Kapitel 14
Es war Wochen her, seitdem ich das erste Mal das Elendsviertel betreten hatte. Seitdem ging ich regelmäßig dort hin. Shippa begleitete mich jedes Mal. Ich hatte sie nie darum gebeten und auch nie nein gesagt. Wir haben nie über jenes erste Mal gesprochen und reden auch allgemein nicht darüber. Das heißt, Shija weiß ebenfalls nichts davon.
Immer bevor ich dort hinging, ging ich durch die reichen Straßen und sah mich um, was ich finden konnte. Es gibt vieles, was die Leute wegwerfen, wenn sie genug haben. Ich habe schon Brot, Obst, Kleidung und sogar kleine Mengen an Geld auf den Wegen gefunden. Es ist Geld, was ihnen einmal durch Unachtsamkeit auf den Boden fiel und wo sie sich zu schade fühlten, es aufzuheben. Die Leute dachten ich sei ein Bettler, der aus Freundlichkeit von einem entfernten Verwandten aufgenommen worden war. Doch meine gute Kleidung und derlei verwirrte sie. Sie verstehen mich nicht.
Eigentlich bin ich faul, das gebe ich zu, doch irgendwie ist dort etwas in mir, was mich ruft aufzustehen und mich um all diese Leute zu kümmern. Ich half beim Reparieren, beim Kochen, beim Putzen – es gibt soviel was getan werden muss. Shippa beobachtete mich, passte auf, dass mir nichts passierte. Ich bin ihr dafür sehr dankbar. Ich habe das Gefühl, dass die Leute durch meine Hilfe auch viel mehr wieder allein hinbekommen hatten. Sie hatten ihren Mut wiedergefunden.
Und auch ihr Wesenszug hatte sich verändert. Unbewusst änderten sie ihre Haltung. Die Kleinen beschäftigten sich still, während die Älteren sich um das Essen kümmerten. Es waren nicht mehr viele Familien auf einem Haufen mit dem selben oder ähnlichen Schicksal, sondern eine Gemeinschaft, die das Schicksal der gesamten Gruppe verringerte.
Froh sah ich, wie eine junge Frau in Eile eine ältere umstieß und nicht einfach weiterlief. Sie bückte sich, half der gestürzten Dame hoch. So etwas wäre vorher nicht denkbar gewesen. Die Leute hatten stets an sich gedacht, nicht aber daran, dass sie alle sich gegenseitig helfen konnten.
Auch die Anzahl der stark Unterernährten schrumpfe minimal, doch das reichte, um mir Hoffnung zu machen. Es war nur ein wenig - und ich wusste nicht, was geschehen würde, sollte ich einmal längere Zeit nicht kommen können. Würde dann wieder alles in sich zusammen fallen wie ein instabiles Kartenhaus?
Ich sah dennoch Hoffnung – ein wenig nur – und auch erst in ferner Zukunft – aber diesen winzigen Keim wollte ich nicht ersticken lassen. Ich wollte und durfte nicht aufgeben und würde einfach sehen, was die Zukunft mir bringen würde.
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Mauritien - Die verschlossene Tür
FantasíaMary erwacht an einem ihr unbekannten Ort. Nachdem sie eine Weile durch die Landschaft geht, erinnert sie sich an Visionen und weiß, wo sie sich befindet. Das Problem ist jedoch, dass sie nicht weiß, wie sie von dort wieder wegkommt. Eigentlich möc...