#5 - Erste Spielchen und ein Sahneschmaus

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Als ich die Caféteria verließ, dachte ich, das Peinlichste des Tages hätte ich hinter mir. Ich hatte mich getäuscht.
Ms. Benson kam mir doch tatsächlich hinterher!
,,Lora!", rief sie und ich blieb überrascht stehen. ,,Kann ich kurz mit dir reden?"
,,Ähm, klar."  Mit einem Nicken bedeutete ich Christy und Oliver zum Unterricht zu gehen.
,,Ich habe das Theater mit David Edwards gerade eben gesehen und ich wollte dir sagen, dass-", setzte sie an, aber ich unterbrach sie.
,,Moment. Folgt jetzt das Verhütungsgespräch?", fragte ich  und hielt die Hände in einer abwehrenden Geste hoch.
Sie zog die Augenbrauen hoch.
Schnell setzte ich noch eine Erklärung hinterher. ,,Also falls sie es nicht bemerkt haben, ich hege kein Interesse für ihn." Ich gab etwas zwischen hysterischem Kichern und Luftschnappen von mir. ,,Er hat MIR die Tomate in den Mund gestopft, nicht ich ihm."
Ihr Gesichtsausdruck wurde sanft. ,,Im Gegenteil, Lora. Ich sehe, dass du am liebsten von ihm in Ruhe gelassen werden würdest. Was ich dir eigentlich sagen wollte, ist, dass du nicht die einzige bist. Es gibt so verdammt viele Mädchen, die etwas Ähnliches wie du ertragen müssen oder mussten. Tamy, Ann und Darly habe ich innerhalb kürzester Zeit nacheinander weinend auf der Schultoilette vorgefunden. Mit meiner Tochter wurde damals so sehr gespielt, dass sie am Ende die Schule gewechselt hat. Seitdem ist es besser geworden, vorbei ist es jedoch auch nicht." Sie strich sich eine blonde Locke hinters Ohr und sah mich mit ihren ehrlichen grauen Augen an. Kaum zu glauben, dass sie schon eine Tochter hatte, so jung wie sie aussah.
Es kam mir vor, als würde sie nicht von ihrer Tochter, sondern von mir sprechen. Auch ich hatte die Schule gewechselt, ohne irgendeine Form von Besserung. Zwar war ich nur wegen der Firmenarbeit meines Vaters umgezogen, doch nur wegen Warren hatte ich mich auf den Umzug gefreut.
Ms. Benson fuhr fort. ,,Du bist damit nicht alleine, Lora. Vielleicht solltest du dich mit anderen Mädchen zusammentun und mit ihnen darüber reden. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass du es mit mir tust, ist sehr gering." Sie grinste mich an und ich konnte nicht anders, als zurück zulächeln.

Als ich abends im Bett lag, erschien mir Warren vor Augen. Ich konnte mich noch ganz genau daran erinnern, wie er aussah. Er hatte ein kleines Muttermal über der Oberlippe, das man nur sah, wenn man kurz davor war, ihn zu küssen. Und seine eine Augenbraue sah ganz anders aus als die andere und doch war sein Gesicht einfach vollkommen.
Das blonde Haar war immer gut geschnitten und strubbelig frisiert, ohne dass es gewollt aussah. Und es fühlte sich immer so weich unter meinen Händen an. Das Einzige, was weicher war, waren seine vollen, perfekten Lippen.
Ich berührte mit den Fingerkuppen meine eigenen Lippen, auf denen ich noch immer seinen letzten Kuss spürte. Seinen letzten Kuss an mich... Auch an ihn konnte ich mich noch ganz genau erinnern. Er war leidenschaftlich, intim und warm. Warren hatte mich an genau den richtigen Stellen berührt, ohne dabei aufdringlich zu sein. Ich dachte, es würde immer so weiter gehen, bevor-
Nein!
Das war dumm. Dieser Gedanke war dumm! Es würde nicht immer so weiter gehen, schon gar nicht mit David. Dafür würde ich sorgen.

