EIGHT

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"Kopf hoch!", meckert der Polizist mich genervt an und drückt mir das Scangerät in die Fresse. Empört verziehe ich mein Gesicht und manövriere mich an ihm vorbei, aber nicht ohne ihn nochmal anzurempeln. Ich dringe in das schattige Gemäuer ein und eine Gänsehaut zieht über meinen Körper. Aus dem Inneren des Gebäudes schallen gällende Schreie, die mich zusammenzucken lassen. Verunsichert wende ich mich dem Tresen zu und laufe dem wartenden Mann entgegen.
»Sie...sie haben mich angerufen. Wegen Coleman.«
»Genau.«, scheint alles zu sein, was er dazu zu sagen hat.
»Kann ich ihn jetzt mitnehmen?«, fragte ich angespannt.
»Wenn sie sich das zutrauen. Sein Zustand hat sich nähmlich...«, erneut ein Schrei, »verschlechtert.« Ich zucke leicht zusammen, als mich eine raue Hand am Arm packt und mich mit sich zieht.
»Bitte folgen sie mir.«, meint der Officer, dessen langen Finger meine Haut umschließen.
»Danke, ich kann auch alleine gehen.«, schnaube ich und löse mich aus seinen Fängen.
Der Polizist öffnet die schwere Eisentür, die vom Foyer ausgeht und hält sie mir auf, bevor er sie nach meinem Durchschreiten wieder schließt. Der begrenzt beleuchtete Gang strahlt eine solche Kälte aus, dass es mir fröstelt. Ich folge dem hochgewachsenen Officer, bis er vor einer der unzähligen Zellen stehen bleibt. Neugierig, doch gleichzeitig schüchtern trete ich neben ihn, um einen Einblick in die Zelle zu erhalten. Viel ist nicht zu erkennen, da der Bereich hinter den rostigen Gitterstäben in völliger Dunkelheit liegt. Um so deutlicher stechen die zwei weißen Hände heraus, die sich um das Eisen klammern.
»Cole?«, flüstere ich unsicher in die Stille hinein. Ein Schlurfen und dann sehe ich eine Maske aus Schmerz, dessen Augen mich verzweifelt anstarren.
»Oh Gott...«, wispere ich und stürze an die Gitterstäbe, strecke meine Hand zwischen den Stangen hindurch, in der Hoffnung Cole berühren zu können. Er sieht schrecklich aus und es bricht mir das Herz ihn so zu sehen. Seine blasse, fast weiße Haut, seine rot unterlaufenden Augen, seine rissige Lippe und seine verfilzten Haare. Doch am aller schlimmsten sind diese tief grauen Augen, die jegliche Hoffnung verloren haben. Was haben sie ihm nur angetan?
Coleman löst seine skelettartigen Finger vom Gitter und tritt einen Schritt zurück, sodass er wieder mit den Schatten verschmilzt. Der Officer macht sich durch ein Räuspern bemerkbar und signalisiert mir einen Schritt zurückzutreten. Anschließend fischt er einen Schlüssel von seinem Hosenbund und lässt mit einem knarren das Schloss der Zelle aufspringen. Die Tür schwingt zischend auf, doch niemand rührt sich.
»Sir, wenn sie bitte aus der Zelle treten würden.« Leicht genervt stellt sich der Polizist in die Tür und macht eine ausschweifende Bewegung mit den Armen, die Cole verdeutlichen sollen, was er zu tun hat. Ohne große Motivation schlurft Coleman in die Freiheit, scheint alles jedoch ziemlich gleichgültig zu sehen. Kaum hat er die Zelle verlassen, ergreife ich seinen Arm und ziehe ihn zu mir. Angeschlagen stolpert er auf mich zu, bis er sich wieder gefangen hatte.
»Vielen Dank, Officer.«, bedanke ich mich und verlasse dann so schnell wie möglich dieses erniedrigende Gebäude, mit Coleman im Schlepptau. Ich stoße die schwere Tür des Gefängnis aus und diese frische Luft, die mir entgegen schlägt, fühlt sich an, wie eine Befreiung aus all meinen Sorgen. Bis auf diese eine Sorge, die ich nicht abschütteln kann und das ist die, die sich leblos in meinem Griff befindet.
Ich verlangsame meinen Schritt und meine Sorge tritt neben mich. Von der Seite mustere ich ihn bemitleidend und streiche ihm beruhigend über den Rücken. Doch er reagiert noch nicht mal. Seufzend lasse ich von ihm ab und vergrabe meine Hände in den Hosentaschen. Ich schließe die Augen und in meinen Ohren rauscht der Strom der Themse, die neben uns durch die Straßen flutet. Der feine Wind bläst mir meine bläulichen Haare aus dem Gesicht und bewirkt, dass mein Körper sich unweigerlich entspannt. Ein Knirschen auf Metall lässt mich aufschrecken und ich reiße die Augen auf.
»Cole!« Mit einem Satz renne ich zu dem Geländer, das uns vor dem Abgrund und dem Fall ins kalte Nass bewahrt.
»Was machst du da?«, brülle ich Cole über den Wind zu, der soeben zu einem ohrenbetäubenden Pfeifen mutiert war.
»Ich halte das nicht mehr aus... Ich muss einfach...«, wispert Cole mit bebender Unterlippe und mit einer solchen Verzweiflung in der Stimme, dass es mich un meiner Bewegung verharren lässt. Und dann kann ich nichts weiter machen, als auf die Hände von Coleman zu starren, die sich Finger für Finger vom Geländer lösen und schließlich mit sammt seinem Körper in die Tiefe stürzen.
»Nein! Cole!« Es reißt mich aus meiner Starre und ohne Nachzudenken klettere ich über die Absperrung und stoße mich von dem Stein ab, bevor ich in den freien Fall gerate. Unter mir sehe ich das aufgeschäumte Wasser, welches Coleman bei seinem Aufprall verursacht hatte.
Und dann urplötzlich durchzucken tausend Nadelstiche meinen Körper und der Fluss zieht mich in seine Fänge. Wild strample ich um mich und versuche panisch wieder an die Oberfläche zu gelangen, doch meine aufgesaugten Klamotten scheinen mich nur noch tiefer zu ziehen. Vom Strom gepackt bekomme ich wieder Aufschwung und ich erblicke Coleman, der nicht weit von mir entfernt reglos im Wasser treibt. Mein Kopf durchdringt die Wasseroberfläche und erleichtert schnappe ich nach Luft. Mit starren Gliedern versuche ich nun mich mit kräftigen Zügen zu Cole durch zu kämpfen. Die Themse ist jedoch nicht auf meiner Seite und reißt mich immer schneller mit sich.
»Cole!«, schreie ich, doch mein Ruf verebbt in einem Gurgeln, als das kalte Wasser meine Lunge einimmt.
Gerade noch so bekomme ich einen Pfosten an der Anlegestelle zu fassen und mit ausgestreckten Arm greife ich nach Colemans Arm der immer noch leblos vom Strom mit sich gezogen wird. Ein Ruck durchfährt meinen Körper als sein Gewicht an meinem Arm hängt. Mein vor kälte starrer Körper versucht sich gegen diese Last zu wehren, doch ich würde Cole niemals loslassen. Vor Schmerzen schreiend reiße ich ihn an mich und hiefe ihn mit einem Ruck auf das sichere Ufer. Ich will mich gerade aus den Fluten retten, als meine Hand droht vom Pfosten abzurutschen und mich in den sicheren Tod zu schicken. Mit der zweiten Hand greife ich nach dem Metall und nun habe ich festen Halt. Ich ziehe mich auf die Anlegestelle und sacke kraftlos auf dem Stein zusammen.

Jane is aliveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt