Kapitel 2

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"Lass bisschen in der Stadt chillen", schlug Deniz, mein Arbeitskollege vor.
"Es ist aber schon bald dunkel", piepste ich ein wenig unsicher.
Ich musste immerhin die Bahn neben und einer meiner Ängste war der Hauptbahnhof, andem ich mich nicht an Nächten aufhalten wollte.
"Ich fahr dich", lächelte er warm.
Letztendlich bejahte ich und schon marschierten wir los. Es war kühles Wetter angesagt, mit meiner Bomberjacke konnte ich mich gerade noch warm halten.
Unser Magen schrie nach Essen, also nahmen wir schnell noch haufenweise Burger mit, die wir nebenbei aßen und uns hinterhielten.
"Das erste Mädchen, was sich nicht schämt, vor einen jungen zu essen", lobte er mich, weswegen ich stolz grinste.
"Um ehrlich zu sein ist es mir auch unangenehm, aber nur, wenn ich so richtig beobachtet werde", lachte ich und schmiss das Papier in die Mülltonne.
Deniz kannte mich ziemlich gut, schon bevor wir zusammen im Café gearbeitet hatten, waren wir in Kontakt.
Auch vom Rausschmiss wusste er, doch weiter detailliert hatte ich es niemandem erzählt. Nur Semra.
"Hayat", sagte er ruhig und sah mich etwas, naja nervös, an?
"Ja?"
"Ich hab ein Mädchen kennengelernt."
Strahlend zeigte ich ihm meine zwei Zahnreihen.
"Erzähl!", forderte ich ihn auch.
Ich freute mich für ihn, sehr sogar. Wir waren wie Geschwister, zumindest fühlte es sich zwischen uns so an.
"Ich will ihr einen Antrag machen. Wir sind zusammen, schon seit Monaten, aber ich will sie heiraten-
"Du sollst von ganz am Anfang beginnen Salak (Idiot)", lachte ich.
"Okay also eigentlich wollte ich sie nur ficken-
"Nein so Anfang auch nicht", stoppte ich ihn sofort.
Kurz lachten wir, schon fuhr er fort.
"Wir haben uns durch Freunden kennengelernt. Sie ist sofort aufgefallen, positiv aber. Gleichzeitig war sie einfach geil, aber dann hab ich gemerkt, dass sie nicht der Typ ist, den man nach einer Nacht wegschmeißen kann. Ich hab mich verliebt. Wir sind bald schon ein Jahr zusammen. Ich will alles schnell hinter mir haben."
"So schnell?"
"Jaman. Ich bin schon 25."
"Ich hab mir überlegt, dass ich alle meine Freunde, meine Familie, ihre Freunde und ihre Familie einladen werde, zum Antrag."
"Das klingt gut, aber dann musst du dir umso mehr mühe geben, weil soviele da sind."
"Paar Herzluftballons, ein roter Teppich, lange Kerzenständer, Kerzen, so ein Rahmen, wo wir stehen werden. Was soll daran schon schwer werden?"
Kurz lachte ich auf.
"Ich helfe dir", versprach ich ihm.
[...]
Heute war die Hochzeit des besten Freundes von Ercan. Aus welchem Grund auch immer kannte auch Selma den Freund, also würde sie mitkommen. Auch ich war eingeladen, wieso auch immer. Durch meinen Cousin hatte ich ihn nur zweimal gesehen und niemals damit gerechnet, dass er heiraten würde. Der beste Freund von Ercan hieß Cihan.
Gerade machten Selma und ich uns fertig. Mein Kleid war elegant und betonte meine Figur stark. Der Rücken war frei und das Kleid bodenlang. An der Seite des Beines war ein feiner Schnitt, sodass mein Bein halbwegs zur Geltung kommen würde. Die Ärmel waren lang. Dazu nahm ich schlichte kleine Goldohrringe und meine Haare würde ich zu einem schicken Dutt machen.
