Kapitel 17

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"Hier", überreichte ich Tarik den Schnuller und räumte schnell meine Wohnung auf, während er auf Kader aufpasste und mit ihr zurecht kam.
Tag zu Tag kam ich mit der Kleinen immer mehr zurecht und meine Hebamme hatte mich ebenfalls oft besucht. Mit dem Stillen kam ich übrigens sehr gut voran und mir ging es auch einigermaßen gut. Tarik stand an Tag eins an meiner Seite, genau wie Selma und Harun und mein Herz wollte ihn immer wieder, doch mein Verstand stand dazwischen und rettete mich. Es könnte aus uns einfach nichts werden, das war mir bewusst, aber dass er jeden Tag bei mir war, machte es mir nicht leicht, ihm aus dem Weg zu gehen. Er war wie ein Vater für Kader, den sie nie haben wird und ich wünschte mir innig vom ganzen Herzen, das wenn Tarik kein Arschloch wäre, er der leibliche Vater Kaders sein konnte, doch diese Wolke gab es in meinen Realitäten nicht.
Es war hoffnungslos, einfach hoffnungslos.
Der Gedanke plagte mich seit der Geburt, wie ich Kader beichten sollte, dass sie keinen Vater hat, weil sie durch eine ekelhafte Vergewaltigung entstanden ist. Sie würde sich unerwünscht fühlen, weswegen ich mir sowas nicht übers Herz bringen könnte.
Nun war Kader fünf Tage alt und sie nahm deutlich viele Gramme an Gewicht zu. Kader schlief ein und Tarik legte sie auf mein Bett. Nachdem er sie ganz leicht zugedeckt hatte, kam er zu mir in die Küche, da ich für Lasagne war und enormen Hunger hatte.
"Was machst du?", fragte er ahnungslos und setzte sich auf eines der Stühle. Natürlich machte es mir nicht leichter, denn ich sah vom Blickwinkel, wie seine Augen jeder meiner Bewegungen beobachteten und ich wieder nervös wurde.
"Lasagne", lächelte ich schräg und legte eine Strähne hinters Ohr.
Ich konnte sein Grinsen deutlich spüren, doch war eher damit beschäftigt, das Geschirr mit dem Besteck auf dem Tisch zu legen.
"Du siehst heiß aus in diesem Shirt, weißt du was?", fragte er rau und ich verkniff mir mein Lachen.
"Halts Maul", sprach ich uninteressiert.
"Nein wirklich man. Deine Figur wird voll betont."
Ich dachte es hätte jetzt ein Ende, weil ich nicht antwortete, aber ich lag falsch. Schleunigst zog er mich unerwartet auf seinem Schoß und legte seine Arme um meinen Bauch.
"Lass mich los!", sprach ich laut und versuchte mich mit aller Kraft von ihm zu lösen, indem ich wie verrückt zappelte. Plötzlich legte er seine Hand auf meinem Mund und kam mit seinen Lippen zu meinem Ohr.
"Die Kleine schläft, psht", flüsterte er und ich beruhigte mich.
"Dann lass mich los du Trottel", zischte ich und drehte mein Gesicht zu ihm. Ein Schütteln seinerseits kam und ich seufzte.
"Jogginghose, beste Leben", hauchte er und ich verstand.
"Lass mich jetzt du Perverser", sagte ich genervt und verdammt schämte ich mich.
Er jedoch drehte mich zu sich und fing an meine Haare um seinen Zeigefinger zu wickeln und aus unerklärlichen Gründen kamen sich unsere Gesichter immer näher.
"Tarik bitte", sprach ich nun ungeduldig und fing an leicht zu zappeln.
"Tarik bitte", äffte er mir nach und hob meinen Kinn, dass ich ihm ins Gesicht schauen konnte. Nichteinmal Sekunden konnten vergehen, schon küsste mich der Idiot ganz zart.
Zwei Sekunden vergingen, sieben Sekunden vergingen, doch wir küssten uns weiterhin.