In der nächsten Mittagspause saß ich mit dem Rücken zum Tisch auf der Sitzbank und scannte die Caféteria ab. Sie musste hier sein, so stand es auf ihrem Profil.
,,Willst du nichts essen?", fragte Oliver. Innerhalb der letzten Kurse war er ganz plötzlich aufgetaut und zeigte sein wahres Gesicht: Seinen sehr stark ausgeprägten Beschützerinstinkt. Er schützte irgendwie jedes Mädchen vor Dingen wie Kreideflecken, überspritzenden Wasserflaschen oder, wie in meinem Fall, verhungern. Nur bei Christy war es noch schlimmer. Er trug sie auf Händen. Schlimm war gar kein Ausdruck, eher süß, denn man fühlte sich von ihm nicht bevormundet, nur geborgen.
,,Ich ess schon noch was, keine Sorge", winkte ich ab und ließ meinen Blick weiter durch die Caféteria schweifen.
,,Suchst du wen?", fragte Christy verwirrt, die sich gerade erst mit einem Tablett voller Essen zwischen Oliver und mich gequetscht hatte.
Ich kramte in meiner Jackentasche nach einem zusammen gefalteten Blatt Papier. ,,Kannst du mir einen Gefallen tun und diese drei Mädchen zu uns an den Tisch holen? Zwei sind in unserem Jahrgang, eine über uns. Das steht alles auf dem Zettel."
Ohne auf eine Antwort von ihr zu warten, bedankte ich mich mit einem abwesenden Schulterklopfen und bewegte mich schon auf die Essensausgabe zu. Denn dort stand sie: Ein Mädchen mit schwarzem Bob, das mit der Köchin diskutierte.
Ich stellte mich unauffällig neben sie.
,,Sind im Nachtisch nun Nüsse drin oder nicht?", fragte Thalita aufgebracht.
,,Es ist der gleiche Nachtisch wie jeden Donnerstag", gab die Köchin im gleichen Ton zurück.
,,Ich habe wollte ihn noch nie zuvor essen, jetzt aber schon und deshalb muss ich wissen, ob er Nüsse enthält. Ist die Frage so schwer?"
,,Die Inhaltsstoffe stehen auf der Essensliste."
Thalita stöhnte. ,,Schon gut, ich lasse es mit dem Nachtisch. Macht ja sowieso nur fett." Damit schob sie ihr Tablett weiter zum Salat. Und begutachtete kritisch die Tomaten.
Ich wusste nicht so recht, wie ich das Gespräch beginnen sollte, jetzt wo sie vor mir stand und ich ihre Reizbarkeit schon spüren konnte, ohne dass sie überhaupt mit mir sprach.
,,Willst du was sagen oder nur glotzen?", fragte sie plötzlich. Dann sah sie mich an, sagte ,,Oh, du bist das" und rollte mit den Augen.
Super Einstieg.
,,Ich-"
,,Lass mich raten." Sie musterte mich. ,,Du findest ihn doch toll und er hat dich entjungfert."
Ich zog die Augenbrauen zusammen und schüttelte den Kopf. ,,Nein."
,,Aber du willst, dass er es tut", stellte sie fest.
,,NEIN! Ich will immer noch nichts von ihm", erklärte ich.
,,Dann ist ja gut", sagte sie und wollte gehen, doch ich hielt sie am Arm fest.
,,Ich möchte den Spieß umdrehen", sagte ich leise.
Talitha wurde hellhörig. ,,Umdrehen? Du meinst wie Rache nehmen?"
Ich ließ ihren Arm los und nickte. ,,Außer uns gibt es noch drei weitere Mädchen. Ich weiß noch nicht, ob sie mitmachen, aber ich werde es gleich wissen. Bist du dabei?"
Sie überlegte kurz, sah David an, der zwei Tische weiter mit seinen Freunden pöbelte, und grinste dann teuflisch: ,,Wie könnte ich da Nein sagen?"

Die Anonymen Badboy OpferWo Geschichten leben. Entdecke jetzt