Es war zwar erst einundzwanzig Uhr gewesen, als David und ich ins Bett gegangen waren, dennoch war ich hundemüde. Trotzdem hatte ich nicht viel geschlafen, weil sich ein ungutes Gefühl in meinem Bauch breit gemacht hatte. Ich hatte Schuldgefühle.
Um fünf Uhr am Morgen hielt ich es dann nicht mehr aus, ich stand auf, während David im Bett liegen blieb und setzte mich mit einem Glas Wasser in der Hand an den Tisch in der Küche und checkte meine Nachrichten. Dad hatte mir um zwei Uhr nachts geschrieben, dass er und meine Mutter erst Sonntag Abend wieder nach Hause kommen würden und dass Mom jetzt zu aufgewühlt war, um mich zu sehen.
Muss ich mir Sorgen um dich machen?, schrieb er abschließend.
Mir geht es gut, schrieb ich ihm eine dicke Lüge zurück.
Das Glas in meiner Hand hatte einen winzigen, fast unsichtbaren Riss. Ich leerte es in einem Zug,stellte es mit viel zu viel Wucht auf dem Tisch ab und das bereits angeknackste Glas zersprang. Die glitzernden Scherben verteilten sich auf dem Tisch und auf meinem Schoß. So würde es ganz sicher auch mit dem Herz meiner Mutter passieren, wenn ich nochmal so etwas durchzog. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, David mitzunehmen? Es war alles seine Schuld. Wäre er nicht gewesen und hätte er Warren nicht dauernd unter die Nase gerieben, ich wäre seine Freundin, wäre Warren niemals so ausgetickt.
Meine Finger formten sich wie von allein zur Faust, öffneten sich aber sofort wieder, als sich eine Glasscherbe schmerzhaft in meinen Finger bohrte. Der Schmerz hielt jedoch nur kurz an, denn meine Gedanken waren lauter. Ich dachte an meine Mutter und wie viel schlechter es ihr wohl gehen musste, im Gegensatz zu mir. Ich hatte ihr alles kaputt gemacht. Beim Aufstehen fielen die Scherben von meinen Beinen ab und landeten auf meinen nackten Füßen.
Ich hob einen Fuß an, schüttelte das Glas ab und stellte mich mit dem einen Bein auf die Stelle des Stuhls, auf der ich eben noch saß. Dann zog ich mich halb hoch, befreite auch den anderen Fuß von den Scherben und stellte mich ganz auf den Stuhl. Wie bei dem Spiel Du darfst den Boden nicht berühren! kletterte ich von Stuhl zu Stuhl, bis ich die Küchenzeile erreichte und auch da raufkletterte. Dabei hielt ich den verletzten Zeigefinger abgespreizt, sodass er nichts berührte, Von der Küchenzeile aus war es nur noch ein Sprung bis zu einer Stelle, die nicht nah genug am Tisch war, als dass dort Scherben liegen konnten.
Ich ging zur Spüle, um meinen verletzten Finger unter kaltes Wasser zu halten und das Blut wegzuspülen. Der Splitter in meinem Fleisch war nicht groß, aber groß genug, um ihn packen und raus ziehen zu können. Und das tat ich. Es tat nicht sehr viel mehr weh als vorher, nur blutete der Riss zwischen dem ersten und zweiten Fingerglied jetzt wie verrückt. Ich wickelte mir ein Stück Küchenpapier herum und schnappte mir den Handfeger, um die Scherben wegzumachen. Kaum war ich fertig, saß ich auch wieder auf meinem Platz, den verletzten Arm ausgestreckt auf dem Tisch liegend, den anderen angewinkelt als Kissen für meinen Kopf, die Augen geschlossen.
Ich wusste nicht, wie viel Zeit verging, aber irgendwann kam David nach unten. „Guten Morgen", verkündete er. Ich beobachtete seine Füße, die auf mich zu kamen. „Du blutest", stellte er dann fest, als er mich genauer gemustert hatte. Ich öffnete die Augen und starrte auf das von Blut durchtränkte Papiertuch um meinen Finger. „Mir ist ein Glas kaputt gegangen", erklärte ich.
Auch an ihm hatte der letzte Tag Spuren hinterlassen: Warren hatte ihm ein blaues Auge geschlagen, seine Lippen waren angeschwollen und aufgerissen und seine Wange zierte ein dunkelroter Bluterguss. David ging zum Küchenpapierspender und riss ein Stück ab. Dann nahm er einen Lappen und befeuchtete ihn mit warmen Wasser. Mit den Fingerspitzen klaubte er den roten Fetzen von meinem Finger und wickelte ihn in das Papiertuch, bevor er den Lappen nahm und sanft das Blut von mir wusch. Dabei war er so vorsichtig, dass der Schmerz nicht ein Mal anschwoll.
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Die Anonymen Badboy Opfer
RomanceDer Plan? - An all den verlogenen Badboys Rache nehmen. Die Rächer? - Eine Selbsthilfegruppe an Teenagern, die alle einem Babdoy zum Opfer gefallen sind. Das Opfer? - David. Das Problem? - Warren. Ich? - Manisch naiv und hohl genug zu glauben, dass...