Nach erst elf Sekunden, die ich gezählt hatte, entfernte er sich von mir, stand auf und trug mich ins Wohnzimmer. Wieder küsste er mich diesmal wilder und seine Hände waren jeweils links und rechts abgestützt. Plötzlich spürte ich seine Hand an meiner Taille und er hob vorsichtig mein Oberteil und strich über meinen Bauch. Plötzlich, wie aus dem Nichts, setzte mein Verstand an und ich riss meine Augen auf. Als er bemerkte, dass ich nicht seinen Kuss erwiderte, löste er sich von mir.
"Was los?", fragte er und ich schämte mich abgrundtief.
"Oh mein Gott", sagte ich leise zu mir und stand sofort auf, doch er zog mich nach hinten zu sich.
"Hayatim", seufzte er und lachte leicht.
"Halts Maul Idiot", bewarf ich ihm mit einem Kissen.
"Du hast da ein wenig rote Farbe im Gesicht", strich er über meine Wange und ich sah wütend zu ihm.
"Wieso hast du aufgehört?", fragte er.
"Denk doch mal nach."
"Du hast vor wenigen Tagen eine Geburt hinter dir gelassen, du stillst und denkst ich bin ein Arschloch."
"Es war einfach falsch", unterbrach ich ihn.
Mit seinem Daumen strich er über meine feuchte Unterlippe und gab mir flüchtig einen Kuss. Sauer sah ich zu ihm.
"Wie lange willst du noch wütend auf mich sein? Wir haben uns nach der Trennung zig mal geküsst und berührt", wurde er ernst.
"Wenn du Verstand besitzt. Du bist bald 23 Jahre alt und immernoch kein Mann. Weißt du überhaupt was für einen Ruf du in Köln trägst?"
"Welchen?"
"Player, Krimineller-
"Heißes Model", ergänzte er.
"Siehst du? Du kannst nichtmal ernst bleiben. Du Kind", seufzte ich.
"Hayat ich schwöre, ich schwöre auf mich selbst, dass ich seit Monaten mit niemandem geschlafen habe."
"Frag Abed oder Harun. Auch bei den illegalen Rennen hab ich aufgehört."
"Was machst du sonst?"
"Drogenhandel, aber nur das. Mehr nicht."
"Kannst du nicht damit aufhören?"
"Bald, ich versuche da raus zu kommen. Hayat gib mir eine Chance, die aller, aller, aller letzte Chance. Ich schwöre, ich enttäusche dich nicht nochmal. Weißt du, seit Kader auf der Welt ist, seh ich, wie schwer es für dich war und ich hab dir geholfen. Irgendwie hat sich alles seit ihrer Geburt verändert."
"Ich liebe dich Hayat, ich liebe dich so abgöttisch man", sprach er mit einem Hauch Verzweiflung und strich über meinen Rücken.
"Ich liebe dich so krass, dass ich das nichtmal beschreiben kann. Was hast du bloß mit mir angestellt?", fragte er mich und fing an zu lächeln.
Auch ich lächelte und umarmte ihn.
"Ich hab nichts getan", lachte ich und roch heimlich seinen Geruch in mir.
"Du sagst ich bin Krimineller, dabei bist du selber ein Dieb Hayat, du hast mein Herz geklaut."
Immernoch klang er verzweifelt, denn ich hatte seine Liebe nicht erwidert.
"Hayat sag doch was", sagte der ungeduldige süße Mann neben mir und ich lächelte heimlich.
Langsam löste ich mich von ihm und sah zu ihm.
"Was willst du hören?", fragte ich ihn.
"Ja dass du mich auch liebst oder irgendwas. Ich hab mir den Arsch aufgerissen, um meine Liebe zum zweiten Mal zu beichten."
"Ich liebe dich auch Tarik-Al-Sayed. Ich liebe dich", lachte ich überglücklich laut und er vergrub sein Gesicht in meiner Halsbeuge.
"Sei offiziell meins Hayatim."
[...]
Drei Wochen später..
"Kaderim", küsste Tarik Kaders Stirn und anschließend meine Lippen.
