen im Seelenbereich.
Die Tür klopfte. Überraschenderweise tauchte Bilal auf, den ich skeptisch anblickte. Irgendwie freute ich mich für seinen Besuch.
"Wie gehts?", fragte er lächelnd.
"Besser und dir?"
Er nickte nur und sah, dass ich stand.
"Ehrlich gesagt wollte ich nur ins Bad, um mein Gesicht irgendwie zu normalisieren."
Starke Augenringe und dicke Augensäcke. Ich sah total wie eine Leiche aus. Noch nie sah ich so hässlich aus, so zerstört.
"Du siehst nicht schlimm aus", sagte er plötzlich und ließ mich rot werden.
Ich machte meine Haare zu einem Dutt und bat ihn, sich einfach auf das Bett zu sitzen.
Plötzlich klingelte mein Handy. Selma. Mit Absicht ging ich nicht dran, da sie jede Stunde nur nach meinem Gesundheitszustand fragte. Ich schrieb ihr eine kurze Nachricht und widmete mich ihm.
"Deine Familie?"
"Oh nein, meine beste Freundin."
Kurz lacht er.
"Verstehe, aber weiß deine Familie Bescheid?"
Er war so aufdringlich, sodass ich einfach mit der Sprache rausrücken musste.
"Ich habe keinen Kontakt zu meiner Familie mehr", gab ungewollt kühl aus mir. Es war für ein Mädchen wie mich schon hart. Genau jetzt benötigte ich deren Hilfe.
Er entschuldigte sich, doch ich brach nur ab und wechselte das Thema. Den kompletten Abend blieb er und brachte mich um ehrlich zu sein auf andere Gedanken. Er erzählte mir über sich. Über mich gab es nicht viel, doch das Wichtigste erwähnte ich.
Irgendwann, so unhöflich es klang, nickte ich mitten im Gespräch ein. Kein Wunder, ich hatte zwei Nächte nicht geschlafen.
Ein lautes Knallen ließ mich unangenehm vom Schlaf in die Realität katapultieren.
Kurz blinzelte ich und erkannte die Umrisse von Tarik, der sein Handy hatte lassen fallen.
"Sorry", murmelte er und grinste schief. Leise stand ich auf und setzte mich aufrecht hin. Ich war schlapp und müde.
"Ich wollte nach dir sehen."
"Ich sehs."
"Hayat der Kuss und alles, vergiss es einfach. Als wäre es nie geschehen."
"Der Kuss hat mich nicht gejuckt", lachte ich falsch, doch innerlich ging es mir anders.
"Normalerweise hab ich damit gerechnet, dass wir uns aus dem Weg gehen und ich dich nicht mehr sehen muss. Wenn du jetzt ersthaft gekommen bist, um mit mir über dem Kuss zu reden, dann verpiss dich."
Seine Augen wurde groß, als würde er dies nicht wollen. Als würde er diesen Kontakt nicht abbrechen wollen.
"Bist mir dafür viel zu wichtig."
Mein Herz schlug schneller, automatisch. Scheiße, war das süß. Er brachte mich mit diesem Satz völlig außer Fassung. Sprachlos sah ich zu Boden.
"Gehts dir ehm besser?"
"Ja, ein wenig."
"Gut. Wann darfst du raus?"
"Ich weiß es nicht, aber ich versuche diese Woche rauszukommen."
"Kannst du schon aufstehen?"
"Ein wenig", lächelte ich verlegen.
"Die lassen mich nicht duschen wegen der scheiß Bettruhe", zickte ich.
Ich fühlte mich so, so, so dreckig. Nur mit Tüchern hatten sie meine dreckigen Wunden gesäubert, mehr nicht. Noch nie in meinem Leben habe ich mich so beschmutzt und benutzt gefühlt, ein innerlich qualvolles Gefühl.
"Wenn du willst, kann ich dir helfen oder irgendwie dich säubern?", fragte er sich selbst. Er war nervös, aber wieso?
"Geht schon."
"Hayat", seufzte er und nahm meine Hand.
Wieso? W.i.e.s.o?
"Wieso bist du so kalt, nachdem was passiert ist?"
"Du bist ein Arschloch Tarik."
Ein Grinsen schlich um seine Lippen.
"Ich weiß, aber bei dir reiß ich mich zusammen."
Plötzlich nahm er eine Schokoladenschachtel heraus und übergab sie mir.
"Friss Fettsack", sagte er und durchwüstete meine Haare.
"Oh Tarik!", motzte ich und musste meine Haare erneut öffnen, um einen Zopf zu machen.
"Steht dir nicht", schüttelt er den Kopf und öffnete meinen Zopf. Laut seufzte ich.
[...]
Schnell schloss ich die Tür ab und legte mich in mein Bett. Selma befand sich ebenfalls in der Wohnung, doch ihre Freundinnen hatten sie besucht. Ihre Fragerei hörte nicht auf. Gerade erst wurde ich entlassen, schon ließ sie mich nicht in Ruhe. Ich sah schlimmer als davor aus. Ich hab durchgeweint, jede verdammte Nacht. Jeden Tag hatte ich geduscht, als mir die Erlaubnis gegeben wurde. Ich stand stundenlang unter der Dusche, in Hoffnung, dieses schmutzige Gefühl würde verschwinden. In meinem Kopf schwirrten die Bilder von der Nacht herum. Ich konnte es niemandem erzählen. Mit niemandem darüber reden. Es war einfach kein Thema, was man jemandem so leicht anvertrauen konnte. Jedes einzelne Detail, an jede Sekunde erinnerte ich mich.
Meinen "Retter" hatte ich seit vier Tagen nicht mehr zu Gesicht bekommen. Wieso schon auch? Er wusste, dass ich vergewaltigt wurde. Er hat mich nackt gesehen, ohne jegliche Kleidung und ich schämte mich deshalb zu Tode. Nicht nur er, sondern die zwei Kerle hatten mich nackt gesehen. Mich vergewaltigt, mich berührt, meine Intimsphäre überquert. Das war zuviel.
Wieder stiegen mir Tränen, die ich fest in den Kissen weinte und schluchzte. Das war überhaupt nicht fair. Ich als Frau konnte gegen zwei Männer nichts anfangen. Ich konnte keinem unter die Augen treten. Es war grausam, dass mich nicht einer, sondern zwei vergewaltigt haben. Eine ganze Stunde haben sie mich gequält, verletzt und geschlagen. Mir Brandstellen verpasst, die ich mein Leben lang mit mir tragen müsste. Von einer Nacht auf der anderen war mein Leben ein Desaster.
Wieder fiel mir Bilal ein. Er war so fürsorglich. Nein Hayat, nein. Du darfst ihn nicht noch einmal begegnen. Nie wieder. Er weiß von dir Bescheid, von deinem dreckigen Geheimnis. Es war peinlich und unangenehm. Seine Visitenkarte guckte aus der Tasche heraus. Vorsichtig nahm ich sie zur Hand und strich darüber. Bilal Özdemir.
Plötzlich fiel mir ein, dass ich mich garnicht bedankt hatte, kein einziges Mal. Ob ich mich einfach per Telefongespräch bedanken soll? Oder soll ich es ganz lassen? Nein, ich würde es nicht wagen ihn anzurufen. Er kannte mein Geheimnis.
Eine laut lachende Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Sie hatten zusammen getrunken. Es war dunkel, doch ich wollte so gern spazieren. Sarkastisch lachte ich innerlich auf. Als ob ich mich nachts auf den Straßen nocheinmal hintrauen würde. Es war eine harte Lektion für mich. Ich bekam Hunger, schlich mich in die Küche und machte mir halbgesunden Schokoladenmüsli mit kalter Milch. Im Zimmer schloss ich wieder ab und bekam von Abed einen Anruf. Es würde mir super gehen, meinte ich, denn er machte sich soviele Sorgen, was ungemein süß war. Er wollte mit mir raus, doch ich sagte ab. Selbst mit ihm würde ich Angst in der Dunkelheit haben. Diese Nacht hatte mir Angst vor der Dunkelheit geschaffen. Als hätte ich vor der Farbe Schwarz Angst. Immernoch konnte ich es nicht realisieren, ich wurde vergewaltigt. Nachdem ich mir etwas gemütliches anzog, versuchte ich mich aufs Ohr zu hauen, doch es klappte nicht. Erstens, weil ich keine Nacht vernünftig geschlafen hatte und zweitens, weil Selma mit ihren Freundinnen mit lauter Musik feierte. Im Zimmer spazierte ich dann doch etwas rum. Ich fühlte mich beobachtet, also zog ich die Jalousinen koplett herunter und setzte mich auf die Fensterbank. Ich war neugierig und recherchierte ein wenig über diesen Bilal, denn anscheinend war er schon "berühmt". Tatsächlich. In Google erschienen fünf Bilder vom ihm. Manche mit anderen Arbeitern oder so. Auf einer Internetseite las ich mehr Detail. Er ist der Geschäftsleiter einer berühmten Firma, wow.
Danach wischte ich über mein Display und entdeckte den Menstruationskalender. Neugierig tippte ich drauf, ich war schon lange nicht mehr da und meine Tage hatte ich auch schon den ganzen Monat nicht. Am 12. sollte ich die bekommen. Ich war schon mehr als fünf Tage drauf. Die Vergewaltigung kam mir in den Sinn.
"Bitte nicht", flüsterte ich geschockt, ließ das Handy aus der Hand fallen und hielt mir die Hand vor dem Mund.
Dieser Mistkerl hatte mich geschwängert.

Verliebt in ein VerbrecherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt