1- Wir machen was?!

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Katharina pov

"Wir machen was?!" Entsetzt schaute ich meine Eltern an. "Wir fahren mit meiner alten Mannschaft in den Urlaub. Die haben auch alle Kinder und auch welche in eurem Alter und dann könnt Ihr alle zusammen Fußball spielen", wiederholte mein Vater. "Ich will aber nicht Fußball spielen mit irgendwelchen komischen Leuten, die ich nicht kenne!", rief ich wütend. "Das will ich auch nicht. Ich will Computer spielen und mich mit Freunden treffen und kein Survival-Training machen irgendwo am Arsch der Welt!", stimmte mir jetzt mein Bruder Lukas zu. Er war ein Jahr älter als ich, wir sahen uns kaum ähnlich und waren meistens unterschiedlicher Meinung. Aber in diesem Fall waren wir uns einig. Sechs Wochen Urlaub mit irgendwelchen Fremden? Ohne uns! "Erstmal mäßigt Ihr euren Ton und zweitens diskutieren wir nicht. Der Urlaub ist gebucht und damit basta!" "Mann Papa, du bist so blöd!" "So redest du nicht mit mir!" "Du hast doch gerade gehört, dass ich es kann!" Im nächsten Moment klatschte es und ich spürte ein Brennen und Pochen an meiner Wange. Die Welt schien still zu stehen, meine Mutter und mein Bruder schauten zwischen Papa und mir hin und her und Papa schaute mich verwirrt an. "Ich hasse dich!", schrie ich, sodass es wahrscheinlich auch die Nachbarn noch gehört hatten und stürmte aus dem Haus. Ich schnappte mir mein Skateboard und fuhr mit einem Affenzahn die Straße entlang. Es dauerte nicht lange bis ich mein Ziel erreicht hatte. Ich sprang von meinem Board, trat auf die Spitze und ergriff es. Mit einem Sprung hatte ich das Gartentor überwunden und joggte zur Haustür. Ich klingelte zweimal und schon war die Tür offen. Ein strahlender Joschka empfing mich. Ich fiel ihm sofort in die Arme und begann bitterlich zu weinen. Er strich mir über den Rücken und versuchte mich zu beruhigen. "Shhhh, was ist denn passiert?" "Er hat...hat mich ge...geschlagen", heulte ich in seine Schulter. "Wer?" Ich hörte die Wut und Besorgnis in Joschkas Stimme. "Papa." Ein lautes Ausatmen war die Reaktion meines Freundes. Joschka war zwar genauso alt wie meine Eltern, aber er war der einzige Erwachsene auf der Welt, der mich verstand und trotz meiner jungen 14 Jahre Ernst nahm. "Komm erstmal rein und setz dich ins Wohnzimmer. Ich hole uns was zu trinken." Ich nickte, löste mich von ihm und lief ins Wohnzimmer. Als ich am Spiegel im Flur vorbeikam, schaute ich hinein. Eigentlich hatte ich erwartet einen Panda zu sehen, aber dann fiel mir ein, dass ich heute meine wasserfeste Schminke aufgetragen hatte. Zum Glück, sonst würde ich jetzt deutlich schlimmer aussehen. So hatte ich nur etwas rote Augen und einen Handabdruck auf meiner linken Wange. Ich ging weiter ins große Wohnzimmer und kuschelte mich in die Couch. Es dauerte nicht lange bis Joschka kam und sich mit zwei Gläsern und einer Flasche Cola zu mir setzte. Er goss jedem von uns etwas ein und lehnte sich nach einigen Schlucken zurück. "So, und jetzt erzähl mal." Ich holte tief Luft und berichtete dann davon, wie ich heute von der Schule gekommen war und meine Eltern die "frohe" Botschaft verkündet hatten. Sechs Wochen Sommerferien in einem Haus am See mit Fremden. Und dann sollten wir uns auch noch mit diesen komischen Kindern anfreunden. "Ich wusste es. Seit gestern", gestand mein Gegenüber. "Stimmt ja, du warst auch in der Mannschaft. Wieso macht Ihr das? Nach über zehn Jahren ist das doch total sinnlos." "Da muss ich dir widersprechen, Kleine. Unsere Freundschaft ist uns allen sehr wichtig und wir haben uns in dieser langen Zeit kaum noch gesehen, geschweige denn miteinander Zeit verbracht. Jetzt haben wir alle Zeit und eine passende Immobilie gefunden. Das Haus ist wirklich riesig und ist direkt am See." "Da kann man bestimmt kein Skateboard fahren!" "Im Wald nicht, aber es gibt einige Wege, die geteert sind und außerdem wirst du viele andere tolle Sachen machen können. Nicht nur Schwimmen und Fußball spielen, Ihr könnt gemeinsam den ganzen Wald erkunden. Das wird bestimmt spannend. Und wir erwachsen werden die ganze Zeit rumsitzen und über du alten Zeiten reden. Du hast doch auch gute Freunde. Wenn du in zehn Jahren die Gelegenheit hättest sie nochmal zu sehen und mit ihnen zu reden, dann würdest doch auch tun, oder?" "Ja schon, aber-" "Siehst du. Wir wollen einfach nochmal Zeit miteinander verbringen bis wir uns irgendwann komplett auseinanderleben und verlieren." "Ja, okay. Das verstehe ich ja. Aber wieso müssen Sie uns mitnehmen?" "Weil Ihr noch zu jung seit, um allein zu Hause zu bleiben für ganze sechs Wochen. Und die Kinder der anderen sind teilweise noch jünger als du und Lukas." "Na toll, sechs Wochen mit Opas und Babys. Das klingt ja super", bemerkte ich ironisch. Joschka lachte. "DU übertreibst mal wieder maßlos." Jetzt musste ich auch etwas schmunzeln. "Lass dich einfach darauf ein. Nach sechs Wochen ist es vorbei und dein Leben geht ganz normal weiter. Vielleicht freundest du dich ja mit den anderen an." "Nein. Ich schließe keine Freundschaften mit irgendwelchen Kleinkindern." "Wie du meinst. Willst du hier übernachten oder noch nach Hause?" "Ich gehe nach Hause. Wie ich Papa kenne macht er sich totale Vorwürfe. Ich war auch nicht ganz unschuldig an der Ohrfeige, glaub ich." "Ach ja, das ist ja sehr interessant. Wir sehen uns übermorgen." "Erinnere mich nicht daran. Vier Stunden Autofahrt sind für mich der Horror." "Ich weiß, du konntest schon als Baby nicht lange im Auto sitzen." "Tja, da werde ich mir wohl immer treu bleiben. Bis dann." Ich drückte Joschka einen Schmatzer auf die Wange, schnappte mir mein Skateboard und fuhr nach Hause. Der Wind zerzauste meine blonden Haare, wegen denen ich oft als Engel bezeichnet wurde. Ich wäre lieber als kleiner Teufels bezeichnet worden, aber ich hatte eben dieselben Haare wie mein Vater früher. Seine Haare waren mittlerweile um einiges dunkler geworden, aber immer noch blond. Meine Mutter hatte dunkelbraune Haare, die fast schwarz waren. Mein Bruder Lukas hatte mittelbraune Haare, die eine Mischung aus beiden Haarfarben unserer Eltern waren. Als ich vor unserer Haustür stand seufzte ich und drückte dann auf die Klingel und der dem Namensschild. Es dauerte nicht lange bis die Haustür aufgerissen wurde. Ich sah nur kurz die Haare meines Vaters, dann fand ich mich in einer starken Umarmung wieder. "Es tut mir Leid", schluchzte er in meine Haare. Noch nie hatte ich meinen Vater weinen sehen bzw. hören. Die einzige Ausnahme war die Beerdigung meines Opas gewesen. Unbeholfen strich ich ihm über den Rücken. "Shhhh, alles gut. Ich bin dir nicht böse. Ich war ja auch ein wenig schuldig." "Ich hätte das trotzdem nicht tun dürfen. Es tut mir so unendlich Leid." "Ich verzeihe dir, okay? Hauptsache du lässt mich jetzt los, die Nachbarn könnten uns sehen und das wäre irgendwie peinlich." Ein tiefes Lachen verließ die Kehle meines Vaters und er löste sich von mir. Wir gingen rein und ins Wohnzimmer. Im Flur befreite ich mich noch von meinen Schuhen, damit ich mich bei meiner Familie direkt auf die Couch schmeißen konnte. Im Fernsehen lief ein Fußballspiel und ich war sofort dabei. Fußball verband meine gesamte Familie. Meine Eltern hatten sich dadurch kennengelernt und durch ihre Begeisterung waren auch Lukas und ich früh angesteckt worden. Die meisten erwarteten bei einer geschminkten 14-Jährigen mit engelsblonden Haaren nicht, dass dahinter ein Fußballfreak steckte. Ich hatte viele potentielle Freundinnen verloren, sobald sie erfuhren, dass ich Fußball liebte. Ich war nicht böse drum. Richtige Freunde hatte ich eigentlich nicht wirklich welche, aber ich war ziemlich beliebt an meiner Schule. Diese Beliebtheit brachte viele falsche und vor allem oberflächliche Freunde mit sich. Es gab auch einige Jungs, die mit mir flirteten oder mit mir ausgehen wollten, aber ich zeigte ihnen meist die Kälte Schulter. Ich hatte einen besten Freund und er würde niemals irgendetwas für mich empfinden, weil er schwul war. Phillip war mir unglaublich ähnlich. Wir waren beide irgendwie mädchenhaft und irgendwie jungenhaft. Er liebte Fußball fast so sehr wie ich und wir verbrachten viel Zeit damit uns irgendwelche Spiele anzuschauen. Leider würde er in den Sommerferien nach Irland ziehen und dann hatte ich niemand richtigen mehr. Aber darüber würde ich mir Sorgen machen wenns es soweit war. Jetzt feuerte ich zusammen mit meiner Familie die Spieler im Fernseher an.

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Die zweite Generation der Wilden KerleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt