Kapitel 21

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"Nach wie vor keine Komplikationen", lächelte meine Frauenärztin mich an und ich bekam wieder weiche Knie. Wie beim letzten Mal war Tarik aufgeregt mit dabei und wir verließen sorgenfrei die Praxis. In der Stadt kauften wir neue Kleidung für Kader, da sie deutlich gewachsen war und ihr ihre alte Kleidung nicht mehr passte. Nach zwei Stunden, in denen Tarik sich wie ein Kind benahm und so tat, als wären wir seit Stunden unterwegs, kamen wir mit einer vollen Tüte WOK nach Hause. Selma hatte auf sie aufgepasst und würde in einer halben Stunde erscheinen. In der Zeit aßen wir und zogen uns bequeme Kleidung an. Davor ging ich noch duschen und putzte ein wenig die Wohnung ehe ich mich zwischen Tariks Beine legte und er durch meine Haare strich.
"Du bist richtig verspannt", kommentierte er, als er meinen Rücken leicht massierte und ich musste ihm Recht geben. Seit Kaders Geburt war ich kaum am Ruhen und hatte kaum Schlaf.
Plötzlich legte er seine feuchte Lippen an meiner Schulter ab und fing an dieser Stelle zu knutschen.
"Nicht jetzt Tarik", versuchte ich ernst zu bleiben, obwohl ich ihn selbst wollte und er mich verführte.
Doch statt auf mich zu hören, zog er meinen Ärmel tiefer, sodass meine Schulter komplett nackt war und er diese komplett liebkostete und rasch zu meinem Hals gelang. Und genau, als er die Stelle traf, die am sensibelsten an mir war, drückte ich meine Zähne zusammen und unterdrückte mein Stöhnen.
"Tarik", flüsterte ich hilflos, doch er tat seine Arbeit. Ungewollt stand ich auf und richtete mein Oberteil.
"Penner", rief ich und verschwand in die Küche, um etwas zu trinken.
"Das war nicht dein Ernst. Weißt du was für eine Strafe das ist?", fragte er mit einem Schmollmund und setzte sich auf dem Küchenstuhl.
Seine Blicke ruhten auf meinem Bauch und obwohl da noch nichts war, spürten wir beide diese Freude.
"Du bist doch jetzt in der Zwölften ne?", fragte er und ich nickte.
"Man sagt doch, dass man jedem nach der zwölften Schwangerschaftswoche erzählen kann, dass man schwanger ist."
"Und das heißt auch, dass unserem Kind eigentlich nichts passieren kann", schlussfolgerte er und ich nickte.
"Wen willst du es erzählen?"
"Ich will es jedem sagen und dann fett feiern mit Bitches."
"Spaß", lachte er und ich fing an laut zu lachen.
"Wie der auf cool tut", lachte ich ihn hart aus.
"Sie hat dir doch klar und deutlich gesagt, dass alles gut ist", lächelte ich ihn an und legte meine Arme um seinen Nacken.
[...]
Erneut bekam ich Unterleibschmerzen, die mich mitten in der Nacht weckten und ich in die Küche ging. Ein Glas Wasser trank ich, um den Durst und die Trockenheit in meinem Hals zu stillen. Mein Bauchbereich schmerzte und mir wurde wieder übel. Vielleicht tut frische Luft gut. Mit nackten Füßen betrat ich den kalten Fliesenboden auf dem Balkon und sah herunter zur leeren Straße. Keine Menschenseele war wach, alle Lichter aus. Es nieselte leicht, doch die kalte Brise mit dem leichten Regen tat gut. Meine Hände stützte ich an und sah durch die Gegend. Ich liebte die Natur, diese Ruhe, diese Atmosphäre und dieses Wetter. Mein Kopf, der drohte zu platzen, fühlte sich immer wohler an und jede Kleinigkeit, jedes Problem, jede Sorge, jede Last verschwand. Nach einer halben Stunde beschloss ich mich wieder hinzulegen und schlief nach langem Wälzen ein. Der Tag verging ereignislos, nur war Tariks erster Arbeitstag und allein, dass ich ihm die Krawatte binden musste, sagte aus, wie zappelig und aufgeregt er war. Am Abend kam er erschöpft nach Hause und berichtete mir, dass alles gut liefe. Er könnte jedoch höhere Chancen haben, eine höhere Position einnehmen, doch für diese Gelegenheit musste er es sich selbst erarbeiten.
Zwei Wochen vergingen und mir ging es nicht gut. Tarik erzählte ich nichts, nahm heimlich einen Termin beim Frauenarzt und war bereit, Selma zu beichten, dass ich schwanger war, da ich sie mitnehmen würde und Kader bei Tahani Teyze bleiben würde.
"Wohin?", fragte meine beste Freundin.
"Setz dich, muss mit dir reden", seufzte ich und machte es mir auf dem Sofa gemütlich.
"Die Sache ist die", fing ich an und sah zu meinen miteinander spielenden Händen.
"Ach keine Ahnung ich hatte Geschlechtsverkehr mit Tarik. Nach paar Wochen hab ich tagtäglich gekotzt und bin krank geworden."
Die Freude war Selma ins Gesicht geschrieben. Ihr Grinsen immer breiter.
"Weiter!", sprach sie wie ein Kind und machte sich gefasst. Sie würde gleich schreien.
"Wir waren beim Arzt. Er ging davon aus, dass ich schwanger sei und als wir beim Frauenarzt waren hat es sich bestätigt. Das Baby ist gesund aber seit dem letzten Termin hab ich Schmerzen und keine Ahnung. Alles fühlt sich komisch an, so war es aufjedenfall nicht bei Kader", seufzte ich.
Kreischend fiel sie mir um den Hals.
"Oh mein Gott!", schrie sie so laut wie nie und küsste meine Wange um die huntertmale.
Auch ich lachte.
"Herzlichen Glückwunsch!"
"Bestimmt weil es ein Junge wird, vielleicht fühlt es sich deshalb so komisch an. Welche Woche?"
Kurz überlegte ich und rechnete.
"14", grinste ich und wir fuhren mit dem Bus zur Praxis. Zwar regnete es, doch wir wurden nicht allzu viel nass. Es dauerte, aber Tarik würde erst in Stunden Zuhause erscheinen.
Nach etlichen Stunden wurde mein Name aufgerufen und ich stand zappelig vom Platz auf. Mein Instinkt gab mir ein schlechtes Gefühl und plötzlich ging ich vom Schlimmsten auf. Meine Augen waren wie auf bereit gestellt, Tränen zu produzieren, aber nicht jede Schwangerschaft musste gleich sein. Vielleicht liegt es wirklich daran, dass es ein Junge wird.
Wie üblich wurden die Tests gemacht und als wir auf dem Display das Baby sahen, machte meine Frauenärztin ein verwundertes Gesicht. Seit einer Stunde kontrollierten sie mich und es wurde kein Wort gesprochen. Auch Selma hatte gespürt, dass nichts gutes in der Luft lag und hielt deshalb meine Hand.
"Frau Ates, es sind Komplikationen aufgetreten", sprach sie traurig und bekam meine Aufmerksamkeit.
"Wie meinen Sie das?", fragte ich mit schlagendem Herz und sah mit Blässe ins Gesicht in ihre Augen.
"Es tut mir wirklich Leid das zu sagen, aber ihr Kind wird das nicht schaffen. Das Herz hat kaum Sauerstoff und mir scheint es, als würde ihr Kind kaum Luft im Bauch bekommen. Ihr Kind hat ein Herzfehler. Ich gebe höchtens zwei Wochen. Noch lebt es, aber ich sag mal so. Es geht dem Kind nicht gerade gut", tätschelte sie meinen Arm und mir entging eine heiße Träne. Ich hätte es ahnen müssen. Ich wusste es. Nur mir konnte sowas schreckliches passieren. Wie sollte ich es Tarik beichten? Dass sein Kind in zwei Wochen, oder auch drei Tage sterben wird? Wie kann ich ihm das bloß antun? Er strahlte vor Freude. Ich könnte nicht.
Auch Selma verlor eine Träne, die auf meiner Hand landete und ich gerade aus verzweifelt in die Augen der Frauenärztin sah. Noch vor zwei Stunden war ich glücklich.
Die Frauenärztin erklärte mir die Situation und würde mich schleunigst in die Klinik schicken, da ich mich für das Ausschaben des toten Kindes vorbereiten musste und davor die Reste raus mussten. So wie sie es mir erklärte wurde mir übel und schwindelig. Nie wollte ich, dass mein Kind so rausgeholt wird. Auf diese Art und Weise. So grob und unsanft, so unangenehm.
Mit Selma fuhr ich Richtung Krankenhaus, meldete mich an und wir warteten auf die Krankenschwester, die uns abholen würde.
"Ruf Tarik an Hayat!", sprach sie zum Hundertstenmale und vernichtete die restlichen geduldigen Zellen in meinem Kopf.
"Später. Er ist außerdem arbeiten und ich weiß nichtmal, was jetzt auf mich zukommt."
"Das hat dir die Frauenärztin doch erklärt", sprach sie verwundert und strich über meinen Rücken.
Sie wusste, dass ich weinen wollte, doch ich wollte die Lage überspielen. Auch wenn die Situation schwer war. Bloß nicht weinen. Ja ich hatte ein wenig Tränen verloren, doch ich wollte weder Selma noch Tarik noch mehr belasten. Irgendwie gab ich mir aus unerklärlichen Gründen die Schuld. Dass ich was falsch gemacht habe, dass es dem Kind so schlecht geht. Doch ich hatte auf meine Ernährung geachtet. Auf meine Umwelt, auch meinen Bauch, dass ich mich damit nicht stoße.
Während Selma wiederholte, was die Frauenärztin meinte, träumte ich wieder vor mich hin und bekam Szenen und Vorstellungen, wie ein totes Kind aus mir genommen wird. Zwar wird es nicht reif sein, doch es wird die Umrisse eines Körpers haben. Grad mal 7 Zentimeter wird das kleine Wesen sein, aber es steckt in Lebensgefahr. Für eine Mutter zu hören, dass ihr Fleisch und Blut leidet, ist es das schlimmste Gefühl.
Beim Aufrufen meines Names stand ich nur schwer vom Platz auf und ging ein wenig schwankend der Schwester hinterher, während Selma warten wollte. Die mitleidigen Blicke von der Krankenschwester machten mich kaputt, aber ich folgte ihr ohne zu weinen, ohne jegliche Gefühle zu offenbaren. Ich starb innerlich jedoch. Nicht nur ich, sondern mein Baby.
Sie legten mich auf das Bett und meinten ich solle mich erstmal ausruhen. Danach würde man mein Kind genauer untersuchen, die Ursache feststellen und anschließend warten, bis es nicht mehr lebt.
Meine Hand wanderte zu meinem Bauch und ich sah aus dem Fenster. Mein Leben war so ungerecht. Ja Allah testet uns, aber doch nicht mit solchen Tests? Mit so vielen? War das eine Strafe? Hatte ich eine Sünde begannen?
"Ich hoffe, dass du deinen Tod nicht spürst", flüsterte ich und sah zu meinem Bauch, der eine ganz leichte Wölbung hatte. Die sah man nur beim längeren Sehen, doch bald würde diese Wölbung wieder klein werden. Als wär nichts drin gewesen.
"Es tut mir so Leid", hauchte ich und mir entging eine heiße salzige Träne.
Plötzlich kam ein Arzt rein, meinem ersten Eindruck nach ein sehr netter und lebensfroher Arzt, der etwas älter war, doch sich deutlich jung gehalten hatte.
"Frau Ates, ich erzähle Ihnen mal etwas", fing er an und ich hörte ihm aufmerksam zu, wie er anfing zu erzählen. Eine Art Geschichte zum Aufmuntern, die mir ein wenig Mut schenkte. Klar und deutlich erklärte er mir, wie der Ablauf dieser Ausschabung sein würde. Dass sie mich nach Hause schicken würden und ich es von selbst spüren würde, wöchentliche Kontrolle, Tabletten, lauter Medikamente und vorallem wurde mir geraten, Monate zu warten und nicht sofort schwanger zu werden.
"Mir ist bewusst, dass sie sich das vorstellen, aber das schaffen Sie. Augen zu und durch", atmete er auch.
"Die Ergebnisse sagen, dass sie Ruhe brauchen und falls sie Schmerzen im Unterleib oder Bauchbereich spüren, dann rufen Sie die Krankenschwester."
Kurz lächelte er und ging. Er war so nett und hatte mir halbwegs die Angst genommen.
Mein Leib zitterte, obwohl mir nicht kalt war, doch ich zog die Decke über meinen Körper und dachte nach, was ich jetzt machen soll. Tarik wird es so oder so herausfinden, weil ich hier bleiben muss. Doch als ich nach meinem Handy griff, ging auch schon die Tür auf und unerwartet trat Tarik herein. Eine eisige Kälte umwickelte meinen ungeschützten Körper und der Schauer über meinen Rücken wiederholte sich. Er hatte es bereits erfahren. Schluckend, in Hoffnung die Trockenheit in meinem Hals verschwindet, sah ich zu ihm hoch, als er genau vor mir stand, mit Blicken, die ich selten an ihn gesehen hatte. Seine Gestik verriet seine Anspannung der Muskeln. Seine Wangen verrieten, dass er sich fest auf die Zähne biss und da stand er. Die tickende Zeitbombe Tarik, die kurz davor war in einem Gefühlschaos auszubrechen.
"Was ist passiert?", fragte er unklar, da sein Zittern ihn zum Stottern brauchte und ich überlegte. Ja, was war passiert?
"Ich", fing ich an, doch fand keine Worte.
"Das Baby wird", versuchte ich erneut zu beginnen, doch augenblicklich stoppte meine Atmung, das ich das Reden abbrach und tief Luft nahm, da ich gegen meine Tränen wie in einem Krieg kämpfte, kurz vor dem Versagen.
Seine Hände fanden ihren Platz an meinen Schultern und er bückte sich leicht zu mir, als Zeichen dafür, dass ich reden solle.
Weiter hielt ich es nicht auf und verlor diesen Kampf. Wie ein Wasserfall strömten Tränen aus meinen Augen und ich zog ihn näher zu mir. Mein Weinen wurde immer lauter, immer schrecklicher und ich bemerkte, wie Tarik ebenfalls emotional wurde und mich fest an sich drückte.
"Keine Chance", waren meine einzigen Worte und er verstand sofort, worauf ich hinaus wollte. Seine Arme befestigten sich und ich hatte das Gefühl, das er meinen Trost brauchte und er sich wie verloren fühlt. Diesmal war nicht nur ich die Schwache, sondern auch er. Er war verloren, es ging ihm grottenschlecht. Kein Wort rutschte über seine Zunge, sondern nur seine Gestik spielte die Hauptrolle. Nur mein Weinen war zu hören und ich konnte nicht aufhören, denn es tat schrecklich im Inneren weh. Das Gefühl einen Menschen zu verlieren, was nichteinmal ein kompletter Mensch ist, ist unglaublich schmerzhaft. Noch gestern waren wir glücklich, Eltern zu werden. Er hatte seinen Ruf, sein Alltägliches wegen diesem Kind ausgelassen, seine Gang verlassen, keine Waffen, keine Drogen, nichs von diesen Sachen trug er mehr bei sich. Er gab alles auf, hat sich geändert und nun trifft ihn diese Nachricht.
Nachdem seine Umarmung mich beruhigte und mein Weinen aufhörte schloss ich meine Augen. Ich war kurz vor dem Schlafen, war vom Weinen müde, doch tat dies nicht, sondern versuchte positiv zu denken, das Beste daraus zu machen, doch keines Weges.