"Jedes Mal schläft die man. Immer Kader, immer. Hadi Kader öffne deine Augen", ermutigte er die Kleine, die stumm da lag.
Schnell zog ich mir meine Kleidung an, da ich duschen war und ging zu Tarik, der im Wohnzimmer Fernseher schaute. Davor stillte ich Kader und legte sie in ihr Babybett.
"Du hast Augenringe bekommen", sagte er besorgt und strich über meine Augensäcke.
"Kommt davon, wenn Kader ihre schlechten Nächte hat", sprach ich und schaltete den Fernseher an.
"Eine Spur des Täters von Emre Korkmaz. Der junge Mann wurde in der folgenden Nacht am 15. August 2016 gewaltig ermordet und nun hat man nach Wochen eine Spur des Mörders gefunden. Es handelt sich um eine Karte, die der Täter wahrscheinlich bei sich beigetragen haben soll. Noch ist man am ermitteln."
Darauf folgte ein Foto und mir stockte der Atem.
"Tarik?!", schrie ich und sah entsetzt du ihm.
Er schien zu überlegen.
"Sag nicht, dass du", ich brach ab, denn mein Zittern wurde immer schlimmer.
Er hat ihn umgebracht. Ich wusste nicht ob ich lachen oder weinen soll. Lachen, dass es mein Vergewaltiger war oder weinen, weil Tarik ein Lebewesen umgebracht hat.
"Hayat, ich musste es tun. Er hat dich belästigt und vergewaltigt."
"Und das machst du, indem du ihn einfach umbringst?!", schrie ich fassunglos und stand vom Sofa auf.
Mir stiegen die Tränen.
"Das ist nicht dein Ernst Tarik. Nein, nein!", schrie ich und hielt mir die Ohren zu.
Ich konnte es nicht glauben, zu was er in der Lage war. Er hat einen Menschen umgebracht.
Fest drückte ich meine Augen zusammen und versuchte diese Sätze, die ich eben im Fernseher gehört hatte, zu vergessen.
Sofort schaltete er den Fernseher aus, als sie erneut ein Foto des Mistkerls zeigten und kam zu mir.
"Hayatim wie sollte ich ihn leben lassen, wenn er dich nicht in Frieden hat leben lassen?"
"Bitte wein nicht, bitte", sagte er verzweifelt.
"Aber Tarik, wieso. Wieso bist du zu sowas in der Lage?", fragte ich ängstlich.
"Bin ich nicht, es war meine Wut. Dadurch hab ich es geschafft."
"Bereust du es nicht?"
Er schüttelte seinen Kopf. Um ehrlich zu sein bekam ich Angst. Er hat eiskalt einen Menschen ermordet. Und das für mich. Wegen mir.
"Ist egal, hauptsache er kommt dir nicht mehr in die Quere. Hayat wein doch nicht", seufze wr besorgt und küsste mehrmals meinen Kopf.
Sollte ich sauer auf ihn sein? Ich kannte ihn von Anfang an, aber dass mit dem Morden war neu für mich.
"Wieviele Personen hast du umgebracht he?", fragte ich frustriert.
"Nur ihn Hayat."
Er wollte was sagen, doch schwieg.
"Wen noch? Spuck aus Tarik!"
"Der andere Hurensohn, der dich vergewaltigt hat. Sonst niemanden."
"Tarik", seufzte ich und stampfte mit dem Fuß vor Wut auf dem Boden.
"Kleines", sagte er bedrückt und sah zu Boden.
"Was wenn du ins Gefängnis kommst?"
"Dann bin ich eben paar Jahre im Gefängnis. Hayat es passiert schon nichts."
"Ich hab Angst", flüsterte ich hilflos und schluchzte. Was wenn Tarik festgenommen wird? Abrupt legte er seine Arme um meinen Oberkörper und ich schloss meine Augen.
Vom Wohnzimmer aus hörte ich Kaders Weinen und ging ins Schlafzimmer. Rasch fütterte ich sie, betrachtete sie dabei und ging mit ihr ins Wohnzimmer.
Tarik schien zu überlegen, denn er hatte seinen Kopf auf seinen Armen gestützt. Er sah hoch zu mir und beobachtete Kader, die wach war und er in meine Augen sah, dass er sie tragen wollte.
Lautlos gab ich ihm Kader und lehnte meinen Kopf an seine Schulter.
"Hör mit diesem Gangsterleben auf, sonst schwör ich dir, dass du uns nicht nochmal sehen wirst", sprach ich todesernst und sah leer nach vorn.
"Ich kläre das schon irgendwie", murmelte er vor sich hin.
Ein Mörder trägt meine Tochter. Dieser Gedanke schmerzte so unheimlich in mir. Tarik blieb nur zehn Minuten, meinte er müsste etwas klären und verschwand.
Keine Stunde verging und Selma kam.
"War joggen", sprach sie außer Atem und ging duschen. Ich machte für sie die Lasagne warm, auch wenn sie meckern würde, da sie joggen war. Kader bekam erneut Hunger und ich fütterte sie.
"Du saugst mich förmlich aus Kaderim", lachte ich und strich über ihre Haare, die so weich waren.
Hinter mir erwischte ich Selma, die mit einem bedrücktem Lächeln sich an den Tisch setzte.
"Du bist so ein Trottel Hayat", seufzte sie und aß genüsslich die Lasagne.
"Was ist los mit dir? Du hast ja eine krasse Sieben-Tage-Regen-Miene auf."
Plötzlich legte sie den Besteck beiseite und sah zu mir.
"Hayat ich muss dir was erzählen. Ich habs total vergessen."
Ihre Augen füllten sich und sie seufzte laut.
"Harun, naja du weißt ich war ja Prostituierte und ich hab es Harun gestern erzählt-
"Du hast was?!", riss ich meine Augen auf.
"Erst gestern? So spät? Ich dachte er wusste es schon?"
"Hayat das war so schwer. So, so verdammt schwer und wir haben uns gestern aufs Heftigste gestritten. Er hat mir so schlimme Worte und Beleidigungen an den Kopf geworfen und meinte, es wäre Schluss zwischen uns. Er war so sauer. So hatte ich ihn noch nie erlebt und seit gestern fehlt seine Spur. Er hat mich nicht zurück gerufen."
Kader legte ich in den Maxicosi neben mir, stand auf und umarmte meine verzweifelte beste Freundin.
"Du musst verstehen, dass er sauer war. Seine Freundin lag immerhin unter Männern", murmelte ich und diese Sätze taten sogar mir weh, wie schlimm diese Zeit bloß für sie war, weil sie ihr Leben irgendwie finanzieren musste.
"Ich konnte nicht anders Hayat. Ich wollte wirklich nicht, aber ich hatte die Schule abgebrochen. Vor deinen Augen habe ich Bewerbungen geschickt und keine einzige Antwort erhalten. Er hat mich verlassen."
"Er hat mich verlassen", flüsterte sie immer und immer wieder und drückte sich zitternd an mich.
"Soll ich mit ihm reden?"
Hastig nickte sie.
"Ja bitte. Ich kann ohne ihn echt nicht. Dieser Junge hat mein Leben auf die Reihe bekommen, mich auf die Reihe bekommen."
Ununterbrochen schluchzte sie und mir stieg das Wasser in den Augen.
"Er liebt dich so enorm Selma. Lange wird diese Distanz zwischen euch nicht herrschen, also mach dir keine Sorgen okay? Jetzt wisch deine Tränen weg und lächel."
Kurz lächelte sie und nahm meine Kleine auf dem Arm. Weiterhin essen tat sie nicht, da ihr anscheinend der Hunger vergangen war.
Zusammen verbrachten wir den Tag und beschlossen am späten Abend spazieren zu gehen. Schnell klappte Selma den Kinderwagen auf, während ich Kader warm genug anzog, da sie noch ein Baby war und das Wetter für sie kalt wäre.
"Wir gehen jetzt spazieren Kader", grinste Selma und küsste ihre Stirn, bevor sie sie in den Kinderwagen legte und den Reisverschluss des Stoffes hochzog.