Auf eine Kette verzichtete ich nicht und zog mir eine feine goldene Kette, mit meinem Namen auf arabisch an.
Noch High Heels, fünf Sprühe meines teuren Parfums, voilà.
Selma sah noch besser aus, denn ihr Kleid ließ sie wie ein Engel wirken.
Wir beide waren dezent geschminkt, sahen gut aus und schon machten wir uns auf den Weg zur Bahn.
"Ich hasse mein Leben", zischte sie, als sie beinahe in Matsch getreten wäre.
"Ich hab dir gesagt, spar und mach deinen Führerschein, aber nein. Madame geht mit vierhunderteuro shoppen", ärgerte ich sie und sah aus dem Fenster der Bahn, nachdem wir uns hinten setzten.
Provokant lächelte sie.
"Mein Ex soll dort sein", sagte sie plötzlich.
"Und du willst ernsthaft dahin?"
"Klar, wieso nicht? Er soll sehen, wie hübsch ich geworden bin."
Laut lachte ich auf. Dieses Mädchen war einer der selbstbewusstesten Mädchen, die ich je gesehen hatte. Durch sie hatte ich mehr Selbstbewusstsein bekommen, denn damals war ich charakterschwach, sehr sogar.
Es dauerte ein wenig, doch wir kamen relativ ruhig und stressfrei an. Schnell legte ich noch mein Handy in meinen Clutch, fuhr mit meinem Lippenstift über meine Lippen und schon stolzierten wir in den Saal.
"Wir sind bisschen spät", murmelte ich ihr zu und wusste nicht wohin, denn alle Tische waren besetzt. Das Ehepaar war am tanzen, rundherum viele andere Familien. Kinder liefen durch den Saal, flogen etliche Male auf dem Boden und Kellner bereiteten hinten das Essen vor. Ein kurzer Blick in den Saal, da erkannte ich sofort Ercan mit Semra.
Zwar wären wir mit ihr gefahren, doch ich war nicht der Typ, der Hilfe annahm. Für meine Art der Person passte es einfach nicht.
"Sollen wir zu Semra?", fragte ich Selma sicherheitshalber.
"Okay", lächelte sie süß und schon gingen wir gezielt zum Tisch der beiden, an dem unzählige Jungs beziehungsweise Männer standen, jedoch mit dem Rücken zu uns gedreht. Anscheinend waren das alles die Freunde von dem Bräutigam.
Elegant begrüßten wir uns.
"Overacting also", lachte Semra.
Wir trugen ein ähnliches Kleid, nur das ihr Kleid rot war und meins schwarz. Selma hingegen trug ein dunkelblaues, mit schwarzen Perlen am Dekolleté.
"Lass jetzt schonmal zur Braut gehen und denen alles Gute wünschen. Die haben aufgehört zu tanzen", stubste ich beide an und sah zum traumhaften Paar, die ebenfalls zuckersüß zusammen aussahen.
Schnell machten wir uns auf dem Weg zum Bräutigam, der sich äußerlich übrigens sehr verändert hat. Damals sah er kurzgefasst, deprimiert aus, so fix und fertig. Heute strahlte er und sein Bart war kürzer als vorher. Seine Frau war eine Schönheit.
"Cihan", grinste ich und lächelte die Frau an.
"Ahh Hayat. Du bist gekommen", lachte er.
"Wie konnte ich dich denn vergessen", lachte ich gespielt.
Overacting halt.
"Ich wünsche euch alles, alles Gute", umarmte Selma die Braut.
"Ich wünsche euch noch viel Glück in der Ehe."
Schon waren wir wie in der Luft aufgelöst.
"Ich hab Hunger", motzte sie.
"Und meine Füße schmerzen", ergänzte sie.
"Selma halt den Mund. Wir tanzen gleich noch. Das Essen kommt sowieso gleich. Lass uns zu Ercan am Tisch sitzen", schlug Semra vor.
Gesagt, getan. Die laute Musik dröhnte in meinem Kopf, schonwieder diese Kopfschmerzen.
Rasch ließ ich mich auf meinen Hintern fallen und unterhielt mich mit den Zweien. Es kamen viele Bekannte von mir zu mir. Die meisten kannte ich sogar garnicht, naja was solls. Zum Glück hat Niemand davon erfahren, dass ich von Zuhause rausgeworfen wurde. Doch sie würden sich bestimmt wundern, wieso meine Eltern nicht gekommen waren.
Semra verschwand mit Ercan zur Tanzfläche, als romantische und langsame Lieder abgespielt wurden, während ich augenverdrehend an meiner Sprite schlürfte und zu Selma sah, die bedrückt zu einem Jungen blickte. Ihr Ex.
Mitfühlend griff ich nach ihrem Arm.
"Scheiß drauf", sprach ich und sagte, dass sie nicht mehr zu ihm schauen soll.
Auch wenn Selma und ich nicht das beste Leben führten und unser Schicksal sich im negativen Sinne verheddert hatte, waren wir zwei Stärker. Als Jugendliche, unerfahrene kleine Mädchen haben wir ziemlich viel gesehen und erlebt.
Ungewollt musste ich mich daran erinnern, als uns eine Männertruppe am Hauptbahnhof aufhielt und uns mit Drogen vollspritzte. Einer unserer schlimmsten Erlebnisse. Nur mithilfe eines Mannes konnten wir fliehen, sonst hätten sie wer weiß Gott was noch mit und angestellt. Seitdem empfand ich eine Phobie für Spritzen und Dunkelheit, wie in Tiefgeragen zum Beispiel.
Natürlich war es kein Problem für mich durch dunkle Straßen zu spazieren, doch zwischendurch sehe ich jede zwei Minuten um mich herum, in Angst jemand verfolgt mich, so wie es diese Männer getan haben. Ich kriege eine Art Angstgefühl, wenn ich mich länger an gefährlichen,verlassenen und dunklen Orten aufhalte.
Zur Polizei konnten wir nicht, denn ich war nicht volljährig. Sie würden mich ins Heim stecken. Damals wohnten wir bei einem Mädchen, die volljährig war, weshalb wir kein Problem hatten, dass wir beide minderjährig waren, doch nachdem Selma achtzehn geworden war, hat sie sich sofort eine andere Wohnung gesucht.
Es gab Ereignisse, Menschen und Narben, die ich bis heute nicht vergesse. Und genau diese drei Sachen verfolgen mich bis heute noch.
"Was er mit mir alles angerichtet hat, ich kann darauf nicht scheißen", flüsterte sie mit glänzenden Augen.
Auch meine Augen füllten sich unerwartet. Sie hatte so ein verbittertes Leben gehabt, er hat sie aufs Schlimmste verletzt.
Sofort nahm ich ihre Hand in meine und drückte diese leicht.
"Karma wird ihn noch besuchen", murmelte ich und blinzelte meine Tränen weg.
"Kannst du aufstehen? Du sitzt auf meinem Sakko", tippte mich jemand von hinten an.
Moment Mal? Diese Stimme..
Abrupt drehte ich mich um und blickte erstaunt zu Tarik.
"Du?", fragte dieser ein wenig geschockt.
"Woher kennst du Cihan?", kam gleichzeitig wie aus einer Pistole von unseren Mündern herausgeschossen.
"Wir sind sowas wie verwandt."
"Wir sind gute Freunde."
"Stehst du jetzt auf oder willst du den Sakko neu bügeln?", fragte er grinsend.
Wow, nettes Lächeln.
"Tut mir Leid", murmelte ich sofort und übergab ihm seinen eleganten schwarzen Sakko. Verdammt, sah er heiß aus. Ein enges weißes Hemd, Haare perfekt gestylt. Der Bart brachte mich überhaupt aus dem Konzept.
Was will man mehr? Ein richtiger Gentleman stand vor mir.
"Wer ist das?", fragte mich Selma, nachdem er mich kurz abcheckte und wieder zu seinen Freunden ging.
"Dieser Tarik. Ich hab ihn letztends mit Ercan und allen gesehen."
"Mashallah", lächelte sie und zwinkerte.
"Jeder guckt ihn an. Vorallem die Frauen", merkte sie an.
Es war wirklich so. Egal ob alt oder jung, jede Frau sah zu ihm. Die älteren fanden so eben den perfekten Schwiegersohn, die jungeren den perfekten Mann.
"Ich kenn ihn Hayat."
"Wie meinst du das?", fragte ich rasch.
"Kennst du noch diese Irem? Sie ist sein One-Night stand gewesen. Er nimmt die dreckigsten und versautesten Schlampen aus dieser Stadt. Einfach nur krass."
Leicht klappte mein Mund auf.
"Ekelhafter Bastard", kam aus meinem Mund als Kommentar.
"Kann sein, dass man einen anderen Tarik meint, also verschaff dir lieber selbst ein Bild von ihm. Hinterher ist es wirklich ein anderer Tarik", lachte sie.
"Ich bin mir sicher, dass dieser hier gemeint ist, aber als ob er jemanden an sich so schnell ranlässt. Ich meine er wirkt zwar arrogant, aber ein Gefühl in mir sagt, dass er vernünftig ist."
Wenig später folgte das Essen und es hatten sich die Freunde von Ercan an unserem Tisch versammelt. Tarik saß am anderen Tisch, was auch gut war, denn es gab Momente, andem er mich beobachtete und ich es für unangenehm empfand. Nach dem Essen wurde noch ein wenig getanzt. Vorallem Cihan und seine Braut vergnügten sich.
Nach langem Tanzen, Rumalbern und Lachen neige sich die Hochzeit zum Ende, sodass Selma und ich uns unsere Mantel nahmen und aufstanden. Schnell verabschiedete ich mich von Cihan und seiner wunderschönen Frau. Gleichzeitig sind Tarik und der Rest mitgekommen. Ich weiß auch nicht wie, doch wir blieben stets zusammen. Andererseits war es wegen Semra und Ercan, die sich nicht voneinander lösen konnten, süß.
Draußen atmete ich die frische Luft in mir und checkte kurz die Nachrichten in meinem Handy.
Plötzlich blieb Selma stehen und hielt meinen Handgelenk fest.
"Hayat", keuchte sie und klappte zu Boden.
Sofort kniete ich mich besorgt zu ihr und brach in Panik aus. Mehrmals schüttelte ich sie, doch sie keuchte ununterbrochen nach Luft und hielt sich die Hand ans Herz.
"Was hast du?!", schrie ich vollkommen entgeistert und verlor eine Träne, gefolgt von der nächsten.
Schnell sah ich mich um und entdeckte weiter entfernt Ercan.
"Ercan!", schrie ich so laut ich konnte.
"Verdammt Ercan!", schrie ich mir die Seele aus dem Leib und drückte Selma an mich.
"Versuch durchzuatmen Selma. Du bist meine Seele, bitte versuch es zu überstehen", flüsterte ich weinend und Ercan kniete sich ebenfalls hinunter.
"Selma bitte!", flehte ich sie weinend an und küsste ihre Wange.
Ihre Augen waren bereits geschlossen.
Semra half mir beim Aufstehen und drückte mich an sich.
"Sie ist einfach so bewusstlos geworden", flüsterte ich traumatisiert in ihre Schulter.
Ercan hob sie hoch und trug sie Richtung Auto.
"Ich komme mit", entschied ich mich dafür, doch Ercan blockte ab.
"Hinten ist kein Platz mehr. Fahr mit Abed, ich nehme Harun zur Hilfe mit."
Selma war nicht bei sich. Weinend sah ich zu, wie sie nach hinten abgelegt wurde und er losflitzte. Was hatte sie so plötzlich? Wer war Abed?
Mit roten Augen drehte ich mich um und sah drei Jungs hinter mir, Tarik mit dabei.
"Wer ist Abed?", fragte ich emotionslos.
Der in der Mitte lächelte mitleidig und kam mir näher.
"Komm ich fahr dich."
Hastig nickte ich und stieg hinten ein. Neben mir saß Semra und vorne Abed mit Tarik.
Der Dritte ist nach Hause gefahren.
"Wie ist das überhaupt passiert?", fragte Abed und sah durch den Rückspiegel zu mir.
"Sie hatte Schmerzen an ihrem Herz. Es ist so plötzlich passiert. Sie hat keine Luft mehr bekommen", brachte ich schwer aus mir und brachte meine Schminke mit einem Tuch in Ordnung.
"Es waren sicherlich auch nur Schmerzen. Immerhin hat sie ja keine Krankheit", versuchte Semra mich zu trösten, doch ich war nunmal ein Pessimist.
Semra ist mein Ein und Alles, so kindisch es auch klingen mag. Wir sind eine Seele, ein Gedankengut. In schwersten Zeiten haben wir uns kennengelernt und durch schwere Zeiten gehen wir. Sie zu verlieren wäre mein Untergang, denn genau sie war diejenige, die mir die Hand gab, um aufzustehen und zu kämpfen.
Angekommen war ich die erste, die ins Hospital reinrannte und an der Rezeption mit verweinten Augen die Dame ansah.
"Wissen Sie, wo Selma Kayamaz ist?", fragte ich und sah völlig schwach zu ihr.
Kurz sah sie zur Tabelle, die vor ihr lag und ging mit dem Stift zum untersten Namen.
"Warten Sie bitte im Wartezimmer. Frau Kayamaz wird gerade kontrolliert und danach in ein Zimmer gebracht.
"Gehts ihr gut?", fragte ich rasch.
"Ich weiß im Moment nichts über ihre Lage. Tut mir Leid", sprach sie bemitleidend.
Entsetzte drehte ich mich um und folgte den anderen, die sich auf dem Weg zum Wartezimmer machten.
Plötzlich legte Tarik einen Arm um mich und drückte mich seitlich zu sich.
"Wein nicht Kleines", sprach er sanft.
Kurz sah ich hoch zu ihm und stellte den enormen Größenunterschied fest. Wenig später nahm er seine Arme von mir, sodass ich wieder regelmäßig atmen konnte und mich auf eines der Stühle setzte. Es befand sich niemand weiteres außer uns im Zimmer.
Abed hieß also der Junge, der mich letztends angelächelt hatte. Schon vom Aussehen her schien er so nett und hilfsbereit, doch wie sagt man so schön? Der äußere Schein trübt. Wer weiß, vielleicht ist er eines der größten Arschlöcher, doch seine Art, wie er sprach, war echt vertrauenswürdig.
Meine Wimpern klebten dauernd aneinander, da meine Tränen sich mit dem Mascara verklebten und ich nervig versuchte dieses Kleben loszuwerden. Meine Haare öffnete ich, da die Spangen anfingen zu drücken. Mein Kleid war eng, sodass ich mir das Sitzen doch lieber sparte und mich leicht an die Wand lehnte.
Innerlich sprach ich nur Gebete, wie oft ich konnte. Mein kompletter Körper zitterte vor Angst und Kälte. Stolz lobte ich mich, dass ich wenigstens in der Lage war, nach Ercans Hilfe geschrien zu haben, denn in solchen Situationen war ich so schwach, dass ich stundenlang mit Selma auf dem Boden liegen würde und weinen würde.
Frustriert stellte ich fest, dass ich meinen Mantel vor der Halle verloren hatte.
"Wieso brauchen die so lange?"
"Setz dich lieber hin", sagte Abed, doch ich verneinte nur und hielt mich auf Beinen. Die Sorge, dass meiner Schwester was zugestoßen ist, war so groß.
"Warte ich frage nach", stand Semra auf und ging.
Tarik sah zu mir und durchdrang mich wieder mit seinen Blicken.
"Ruf lieber deine Eltern an. Nicht, dass sie sich Sorgen machen", lächelte Abed.
Ein kurzer Stromschlag durchzuckte meinen Körper und schwächte mich umso mehr.
"Ich habe keine Eltern", wurde meine Stimme kühl.
Tariks Blicke wurden neugierig, während Abed sein Lächeln senkte und kurz blinzelte, als würde er diesen Satz nicht richtig verstehen.
Tarik beschäftigte sich mit meinem Handy, während ich mich entschied, mich hinzusetzen und Abed mir seine Aufmerksamkeit schenkte. Er war so nett, versuchte mich vom Thema zu lenken und tröstete mich nebenbei, drei in eins.
"Bruder ich muss los", sprach Tarik.
"Bleib doch, wie soll ich danach nach Hause?"
"Ich muss."
"Wohin?", fragte Abed, doch ich wusste sofort an dieser Redensart, dass es Abed wusste.
Tarik sah gefährlich zu ihn.
"Sag ab."
Kurz seufzte er und tippte in seinem Handy herum, als wäre Abed sein großer Bruder, dem er immer gehorchen muss.
"Wo bleibt Semra?", fragte ich genervt und sah zur Uhr, die an der Wand hang.
"Ich geh nach ihr gucken", sagte Abed.
Und nun war auch der Nächste weg. Stille entstand.
"Ist dir kalt?", fragte er, als er bemerkte, wie ich meine Hände vor die Brust kreuzte und das blöde Fenster schloss. Nein Tarik ich zittere wegen Lust und Laune.Kein Wunder, das ich beinahe an dieser Kälte gestorben bin. Das Fenster war offen und ich hatte es erst jetzt bemerkt.
"Schon okay", sprach ich.
Kurz atmete er aus und legte seinen Sakko um meinen zierlichen Körper, indem ich zweimal passen könnte.
"Danke", lächelte ich beschämt und sah sein Grinsen.
Ein unverschämt heißes Model hat mir seinen Sakko gegeben, wie 0815, doch ich könnte kreischen vor Freude. Es roch traumhaft. Dieser Geruch benebelte meine Sinne.
"Wie alt bist du?", fragte er und gesellte sich neben mich.
"Achtzehn du?"
"Zweiundzwanzig."
Er wollte was sagen, doch es platzte Abed wie aus dem Nichts ins Zimmer.
"Sie wurde in ein anderes Zimmer gebracht. Kommt."
"Wie gehts ihr?", fragte ich, stand auf und folgte ihm.
"Gut", lächelte mich Abed warm an.
Seine Blicke huschten zum Sakko, der mich halbwegs erwärmte, doch dazu sagte er nichts.
Abrupt fiel ich Selma um den Hals und erblickte den Rest.
"Wie du mir Angst gemacht hast!", sah ich sie mit großen Augen an und blicke zum EKG-Gerät.
"Was hast du?", fragte ich verwirrt und sah erst dann die Verkabelungen an ihrem Oberkörper.
"Herzinsuffizienz."
"Das ist?"
"Eine Art Herzschwäche, aber auf der rechten Herzseite. Das ist wegen meinem Bluthochdruck aufgetreten", sprach Selma und lehnte sich zurück.
Betrübt hielt ich ihre Hand und blickte zu dieser.
"Ist das schlimm?", fragte ich ahnungslos.
"Nein, Medikamente und Therapien werden das schon irgendwie unter Kontrolle kriegen. Mach dir keine Sorgen."
Schnell wusch ich mir die Träne aus meinem Gesicht und lächelte.
Eine Herzschwäche ist nichts Harmloses.