"Es tut mir Leid Tarik", flüsterte und spürte, wie er seinen Kopf schüttelte.
Seine Sprachlosigkeit verschlug mir die Sprache.
"Du trägst keine Schuld. Das war unser Schicksal", flüsterte er und löste sich von mich. Und zum ersten Mal sah ich sein Gesicht so richtig. Er hatte glänzende Augen, aber es sah danach aus, als hätte er seine Tränen zurück gehalten. Seine Lippen fest aneinander gedrückt und an seinem Kiefer bemerkte ich, dass er die Zähne zusammen biss.
"Leg dich erstmal hin. Wie konnte das passieren?"
Seine Hände drückten mich sanft ins Bett und er deckte mich ohne jegliches gesagt zu haben zu. Danach nahm er Platz auf meinem Bett und nahm meine Hand in seine, während meine Augen auf unsere Hände gerichtet waren und mir wieder klar wurde, was für einen traumhaften und starken Mann ich an meiner Seite habe. Einer, der mir alles verzeiht, mir nie die Schuld gibt, auch wenn es mal meine Schuld ist.
Kurz nahm ich einen langen Atemzug und schloss meine Augen.
"Es wird in höchtens zwei Wochen sterben, weil das Herz zu schwach ist. Ein Herzfehler."
"Mein erstes Kind ist tot", sah er zu Boden und ich sprach mit bebender Stimme:"Es tut mir so Leid Tarik."
Erneut schüttelte er wie traumatisiert seinen Kopf und seufzte.
Plötzlich stand er auf und legte sich in mein Bett, nachdem er seine Schuhe auszog. Wenig später wurde mein Körper in seinen Armen genommen und ich schloss meine Augen. Das war Liebe. Genau das, unzwar für einander da sein.
Ich weiß nicht, wieviele Stunden ich geschlafen hatte, aber es war dunkel und ich sah im Dunkeln auf mein Handy. Laut seufzte ich, als meine Augen wegen dem Licht zugedrückt wurden und ich mich langsam an das Licht gewöhnte. 23:33 Uhr. Natoll, so spät. Schnell rief ich Selma an, die abhob.
"Wo ist Kader?", fragte ich leicht panisch.
"Bei mir. Ich habe ihr Aptamil Milch gegeben und sie spielt gerade. Du Hexe lässt sie den ganzen Tag schlafen und nachts ist sie hellwach. Die Arme hat so einen scheiss Schlafrhythmus", seufzte sie und ich lächelte kurz.
"Soll ich Tarik schicken?"
"Nein ich bekomme das schon hin. Sie ist ziemlich brav. Sieh du nur zu, dass du keinen Milchstau bekommst. Wir besuchen dich morgen."
"Okay, danke Selma", atmete ich beruhigt aus, da ich keinen Nerv hätte, mich um Kader zu kümmern.
"Das ist selbstverständlich. Wie geht es Tarik?"
"Wie mir", seufzte ich traurig und strich über seine Wange. Er hatte es nicht verdient.
"Was passiert ist, ist passiert. Du kannst ja noch Kinder machen. InshAllah wird dein nächstes Kind gesund sein. Weißt du, es ist alles Allah überlassen. Allah meint es gut."
Kurz überlegte ich und stellte fest, dass ihre Worte wahr waren. Alles lag in Allahs Hand. Er hat alles mit Verstand überlegt und getan. Aus einem Grund.
"Ich hoffe nur, dass ihr beide diese Zeit zusammen übersteht. Kader behalte ich die Tage, damit ihr Zeit habt. Ich denke, dass ihr alles erstmal verdauen müsst, vorallem du. Ich hoffe es findet schnell ein Ende und wird nicht diese zwei Wochen noch in die Länge gezogen."
"Naja egal. Ruh du dich aus Hayat. Mach dich nicht verrückt", flüsterte sie, doch ich hörte es. Sie war dem Weinen nahe.
"Gute Nacht", flüsterte ich mit Tränen und wir legten auf.
Meine toten Augen sahen hinunter zu meinem Bauch, auf dem Tariks Hand lag. Wieder einmal plagten mich Schuldgefühle und ich legte meine Hand drauf. Ich hoffe wirklich es findet ein kurzes und schmerzfreies Ende. Weder ich noch mein Kind sollen leiden.
Am Morgen war Tarik der Jenige, der zuerst aufwachte und von draußen Frühstück geholt hatte, während ich mein Gesicht wusch und mir die Zähne putzte. Ich sah schrecklich aus, doch zum Glück hatte ich ausgeschlafen. Mit dem Dutt, der Jogginghose und dem Hoodie ging es mir nicht hübscher, aber ich fand keinen Grund, mich hübsch zu machen.
Zwei Tage vergingen und ich hatte plötzlich abgenommen. Klar aß ich genügend, ließ ab und zu wegen meiner Laune mal das Essen aus, aber aus dem ganzen Stress hatte ich zügig abgenommen. Die Sache war nicht mehr so frisch, sondern wir beide kamen damit zurecht. Tarik sprach nicht viel. Er war meinem Eindruck nach noch unter Schock. Kader kam für wenige Stunden und wurde gestillt. Zwar bekam ich in den Nächten Milchstau, doch mit der Pumpe überlebte ich es irgendwie.
Es war gegen Abend und Tarik massierte meinen verspannten Rücken. Danach half er mir beim Umziehen meiner Kleidung und anschließend aßen wir gemeinsam unseren Döner, den Harun uns mitgebracht hatte.
Plötzlich spürte ich ein seltsames Gefühl in meinem Unterleib und mir wurde sofort bewusst, was für Schmerzen das waren.
"Tarik ich glaub es ist so weit", sprach ich und er drückte auf den Notknopf.
"Mach dir keine Sorgen okay", sprach er nervös und ich nahm seine Hand. Das Kind starb, ich spürte es.
Irgendwie bekam ich Schmerzen und ich zischte vor Schmerz.
Tarik, der überfordert meine Hand hielt gab mir das Glas Wasser und versuchte mich irgendwie zu beruhigen.
Eilig erklärte ich der gekommenen Krankenschwester das Gefühl und sie bat mich, mit in die Toilette zu kommen, da die Flüssigkeit rauskommen musste, um die OP zu starten, doch vergebens. Es war nichts zu sehen und ich legte mich wieder auf mein Bett. Später nahm sie mich ins Untersuchungszimmer und stellte den Tod meines Kindes fest. Es war nun tot, eine kleine Leiche.
"Frau Ates, noch kann das Kind nicht rausgeholt werden."
Wütend verließ ich das Untersuchungszimmer und ging wieder auf mein Zimmer gefolgt von Tarik.
Betrübt zog ich die Decke über meinen Kopf und seufzte laut.
"Das kann doch nicht wahr sein. Die sollen es wenigstens rausholen. Ich kann doch kein totes Kind in mir tragen!", wurde ich wütender und spürte, wie Tarik seine Hand auf meinen Rücken legte.
"Ich sprech gleich mit denen Hayat."
"Das ist schon krass. Es ist tot, einfach so schnell", flüsterte er leicht geschockt und sah zum Boden. Luftanhaltend unterdrückte ich meinen Schluchzer und legte beide Hände auf seine Wangen. Mit einem Ruck zog ich ihn zu mir und legte seinen Kopf auf meine Brust. Langsam legte er seine Hand auf meinem Bauch und mir verging das Atmen. Er hatte es nicht verdient. Er hat doch schon so viele Menschen verloren. Seinen besten Freund Alican und nun sein eigenes Kind. Er war so glücklich, wie all seine Freunde und nun?
Vorsichtig strich ich über seine Wange und er kuschelte sich an mich.
"Die haben es noch nicht rausgeholt, weil das nicht spontan geht. Es ist immerhin eine Operation, deshalb und du musst erst die ganzen Medikamente bis zur Operation genommen haben. Das vereinfacht die Ausschabung."
"Woher weißt du das?", fragte ich leicht skeptisch.
"Das hat die doch eben gesagt, aber du warst richtig wütend. Du hast garnicht zugehört."
"Sollen wir spazieren?", fragte ich ihn.
"Schaffst du das?"
Nickend stand ich auf und klammerte mich an ihn.
"Brauchst du eigentlich nicht Bettruhe?", fragte er erneut, doch ich schüttelte nur meinen Kopf.
"Ne mir gehts doch gut."
Überzeugt davon gingen wir nach draußen in die kühle Luft und spazierten eine kleine Runde, in denen wir uns beide Mut machten, dass alles gut laufen wird und wir zusammenbleiben müssen. Es könnte ja jeden treffen und wir waren nurmal das Opfer dieser Situation. Dieses Gespräch zwischen uns erleichterte unsere Lasten und er hatte Recht. Es war Allahs Entscheidung.
Eine Woche verging und morgen wäre es soweit. Immernoch lag ich im Krankenhaus, doch seit dem Tod spürte ich nichts. Nichteinmal das Gefühl, als ich schwanger war, war da. Es fühlte sich an, als wäre nichts in meinem Bauch und irgendwie vermisste ich das Schwangersein. Tariks Freunde hatten es mitbekommen und jeder von ihnen war hier, es waren ziemlich viele, zu viele sogar. Tarik ging weder zur Arbeit noch unternahm er etwas mit Freunden. Stattdessen blieb er den kompletten Tag in der Klinik und er hatte mir gestern sogar Rosen gekauft. Selma kam mit Tahani Teyze, ihrem Mann und meiner kleinen Kader, die mir am meisten Leid tat, da ich sie kaum stillte und sie wohl oder übel ohne Muttermilch auskommen musste. Doch sie aß stattdessen Brei, Joghurt oder trank Aptamilch und Tee.
Ein Tag später..
Am frühen Morgen machte ich mich bereit zur OP und saß nun mit einem Op-Hemd auf dem Bett und wartete, dass man mich abholen würde. Meine Haare richtete ich zu einem Dutt und blickte auf mein Handy.
Bin gleich da.
Las ich. Wenig später öffnete sich die Tür und Tarik kam herein. Unsicher zuckten meine Mundwinkel in die Höhe.
Tariks Sicht:
Eine Krankenschwester kam und wir schoben Hayat in den OP-Saal. Jeder und auch ich trugen diese komischen Anzüge, die ich nur aus Filmen kannte. Die kleine Op würde nur 20 Minuten dauern. Und ich musste zugeben, dass das die schlimmsten Minuten meines Lebens waren. Nachdem sie eine leichte Narkose bekam und somit untenrum betäubt war, wurden lauter Instrumente benutzt und die Schleimhaut samt Kind rausgeholt. Man hatte Umrisse des Kindes erkannt und ich wusste, dass es Hayat grottenschlecht dabei ging. Ihre zierliche Hand war in meiner und ich drückte diese leicht. Zum Glück gab es keine Komplikationen. Wir mussten jedoch noch im Aufwachraum bleiben, bis ihre Narkose verschwand. Danach wurde sie wieder in ihr Zimmer verlegt und seit der Operation wurde kein Wort über die Zunge gebracht. Da ihr Blutdruck ziemlich niedrig war, hatte sie eine Infusion bekommen. Nachdem die Infusionsflasche leer war und sie ihre Medikamente zum Einziehen ihrer Gebärmutter bekam, konnten wir nach genau drei Stunden nach Hause. Sie war mir zu ruhig, doch zu ihrem Recht, weil sie schwieg, wenn es ihr schlecht ging. Zuhause legte sie sich ins Bett, da sie Schmerzen hatte, während ich versuchte irgendwie mit Kontakt zu Selma eine Suppe für sie zu kochen. Ich wette, meine Suppe würde scheiße schmecken, aber ich hatte mir den Arsch dafür aufgerissen. Doch als ich ihr Zimmer betrat, sah ich das Engelsgesicht seelenruhig schlafen.

Verliebt in ein VerbrecherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt