11. Kapitel

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»Wo ist er?«, fragte ich eine der Wachen, die stumm an jedem Eingang standen. »Wo ist mein Vater? Lord Stark, er ist die Rechte Hand des Königs!«
Großmaester Pycelle kam mir langsam entgegen und ich stellte mich ihm mitten in den Weg. »Wisst Ihr, wo mein Vater ist?«
»Ja, natürlich.« Der alte Mann sah mich freundlich an. »Er ist in seinem Zimmer.«
»Danke, Großmaester.« Ich nickte knapp und eilte weiter zum Turm der Hand. 
Als ich vor seinem Zimmer angekommen war, wurde plötzlich die Tür aufgerissen und die Königin kam herausgestürmt. »Geh beiseite!«, keifte sie mich an und ich machte schnell Platz.
Ich sah der Frau fragend hinterher, wandte mich aber kurz danach ab. Ich hob die Faust zum Klopfen, doch ich hielt inne.
In den vergangenen Tagen hatte ich meinen Vater wenig gesehen. Er hatte sich viel zu sehr in der Arbeit der Rechten Hand zurückgezogen und mich und meine Schwestern dem Leben in Königsmund überlassen. Arya ging weiterhin jeden Tag zum Kampfunterricht bei Syrio Forell. Sansa hatte davon keine Ahnung, sie dachte stets, dass Arya das Tanzen lernte, doch auch so interessierte es meine Schwester nicht, denn sie war vollkommen auf den Prinzen fixiert.
Mein Vater hatte ein Bordell besucht, um dort im Geheimen mit Petyr Baelish zu sprechen, ein Mann, der auch unter dem Namen Kleinfinger bekannt ein alter Freund meiner Mutter war und sich nun mit dem Titel »Meister der Münze« schmücken konnte.
Mein Vater hatte beinahe alle seine engsten Männer mitgenommen. Als er das Bordell verlassen hatte, hielten ihn die Goldröcke auf, darunter Jaime Lennister, die alle Männer des Nordens, auch Jory, töteten und meinen Vater schwer verwundeten. Nun war der Bruder der Königin verschwunden, so dass niemand ihn zur Rechenschaft ziehen konnte. Ich wusste nur davon. Warum er meinen Vater angegriffen hatte, war mir ein Rätsel.
Ich legte meine Hände auf das Holz und lehnte meine Stirn dagegen. Ich vernahm die Stimmen nur gedämpft, jemand war bei meinem Vater und ich wollte das Gespräch nicht stören, und so trat ich einen Schritt zurück, wandte mich um und ging.

Wir saßen alle im Solar - Arya, Sansa und ich -, unser Vater hockte vor uns. »Ich schicke euch drei nach Winterfell zurück«, sagte er, ohne zu zögern.
»Das darfst du nicht«, sagte Arya sofort. Sie trug immer noch die schmutzigen Sachen, die sie stets beim Unterricht trug.
»Bitte, Vater«, flehte Sansa. »Bitte nicht!«
Lord Stark sah uns an, mich länger - er erhoffte sich, auch meine Meinung zu hören, doch ich schwieg.
»Wir haben nichts getan! Ich war immer brav gewesen. Du kannst uns nicht fort schicken!«
»Sansa, ich schicke euch nicht fort, weil ihr gestritten habt. Ich wünsche zu eurer eigenen Sicherheit, dass ihr nach Winterfell geht. Drei meiner Männer wurden wie Hunde vor mir niedergemacht, keine Wegstunde von hier. Und was macht Robert? Er geht auf Jagd!«
»Vater, nicht vor den beiden«, sagte ich leise, da ich nicht wollte, dass sie die grauenvollen Details von dem Ereignis erfuhren.
»Können wir Syrio mitnehmen?«, fragte Arya.
»Wen interessiert dein dämlicher Tanzlehrer?« Sansa warf meiner jüngsten Schwester einen verachtenden Blick zu. »Vater, wir können nicht gehen. Ich soll Prinz Joffrey heiraten! Ich liebe ihn, Vater, ich liebe ihn wirklich. Ich liebe ihn so sehr -«
»Sansa, denk doch einmal bitte nicht nur an dich!«, wies ich sie säuerlich zurecht.
»Meine Süße, hör mir zu.« Mein Vater wandte sich an Sansa. »Wenn du alt genug bist, werde ich dich mit einem Lord zusammenbringen, der deiner wert ist, mit jemanden, der tapfer und sanft und stark ist. Diese Verlobung mit Prinz Joffrey war ein schrecklicher Fehler.« Mein Vater sah Sansa eindringlich an.
»Ich will niemanden, der tapfer und sanft ist. Ich will ihn!«, sagte Sansa. »Wir werden so glücklich sein. Ich schenke ihm einen Sohn mit goldenem Haar, und eines Tages wird er König über das ganze Land sein, der größte König, den es je gegeben hat, so mutig wie der Wolf und so stolz wie der Löwe.«
»Er ist ein Hirsch und kein Löwe!«, meinte Arya.
»Ist er nicht! Er ist kein bisschen wie der Säuferkönig!«
Ich sah zu meinem Vater und erkannte, wie sein Gesicht erblasste. »Bei den Göttern ...«, murmelte er. Er hob den Blick und sah mich an. »Sienna, hilf deinen Schwestern beim Packen und hol' eure Septa. Ich werde eine Handelsgaleere suchen, die euch nach Winterfell bringt. In diesen Zeiten ist die See sicherer als der Königsweg.«
Er erhob sich und scheuchte uns mit einer Handbewegung davon. Sansa und Arya verließen vor mir den Raum und bevor ich die Tür zuzog, drehte ich mich noch einmal um und beobachtete, wie mein Vater sich an seinen Schreibtisch setzte und ein dickes Buch öffnete. Er schien voll und ganz in Gedanken versunken, so dass er mich nicht mehr bemerkte, doch letztendlich verließ auch ich den Raum.
Später kam ich zurück. Mich trieb die Neugier, und diese war oft stärker als die Vernunft. Vor dem Solar wurde ich jedoch von einem Soldaten Winterfells aufgehalten.
»Euer Vater ist zur Zeit nicht anwesend, M'lady«, sagte der Mann.
»Ich habe etwas bei ihm vergessen, Ser«, log ich mit der Hoffnung, dass die Wache es mir abkaufen würde. Glücklicherweise nickte sie und trat zur Seite. Ich lächelte triumphierend und betrat das Solar der Hand. Die Tür fiel hinter mir ins Schloss und ich sah mich um. Das Buch, in welchem mein Vater zuvor gelesen hatte, lag aufgeschlagen auf seinem Schreibtisch.
Ich ließ mich auf den Stuhl sinken. Mit dem Finger folgte ich den Buchstaben und ich las innerlich die Zeilen durch. Baratheon stand in der Überschrift, darunter viele Namen zahlreicher Hoher Lords und Ladys und deren Kindern. Dort stand außerdem geschrieben, welche Haarfarbe sie hatten, und bei drei Namen geriet ich ins Stocken. Alle Adligen aus dem Hause Baratheon hatten stets schwarzes Haar gehabt - bis auf Joffrey, Myrcella und Tommen!

Winter is coming || Game of Thrones Staffel 1-2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt