Ich hatte mich hinter Sträuchern und hochgewachsenen Blumen versteckt. Sie sahen mich nicht, sie bemerkten mich nicht, doch dafür konnte ich alles sehen und erkennen. Die Königin stand vor ihm, vor der Hand, meinem Vater, der einen Gehstock halten musste, um stehen zu können.
»Ich weiß um die Wahrheit, für die Jon Arryn gestorben ist«, sagte er.
»Tatsächlich?« Die Königin hatte die Hände vor dem Bauch verschränkt. »Und deshalb habt Ihr mich hier her rufen lassen? Um mir Rätsel aufzugeben?«
Mein Vater schwieg und musterte die Frau. »Hat er Euch so etwas schon früher zugefügt?« Er deutete auf die Narbe, die auf der linken Wange der Königin prangte.
»Ein- oder zweimal. Nie ins Gesicht. Jaime hätte ihn umgebracht, selbst wenn es ihm das Leben gekostet hätte. Mein Bruder ist hundertmal mehr wert als Euer Freund.«
»Euer Bruder?«, fragte Eddard Stark. »Oder Euer Geliebter?«
»Beides«, sagte die Königin, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich hielt den Atem an, aus Angst, sie könnten mich hören. »Seit wir Kinder waren. Und warum auch nicht? Bei den Targaryen heiraten Bruder und Schwester seit dreihundert Jahren, um das Blut rein zu halten. Und Jaime und ich sind mehr als Bruder und Schwester. Wir sind ein und derselbe Mensch in zwei Körpern. Wir haben uns den Mutterschoß geteilt, wir kamen zusammen auf die Welt.«
»Mein Sohn Bran hat euch gesehen«, bemerkte Lord Stark.
»Ihr liebt Eure Kinder, nicht?«
»Von ganzem Herzen.«
»Nicht weniger, als ich die meinen liebe.«
»Alle drei sind Jaimes.«
»Den Göttern sei Dank«, sagte Cersei Lennister mit einem Lächeln im Gesicht – sie empfand kein wenig Reue.
»Habt Ihr ihn je geliebt?«, fragte mein Vater sie. »Habt Ihr je etwas für Robert empfunden?«
»In der Nacht unser Hochzeitsfeier, als wir zum ersten Mal das Bett teilten, rief er mich beim Namen Eurer Schwester. Er war auf mir, in mir, stank nach Wein und flüsterte Lyanna.«
Mein Vater schwieg kurz, dann sah er die Königin mit ernster Miene an und sprach mit fester Stimme: »Wenn der König von der Jagd heimkehrt, beabsichtige ich, ihm die Wahrheit zu sagen. Bis dahin müsst Ihr fort sein. Ihr und die Kinder, alle drei, und nicht nach Casterlystein. Wenn ich an Eurer Stelle wäre, würde ich ein Schiff zu den Freien Städten nehmen oder sogar noch weiter zu den Sommerinseln oder zum Hafen von Ibben. So weit Euch der Wind treibt.«
»Verbannung«, meinte die Frau. »Ein bitterer Trunk.«
»Ein süßerer Trunk als Ihr verdient hättet. Euer Vater und Eure Brüder täten gut daran, mit Euch zu gehen. Ich verspreche Euch, wohin Ihr auch fliehen mögt, Roberts Rache wird Euch verfolgen bis ans Ende der Welt, wenn es sein muss.«
»Und was ist mit meiner Rache, Lord Stark? Ihr hättet das Reich selbst an Euch reißen sollen. Jaime hat mir erzählt, dass Ihr ihn auf dem Eisernen Thron habt sitzen sehen, an jenem Tag, als Königsmund fiel, und dass Ihr ihn dazu gezwungen habt, ihn aufzugeben. Dann war Euer Augenblick. Ihr hättet nur diese Stufen erklimmen und Euch setzen müssen. Welch trauriger Fehler!«
»Ich habe mehr Fehler begangen, als Ihr Euch auch nur im Entferntesten vorstellen könnt, aber das war keiner davon!«
»Wenn man das Spiel um Throne spielt, gewinnt man, oder man stirbt. Dazwischen gibt es nichts.« Die Königin machte auf dem Absatz kehrt und schritt davon.
Ich stolperte mit klopfenden Herzen nach hinten, mein Atem ging rasend schnell. Erst jetzt wurde mir bewusst, in welcher Gefahr wir uns befanden, in welcher Gefahr sich nun mein Vater befand.
Die Königin wusste, dass er das Geheimnis gelüftet hatte, und sie würde alles daran setzen, ihn zum Schweigen zu bringen. Würde es an die Öffentlichkeit gelangen, würden Unruhen auftreten; die Ehre der Lennisters wäre dabei, unterzugehen.
Zitternd wandte ich mich um und hob den Stoff meines Kleides, um schneller gehen zu können. Mit einem schwirrenden Kopf lief ich über den Kiesweg, hastig, und immer einen kurzen Blick nach rechts und links. Wenn man mich entdecken würde, befände ich mich genauso in Gefahr wie mein Vater.
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Winter is coming || Game of Thrones Staffel 1-2
FanfictionBuch 1 Die Starks sind ein angesehenes und hohes Adelshaus im Lande Westeros. Nach einem Besuch des Königs beginnen sich die Kinder Catelyns und Neds im ganzen Königreich aufzuteilen. Sienna begleitet ihre kleinen Schwestern Sansa und Arya und damit...