"Wir sollten sie ausruhen lassen", sagte Abed.
"Passt schon", lachte Selma.
"Ich bin ja nicht tot oder so."
"Aber du warst in dem Moment so blass. Ich hab wirklich gedacht, dass du tot bist!", sprach ich wie ein aufgeregtes Kind, was eine spannende Geschiche erzählt.
"Ich hab einfach keine Luft bekommen", lächelte sie.
Nach einem kurzem Gespräch beschlossen wir zu gehen, doch draußen fing die große Diskussion an, dass ich nicht alleine Zuhause schlafen darf.
"Leute bin ich fünf?", fragte ich in die Runde.
Nach langer Diskussion gab jeder auf, sogar Semra.
Harun fuhr mit dem Bus. Semra und Ercan fuhren nach Hause, während ich wieder mit Tarik und Abed im Auto hocken musste. Schön, dass Semra auch mal an mich denkt, dachte ich ironisch. Manchmal macht die Liebe wirklich so blind, dass man nur noch Augen für den Partner hat.
Diesmal saß ich mit Tarik vorne und Abed hinten. Tarik war wie immer kalt und abweisend, während Abed mit mir quatschte.
Für meinen Geschmack fuhr er zu schnell, übertrieben schnell. Nebenbei wechselte er die Spur, obwohl es die Spur der Autos war, die von vorn kamen, genau dann überholte er Autos. Er fuhr kurzgefasst aggressiv.
"Wo wohnt die Kleine?"
"Hayat", korrigierte ich.
Kleine?
Kurz erklärte ich ihm den Weg, bis er nickte und ich stoppte.
"Schön dich kennengelernt zu haben", sprach Tarik.
"Jetzt kannst du mir auch endlich meinen Sakko geben."
"Hier, bitteschön. An deiner Stelle würde ich mir den Mund nicht so weit aufreissen. Ich bin Hayat Ates, nicht deine Schlampe, der du alles an den Kopf werfen kannst."
Das war echt übertrieben von mir gewesen, doch ich konnte nichts einstecken.
"Ou der hat gesessen Bruder", lachte Abed laut.
Auch Tarik grinste.
"Was eine Hexe. Das war nur Spaß mit dem Sakko", lachte Tarik.
Ich glaub ich hör nicht richtig, Hexe also?
"Danke Abed", lächelte ich warm.
"Man sieht sich", lächelte dieser ebenfalls.
Tarik sagte nichts, war so klar, arrogant hoch Hundert.
Nachdem ich die Tür zu knallte takelte ich mit meinen Heels in die Wohnung und schloss diese auf. Dieser Tag war alles andere als schön. Selma hatte mir einen Schrecken eingejagt. Schnell nahm ich mir eine zehnminütige Dusche und zog mir graue Shorts mit einem Shirt an. Meine Sachen ordnete ich zurück in den Schrank und machte mir dabei Wasser für einen Tee warm. Eine Kopfschmerztablette führte ich zuletzt in meinen Mund und trank diese mit Wasser runter.
Plötzlich klopfte es an der Tür. Ängstlich stand ich auf und machte alle Lichter, bis auf den Flurlicht aus. Schnell schlich ich mich zur Tür und versuchte durch den Spionloch eine Gestalt zu entdecken, doch es war schwarz.
"Wer ist da?", fragte ich und schlug mir auf die Stirn. Wer auch immer da war, diese Person wusste, dass ich nun Zuhause war. Mein Körper zitterte, als nichts mehr kam.
So dumm und neugierig ich war, öffnete ich die Tür und erschrak, als ein besoffener Mann vor meiner Tür stand.
"Ist Selma da?", fragte dieser völlig außer sich.
Er war definitiv Südländer.
"N-nein", klang ich nervös und wollte die Tür zuschlagen, als er seinen Fuß dazwischen hielt und mich nach hinten schubste.

Verliebt in ein VerbrecherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt