Die Zusammenführung

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 3 Wochen später

 Ich betrat die Schule und spürte, wie die Blicke meiner Mitschüler sich in meinen Rücken bohrten. Alle sahen mich traurig und voller Mitleid an. Innerlich schüttelte ich mich. In letzter Zeit hatten mich alle so angeguckt. In den Blicken meiner Mitmenschen lag der "Das-Arme-Mädchen"-Satz. Ich wollte nicht mehr so angeschaut werden, wollte nicht, dass mich alle als die Halbwaise sahen.

 Ich öffnete meinen Spind und schaute rein. Irgendwie erschien es mir leer und trostlos. So wie ich mich leer und trostlos fühlte. Seufzend kramte ich in meiner schwarzen Handtasche herum und zog ein Foto von mir und meiner Mutter hervor. Traurig schaute ich es mir an, versuchte jedes kleine Detail einzuprägen. Dann hängte ich es an die Tür meines Spindes. Nachdem ich meine Tasche in mein Spind gepackt hatte, warf ich noch einen letzten sehnsüchtigen Blick auf das Bild und schloss es dann. Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Wand und schloss kurz die Augen. Als ich sie wieder öffnete stand Ben vor mir.

 "Es tut mir so leid, Lissa", murmelte er leise und ehe ich mich versah, lag ich in seinen Armen. Sein Duft hüllte mich ein und ließ mich an die alten Zeiten denken. Urplötzlich sehnte ich mir die alten Zeiten zurück, dachte darüber nach, warum unsere Beziehung scheitern musste, und ob es möglicherweise meine Schuld gewesen war. Bens Hände strichen sanft über meinen Rücken und ließen mich erschaudern. Dann packte er mich an den Schultern und schob mich sanft von sich, um mir in die Augen zu sehen. "Und ich meine nicht nur das mit deiner Mutter. Ich meine auch meine ganzen Fehler und dass ich so ein Idiot war."

"Ben, bitte nicht jetzt", fing ich an. "Ich habe nicht die Kraft dazu, um das jetzt auszudiskutieren." Ich wandte mich ab und wollte gehen, als er mich am Arm zurückhielt.

"Wenn nicht jetzt, wann dann? Du redest nicht mehr mit mir und ich will es mit dir klären. Es war ein Fehler glaub mir."

Innerlich fing ich an vor Wut zu toben und zu weinen. Ich konnte es nicht mehr ertragen. Ben hatte mir wehgetan, Jack hatte den gleichen Fehler gemacht und dann hatte meine Mutter mich alleine gelassen. Alle taten mir weh. Klar, das kann man ja mit mir machen, dachte ich stumm.

"Hey, Lissa!", unterbrach die Stimme Vis die geladene Stille zwischen uns. Als sie jedoch Ben erblickte verstummte sie. Daraufhin ließ Ben mich los, drehte sich auf dem Absatz um und rauschte davon. Vi schaute mich verwirrt an, nahm dann jedoch meine Hand und schaute mich an. Sie war die Einzige in meinem Umfeld, die mich nicht mit Mitleid ansah. "Ich weiß, dass du Mitleid nicht willst. Deshalb werde ich dich auf den neuesten Stand bringen. Also, vor eineinhalb Wochen war eine Party bei Penny. Ben war auch da und sie hat sich so heftig an ihn rangemacht, das glaubst du nicht..."

Violets Stimme verschmolz langsam mit dem Hintergrund. Ich ließ meinen Blick langsam durch die Schule schweifen, hörte mit nur einem Ohr zu und sagte an den richtigen Stellen etwas. Wir gingen gerade an Jacks Klassenzimmer vorbei als ich ihn wieder sah. Unsere Blicke trafen sich und ließen uns gegenseitig nicht mehr los.  Alles in mir schrie danach zu ihm zu rennen, mich in seine starken Arme flüchten und zuzulassen, dass er mich ganz doll festhält und mich von der grausamen Wirklichkeit abschirmt. Sein Parfüm einzuatmen und seine Lippen auf meinen zu spüren.


Ich klappte mein Mathebuch zu und packte langsam meine Sachen ein. Die Mathestunde war die Hölle gewesen. Jedes Mal wenn Mr Matsen mich drannahm, drehten sich alle zu mir um und schauten mich an. Neugierig, ob ich denn noch mitkam oder hinterherschleifte.

Nachdem der Klassenraum sich geleert hatte, nahm ich meine Tasche, meine Jacke und ging langsam zu Jack. Als ich vor seinem Schreibtisch stand hörte mein Herz auf zu schlagen. Es war schon so lange her gewesen, seitdem ich ihm so nahe stand. Und plötzlich fing mein Herz an sehr schnell zu rasen. Als ob er es hören könnte, schaute er auf und schaute mich an. Nervös fummelte ich an dem Riemen meiner Tasche. "Hey", sagte ich mit zittriger Stimme.

Jack legte die Zettel, die er in der Hand hielt, beiseite und schenkte mir seine volle Aufmerksamkeit. "Hey. Geht es dir gut?", fragte er und seine blauen Augen funkelten im Licht der Neonröhren.

Ich nickte knapp, schaute betreten weg, denn ich konnte nicht antworten. Ich wusste ja nicht mal, warum ich in diesem Moment hier stand und was ich mit Jack bereden wollte. Mir schossen meine Gedanken von vorhin durch meinen Kopf und sehnsüchtig schaute ich auf seine Lippen. Nur am Rande nahm ich wahr, dass er aufstand und um den Tisch herum zu mir kam. Er stand nun ganz dicht vor mir. Ich konnte seinen Duft wahrnehmen, der mich betörte und meine Sinne raubte. Ich spürte ganz deutlich, wie sich meine Augen mit Tränen füllten.

Jack schien es zu bemerken, denn er strich mir sanft über die Arme. Dann nahm er mich in den Arm und hielt mich fest. Die Tränen fingen an mir über die Wangen zu laufen und verzweifelt klammerte ich mich an ihn. Wir hatten nichts zu befürchten. Die Schule war aus und alle waren schon weg. Wir waren die einzige Klasse, die Freitags noch so lange Unterricht hatte. "Alles läuft gerade fürchterlich schief", brachte ich zwischen zwei Schluchzern hervor. "Jack, ich liebe dich... Ich liebe dich wirklich und es tut mir so leid, dass ich es dir vorher nicht gesagt habe", sprudelte ich hervor. Langsam wurde mir bewusst, was ich fühlte und es war ganz klar Liebe.

Er antwortete nichts. Mir wurde bewusst, dass er vielleicht gar nichts mehr mit mir zutun haben wollte. Vielleicht hatte er mit mir abgeschlossen. Langsam löste ich mich aus der Umarmung. Doch er hielt mich fester. Dann schaute Jack mir in die Augen und langsam beugte er sich zu mir herunter. Schon legten sich seine Lippen auf meine und er küsste mich erst zart, dann leidenschaftlich. Ich erwiderte den Kuss und legte alles rein, was ich hatte. Wut, Trauer, Verzweiflung und Erleichterung. Es fühlte sich so an, als ob unsere Seelen aufeinanderprallen würden.

Nachdem er sich von mir löste, sagte er: "Ich liebe dich auch, Melissa..."

Forbidden LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt