7. Kapitel

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»Arya! Arya?« Meine Stimme war allmählich heiser, die Nacht verschlang alles, jeden Mann, jeden Hund, nur die Fackeln spendeten etwas Licht. Mir taten die Beine weh, doch ich durfte nicht halten. Ich konnte nicht! Ylenia sah aus wie ein Geist, so wie sie durch den Wald sprang und nach meiner und ihrer Schwester suchte.
»Arya?« Die Stimme meines Vaters - immer noch voller Kraft, aber auch Angst. Auf einmal blieben die Soldaten stehen. Der Lord von Winterfell sprach mit jemanden. »Verflucht sei diese Frau«, hörte ich ihn plötzlich rufen.
Ich raffte mein Kleid und rannte durch das Moos und das hohe Gras herüber zu ihm, gefolgt von einem Soldaten Winterfells. »Was ist, Vater?«
»Sienna, du kommst mit ins Audienzzimmer. Egal, was passiert, du sagst die Wahrheit«, wies Eddard Stark an.
Ich nickte und folgte ihm zurück zur Burg. Ylenia blieb draußen, während ich mit meinem Vater und einigen Soldaten zum König ging. Unzählige Leute hatten sich in dem Audienzzimmer versammelt, der König saß auf einem Stuhl, die Königin und ihr Sohn standen daneben. Joffrey hatte einen Verband um seine verletzte Hand gewickelt und blickte finster Arya an. Alleine stand sie vor dem König, und alle Blicke lagen auf ihr. Man hatte sie anscheinend gefunden und sie sofort zur Königin gebracht.
»Arya!«, rief mein Vater laut. Er ging zu ihr und umarmte sie.
Sie begann zu schluchzen und klammerte sich fest an ihn. »Es tut mir leid. Es tut mir leid, es tut mir leid.«
»Bist du verletzt?«, fragte Lord Stark meine Schwester besorgt.
»Nein.« Ihr Gesicht war schmutzig und ihre Tränen zeichneten rosafarbige Linien auf ihre Haut.
Mein Vater erhob sich und sah den König an. Ich konnte seinen Blick nicht sehen, denn ich stand am Eingang, etwas weiter hinten.
»Was hat das zu bedeuten? Warum hat man mich nicht wissen lassen, dass meine Tochter gefunden wurde? Warum wurde sie mir nicht umgehend gebracht?«
»Wie könnt Ihr es wagen, so mir Eurem König zu sprechen?«, antwortete Cersei Lennister, bevor der König es tun konnte.
»Still, Weib«, herrschte er sie jedoch sofort an. »Verzeih mir, Ned. Ich wollte das Mädchen nicht erschrecken. Es schien mir das Beste, sie herzubringen und die Angelegenheit schnell zu klären.«
»Und welche Angelegenheit ist das?«, sprach Ned mit fester Stimme. Sie schien unfreundlich, doch der König ließ sich davon nicht stören.
Die Königin trat vor und sah den Lord Winterfells an. »Das wisst Ihr ganz genau, Stark. Dieses Mädchen hat meinen Sohn angegriffen. Sie und dieser Schlachterjunge. Dieses Vieh, das sie stets bei sich hat, wollte ihm den Arm ausreißen.«
»Das ist nicht wahr!«, widersprach Arya. »Sie hat ihn nur etwas gebissen. Er wollte Mycah etwas antun!«
»Joff hat uns erzählt, was vorgefallen ist. Du und dieser Schlachterjunge, ihr habt mit Knüppeln auf ihn eingeprügelt, und dann hast du den Wolf auf ihn gehetzt«, sagte die Königin.
»Das ist eine Lüge!«, rief ich laut und alle wandten sich zu mir um. Sie traten beiseite, so dass ich nach vorne zu Arya und meinem Vater gehen konnte. »Ich weiß nicht, was davor passiert ist, aber -«
»Und deswegen kannst du auch nicht bezeugen, was genau passiert ist«, unterbrach die Königin mich harsch. »Du solltest dich da raushalten.«
»Mein Sohn erzählt mir das eine, deine Tochter das andere, Ned. Ich will doch nur, dass das hier schnell geklärt ist!«, rief der König.
Ich hörte hinter mir die Tür aufgehen. Ich drehte mich um und erblickte Sansa, die mit Jeyne Pool hereingekommen war.
»Sansa, komm her«, sagte mein Vater und Sansa trat zu uns hervor. »Erzähl uns, was passiert ist.«
Sansa trug ein blaues Samtkleid, welches mit Weiß verziert war, und eine Silberkette um den Hals. »Ich weiß es nicht«, sagte sie mit Tränen in den Augen. »Ich erinnere mich nicht. Alles ging so schnell. Ich habe nicht gesehen -«
»Du Hundsgemeine!«, schrie Arya und stürzte sich auf meine andere Schwester. »Lügnerin, Lügnerin, Lügnerin, Lügnerin!«
»Arya, hör auf!«, rief mein Vater und zog die beiden auseinander.
»Das Mädchen ist so wild wie ein verfilztes Untier«, meinte Cersei Lennister. »Robert, ich will, dass sie bestraft wird!«
»Wieso soll sie bestraft werden, wenn sie nichts getan hat?«, schritt ich ein.
»Sie hat meinen Sohn verletzt!«, rief die Königin. »Und ihr Wolf hat ihm fast den Arm abgerissen!«
»Sie hat es getan, weil er ihr mit einem Schwert hinterher gerannt ist und sie töten wollte«, beharrte ich.
»Wie redest du über meinen Sohn?«, schrie die Frau und funkelte mich wütend an.
»Schweigt!«, donnerte der König durch den Raum und erhob sich abrupt. »Verdammt noch mal, Kinder streiten sich. Es ist vorbei. Bleibender Schaden ist nicht entstanden.«
»Joff wird diese Narben für den Rest seines Lebens tragen!«, entgegnete seine Frau.
Der König musterte seinen ältesten Sohn und nickte schwerfällig. »Das wird er wohl. Vielleicht sind sie ihm eine Lehre. Ned, trag du dafür Sorge, dass deine Tochter bestraft wird. Ich werde dasselbe mit meinem Sohn tun.« Somit schien die Sache für ihn geregelt und er ließ sich seufzend in seinen Stuhl zurücksinken.
»Und was ist mit dem Schattenwolf?«, hackte Cersei Lennister nach, bevor wir gehen konnten.
»Den vermaledeiten Wolf hatte ich ganz vergessen«, sagte Robert Baratheon mehr zu sich als zu seiner Ehefrau.
»Wir haben keine Spur vom Schattenwolf gefunden, Majestät«, erklärte Jory, ein Mann meines Vaters, der ebenfalls anwesend war.
»Nein? Dann eben nicht.« Der König wirkte nicht gerade unglücklich über diese Aussage - er wollte endlich mit der ganzen Sache abschließen.
»Wir haben einen Wolf«, meinte die Königin. »Sogar zwei.« Sie blickte uns aus ihren grünen Augen an, die voller Triumph funkelten.
Nein, schoss es mir durch den Kopf und mein Körper erstarrte.
»Wie du willst.« Der König zuckte mit den Schultern. »Ser Ilyn wird sich darum kümmern.«
»Robert, das kann nicht dein Ernst sein!«, stieß mein Vater unglaubwürdig aus.
»Genug, Ned. Ich will nichts mehr davon hören. Ein Schattenwolf ist ein wildes Tier. Früher oder später würde er dein kleines Mädchen genauso angehen, wie es meinem Sohn geschehen ist. Gib ihr einen Hund, das ist besser für sie.«
»Er meint doch nicht Lady, oder?« Sansa schien das alles nicht verstanden zu haben. »Nein. Nicht meine Lady. Lady hat niemanden gebissen, sie ist gut ...«
»Lady und Ylenia waren nicht dabei!«, rief Arya. »Lasst sie in Ruhe!«
»Sansa, sag ihnen die Wahrheit!«, flehte ich. »Wenn du die Wahrheit sagst, passiert ihnen nichts!«
Die Königin sah Sansa eindringlich an, meine Schwester blickte zu Joffrey und sagte nichts.