"Bist du warm genug angezogen?", fragte sie mich und ich nickte.
"Leggo", lachte sie und wir spazierten in der späten Nacht herum.
"Harun ist bestimmt in der Shishabar", murmelte sie und ich legte meinen Arm um sie.
"Lass deinen Kopf frei von ihm sein. Auch wenn du keinen Weg mehr siehst Selma, ihm geht es nicht besser."
"Ja du hast Recht", sprach sie und wir wechselten das Thema.
Plötzlich sah ich eine bekannte Gestalt vor mir. Semra.
"Hey Semra", sprach Selma und wollte sie umarmen, doch ich packte sie am Arm und griff fest zum Kinderwagengriff.
Meine ernste Miene verdeutlichte Semra, wie wütend ich auf sie war und sie wirkte eher geschockt, oder doch ängstlich?
Selma wurde ruhig, als sie mich so sah und wagte einen Schritt nach hinten und das mit Kader.
"Hure", spuckte ich aus mir.
"Na hat dich Tarik fallen lassen? Anscheinend ja, schau an, du hast ja ein Kind", lachte sie hochnäsig und wollte ihren Kopf zu Kader ausstrecken, doch ich stellte mich vor dem Kinderwagen und überlegte, wie ich diese Furie umbringen soll.
"Wir sind auf dem Weg zu ihm", grinste ich.
"Ich wette, er ist nichteinmal ihr Vater. So schlampig wie du bist Hayat. Ich wette, dass du wie Selma für Geld rumgefickt hast."
"Falsch gewettet", zischte ich und schubste sie nach hinten.
"Noch ein Wort zu meiner besten Freundin, Tarik oder meinem Kind, dann schwör ich dir, dass du deinen Namen vergisst du Schlampe", zog ich an ihren Haaren und Selma hielt mich auf.
Semra sagte nichts mehr, schwieg und ging.
Siegessicher sah ich zu Selma, die verunsichert zu mir sah. Ihre Augen füllten sich und sie rannte in meine Arme.
"Ich würde die Zeit so gerne umdrehen. Ich bereue es sowas von, so eine schmutzige Arbeit gehabt zu haben", sagte sie traurig und ich beruhigte sie sofort.
"Du bist mir etwas schuldig. Ich höre?", sagte sie und kreuzte ihre Arme vor die Brust, nachdem sie ihre Tränen stoppte.
"Ich war letztends mit Tarik frühstücken, in der Bäckerei war das und dann ist die mit drei Männern maskiert aufgetaucht, mit Waffen. Sie hätte eine Affäre mit Tarik gehabt und ich wäre dazwischen gekommen."
"Was?! Wie krank ist das denn und dann mit Waffen ankommen."
"Du musstest die Bäckerin sehen. Die Arme", lachte ich und sie stieg mit ein.
"Hatte sie nicht einen Freund?"
"Ja, deshalb wunder ich mich ja auch, was zwischen Beiden passiert ist."
"Was eine Verräterin", sprach sie angeekelt und ich nickte. Wir beschlossen nach Hause zu gehen, da es immer kühler wurde und mitten im Weg rief mich Tarik an. Ich nahm nicht ab, da ich ihn Zuhause in Ruhe anrufen würde.
Angekommen lernte Selma voller Stolz, wie man die Windel eines Babys wechselt und zog sie anschließend um. Zusammen setzten wir uns auf dem Sofa und ich schaltete den Fernseher an.
"Kader hat Glück, dich als Mutter zu haben. Wenigstens hat sie eine. Ich meine schau uns beide an."
"Wir sind wie Waisenkinder", sprach ich mit Tränen in den Augen.
Da ich so nah am Wasserfall gebaut war, rannten die ersten Tropfen herunter und Selma fing ebenfalls an, Tränen zu vergießen.
Fest umarmten wir uns und weinten uns die Seele aus dem Leib und es tat so gut, mal den Leid rauszulassen. Den Leid mit einem Menschen zu teilen. Jeder Kummer, jeder Stich, jedes schmerzhafte Wort, den ich mit meiner Familie ausgewechselt hatte, tat so unendlich weh.
"Alle haben Familien man, unsere haben uns nicht einmal angerufen", schluchzte sie.
Wenn man das Objektiv genauer betrachtet, sind wir wirklich Waisenkinder. Keiner schenkte uns eine Erziehung. Als Jugendliche hatten wir uns gegenseitig aufgezogen.
Nach einer Stunde Weinerei stoppten wir durch Tariks Anruf, den ich abnahm. Er würde Kader und mich abholen. Er bestand darauf, dass Selma ebenfalls kommen solle, doch die Chance, dass er Harun rufen würde war groß, also würde sie zu sich nach Hause fahren.
"Oho Tarik was hast du denn?", fragte Selma, als er beinahe einen Unfall gemacht hätte und ich wie eine Verrückte vor mich hinlächelte, da er mich durch den Rückspiegel beobachtet hatte.
"Mich hat was geblendet", sagte er mit einem Lächeln und mein Herz glühte auf.
"Was denn?"
"Ein Engel", lachte er und wir stiegen mit ein.
Nachdem er Selma nach Hause fuhr, setzte ich mich nach vorn, weil Kader schlief.
"Endlich sind wir mal allein", seufzte er und drückte mir einen Kuss auf den Mund.
"Idiot man", wurde ich rot.
Er nahm mir die Taschen und Kader ab und ich schloss seine Tür auf.
"Leg sie auf das Bett und leg rechts und links ein Kissen neben ihr", schlug ich ihm vor, weil sie sonst runterfallen könnte. Er gehorchte, tat dies und wir gingen in die Küche, um etwas zu trinken.
"Warum hast du uns hergeholt?"
Ahnungslos zuckte er die Schultern.
"Habe nachts allein Angst", sagte er ernst und ich fing an laut zu lachen.
"Alles klar", spritzte ich ihn mit dem Wasser ab und er zog mich zu sich.
Plötzlich legte er seine nassen kalten Hände unter meinem Shirt und ich zuckte gewaltig zusammen.
"Lass was machen", sah ich hoch zu ihm und er sah gierig zu meinen Lippen.
"Tarik hörst du mir überhaupt zu?", fragte ich belustigt.
"Was? Ja klar. Wie könnte ich nicht?"
"Du rutschst von der Schleimspur."
"Lass chillen Kleines."
"Tamam Hässliches."
Mit Anschwung sprang ich auf die Couch und kuschelte mich an Tarik, der sein Handy in die Hand hielt und durch Facebook scrollte.
"Hast du Zeit?", schrieb einer seiner Freunde.
"Kann nicht, hab was zu tun", schrieb Tarik und ich grinste vor mich hin. Wie süß, er sagt wegen mir ab.
Die Uhr schlug halb Eins. Kader weinte und Tarik holte sie aus dem Zimmer. Er beruhigte sie selbst und es sah einfach nur süß aus, wie er sie rumschaukelte.
Unerwartet klingelte es an der Tür und ich sah verwirrt zu Tarik, der selbst überlegte, wer es sein könnte. Er übergab mir Kader und sah durch das Loch.
"Die Bullen", flüsterte er und meine Gesichtszüge entgleisten.
"Hey Hayat, keine Panik okay?", flüsterte er und legte beide Hände auf meinen Wangen.
"Bloß keine Panik schieben. Es wird nichts passieren. Es wird nichts passieren, okay?", versuchte er es mir zu versichern und küsste meine Stirn.
Es klingelte erneut und ich bekam Gänsehaut.
"Was, wenn die dich mitnehmen?"
"Machen sie nicht Hayatim. Beruhig dich", hauchte er und küsste meine Lippen kurz.
Schnell öffnete er die Tür und zwei Polizisten standen ihm entgegen.
"Herrn Al-Sayed?", fragte der Linke.
"Der bin ich", sprach Tarik.
"Sie werden wegen Mordes an Emre Korkmaz festgenommen", sagte der Rechte und ich schrie laut auf.

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