»Vater!« Hilflos blickte ich mich nach Lord Stark um. »Halt sie auf!«
»Wo ist der Schattenwolf?«, fragte Cersei Lennister ohne jegliche Gefühle. Ihr Sohn stand lächelnd neben ihr – ein triumphierender Blick zierte sein Gesicht. »Schickt nach Ilyn Payne.«
»Nein!«, rief mein Vater bestimmt. »Ich werde es selbst tun. Jory geleite die Mädchen auf ihr Zimmer.«
»Ich komme mit«, sagte ich ohne Furcht.
»Nein, Sienna, du gehst mit Jory.« Mein Vater ließ nicht mit sich reden. Er ging, doch ich folgte ihm. Ylenia wartete draußen. Mein Vater hatte sie nicht gesehen, da sie sich unter einem Karren versteckt hatte.
»Lauf, Ylenia! Verflucht, lauf!« Die Wölfin hob den Kopf und sah mich aus ihren dunklen Augen an. »Ich werde sie retten, aber geh! Such Nymeria!« Ylenia verharrte kurz, dann wandte sie sich um und sprintete davon. Ich atmete erleichtert aus und hoffte innerlich sehr, dass man sie nicht erkennen würde, da sie weiß und sehr auffällig war.
Bitte, ihr Sieben Götter, ich flehe euch an. Wacht über sie!
»Ihr habt ihn gehetzt«, vernahm ich auf einmal die Stimme meines Vaters.
Ich drehte mich um und lief ihm entgegen. Er stand vor dem Pflock, an welchem Lady angebunden war, und beobachtete den Bluthund, den Leibwächter des Prinzen, der ein Pferd hinter sich herzog. Erst als ich einige Schritte näher bei meinem Vater entfernt stand, erkannte ich den Leichnam, der quer über den Pferderücken gelegt worden war.
Der Bluthund wandte seinen Kopf und sah kurz mich und dann Lord Stark an. »Er ist gerannt«, sagte er. »Wenn auch nicht sehr schnell.« Er lief weiter, ohne sich noch einmal umzublicken.
Auch Eddard Stark wandte sich ab und sein Blick fiel auf mich. »Sienna, du solltest doch auf deinem Zimmer sein«, sagte er und kniete sich vor Lady.
»Ich kann nicht einfach zulassen, dass du ihr etwas antust.« Ich deutete auf die Wölfin.
»Wo ist Ylenia?«, fragte er mich. Er sah mich mit einem durchdringenden Blick an. Arya hätte wahrscheinlich gelogen, Sansa hätte weggesehen, doch ich hielt seinem Blick stand.
»Weg«, erklärte ich. »Sie ist weg.«
»Ich kann Lady nicht gehen lassen«, meinte er nur und zog sein Schwert. Er hatte sich der Schattenwölfin zugewandt - er wollte es wirklich tun.
»Die Königin will die Wölfe beseitigt haben. Sie wird ihre Gründe haben, aber solange sie fort sind, ist sie zufrieden. Lass sie frei, Vater! Damals hatten sie keine Wahl gehabt, als ihr sie mitbrachtet. Du hattest damals zugestimmt, wenn ich mich recht entsinne. Du bist für das hier verantwortlich. Hättest du sie nicht mitgenommen, müsstest du sie jetzt nicht töten.«
»Sie wären so oder so gestorben«, beharrte Ned Stark und sah mich an.
»Aber du musst sie jetzt nicht töten!« Ich hockte mich hin und legte meine Hände auf seine. »Bitte«, flehte ich. »Vater, lass sie gehen. Die Königin wird nie etwas erfahren. Sie will sie nur loswerden.«
Der Mann antwortete nicht, sondern sah erst mich und dann Lady an. Er überlegte. Doch bevor er etwas tun konnte, band ich die Wölfin los. Sie musterte mich und ich nickte. »Geh, Lady. Geh zu Nymeria und Ylenia. Suche sie und bleib bei ihnen - in Sicherheit!« Bei ihr erwies es sich als deutlich schwieriger als bei Ylenia, doch nachdem ich die Leine hochgerissen hatte und sie durch die Luft peitschte, rannte sie davon.

Winter is coming || Game of Thrones Staffel 1-2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt