Ihr seid back, wir sind Bäcker

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"Rory?", ein vorsichtiges Tippen auf meine Schulter reißt mich aus meinem unruhigen Schlaf. Meine Vorhänge sind zugezogen. Das muss Navi gestern Abend gewesen sein. Moment. Ist überhaupt schon Sonntag? Mein Handy verrät mir: Sonntag, 9:06 Uhr. Ich habe tatsächlich mehr als 12 Stunden geschlafen? "Sag mal, haben wir Rollen getauscht? Warum bist in letzter Zeit immer du diejenige, die als erste wach ist?", frage ich verwundert. "Malina hat mich vorhin geweckt. Sie musste um halb acht am Bahnhof sein. Ich soll dir schöne Grüße und gute Besserung von ihr ausrichten", informiert sie mich. "Ihr hättet mich auch wecken können", seufze ich leicht enttäuscht, mich nicht von meiner Freundin verabschiedet zu haben. "Wir dachten, wir gönnen dir noch etwas Ruhe. Aber jetzt habe ich mal 'ne Frage an dich. Wann kommt deine Familie?" "Sie haben gesagt so circa um 13:30 Uhr", erinnere ich mich. "Wir haben da nämlich ein klitzekleines Problemchen. Wir haben so gut wie nichts mehr zu essen im Haus." Ihre Augenbrauen wandern in die Höhe. Sie erwartet wohl eine blendende Idee von mir. "Oh shit", stoße ich aus und springe vom Bett hoch. Keine gute Idee. Mein Sichtfeld verdunkelt sich und ich muss mich noch einmal setzen, um nicht umzukippen.

"Was machen wir denn jetzt?", planlos auf dem Bett sitzend streiche ich mir die zerzausten Haare aus dem Gesicht. Zuallererst sollte ich mich unter die Dusche stellen. "Keine Ahnung", gibt Navina schulterzuckend zurück. Grübelnd stehe ich auf und drücke mich an ihr vorbei, Richtung Bad. "Ich geh mich zuerst mal frisch machen", teile ich ihr die bis jetzt stehende Tagesplanung mit. Sie quittiert das mit einem Nicken und verschwindet in der Küche.

Unter der Dusche lasse ich mir das angenehm warme Wasser über den Kopf laufen. Der Spiegel beginnt bereits nach wenigen Minuten zu beschlagen und genauso vernebelt fühlen sich meine Gedanken an.

Nach einer gefühlten Ewigkeit des einfach nur sinnlos unter der Dusche Stehens, obwohl ich schon seit zehn Minuten fertig bin, verlasse ich sie und hinterlasse eine nasse Spur von der Wanne zum Spiegel. Mit meinem Handtuch wische ich das Kondenswasser ab und sehe meinem Spiegelbild in die Augen. Sie sind Blaugrau und wirken durch die spärliche Beleuchtung sehr dunkel.

Mit Handtuch bekleidet mache ich mich auf den Weg in mein Zimmer. Im Flur begegne ich Navina, die mir stolz eine Lösung für unser Essensproblem präsentiert: "Wir backen einfach Kuchen!" "Perfekt, Navi! Ich würd dich ja jetzt für die Idee umarmen, aber meine Haare sind noch tropfnass", lobe ich meine Freundin, "Wenn ich mir etwas angezogen habe fangen wir gleich an."

Voller Tatendrang stehe ich neben Navina vor unserer Küchenzeile und lese das Rezept von Chefkoch.de laut vor. Nebenher räumt Navi die Zutaten aus den Regalen und stapelt alles neben den Herdplatten. "Also... Wir brauchen Mehl", beginne ich aufzuzählen. "Jap, hab ich", bestätigt sie. "Eier,... Zucker", fahre ich fort. "Moment, Rory... Zucker... Wir haben keinen", erinnert sie mich. "Oh stimmt. Da war ja was", fällt mir ein und sofort kommt mir der bittere Geschmack des Salzkaffees wieder hoch.
Unser genialer Plan zu backen, droht zu scheitern. Bis Navina mit der nächsten brillanten Idee um die Ecke kommt: "Fragen wir doch unseren Nachbarn nach Zucker." "Nein, nein, nein, nein, nein. Das kommt gar nicht in Frage", verweigere ich den Vorschlag sofort, während ich heftig den Kopf schüttle, "Das kannst du vergessen. Ich geh nicht rüber." "Rory, reiß dich ein bisschen zusammen. Er wird uns sicher gern etwas Zucker abdrücken", versucht sie mich zu überzeugen. Theoretisch ist das gar nicht nötig, denn ich würde Lukas sehr gern wiedersehen und das wäre ein guter Vorwand. Doch meine Angst zu versagen und keinen Ton heraus zu bekommen, macht mir ein Strich durch diese Rechnung.
"Aurora. Du schaffst das schon. Lukas ist kein Unmensch und das weißt du. Was soll denn schon passieren? Sicher freut er sich dich mal wieder zu sehen", hält sie mir vor Augen. "Freuen mich wieder zu sehen? Sicher doch. Und ich hab im Lotto gewonnen", sage ich trotzig und verschränke die Arme vor meiner Brust.
"Wenn du wiederkommst, feire ich dich als Heldin und du bekommst morgen ein ehrenhaftes Frühstück mit gutem Kaffee", verspricht sie mir. Das ist allerdings eine Überlegung wert.

Navi nutzt meinen Moment des Überlegens schamlos aus und schiebt mich in den Flur. Dort drückt sie mich auf den Boden und schiebt mir meine Schuhe entgegen. Seufzend schlüpfe ich in die Vans ohne sie zu öffnen und lasse mich von Navina nach draußen drücken. Sie boxt mir noch einmal freundschaftlich gegen den Arm und wünscht mir Glück.

Mit wackeligen Knien nähre ich mich der Wohnungstür nebenan. Es fühlt sich an, wie ein Déjà-vu. Worauf habe ich mich da eingelassen?!

'Strobel' lese ich auf dem Klingelschild, als ich vor der Tür zum Stehen komme. Soll ich wirklich?
Um mich nicht doch noch um zu entscheiden, strecke ich meine Hand nach dem kleinen Knopf aus und drücke ihn. In der Wohnung vernehme ich ein leises Surren. Darauf folgt ein Schlag und zügige Schritte, die direkt auf mich zu kommen. Im nächsten Augenblick wird auch schon die Tür geöffnet und ein verschlafen aussehender Lukas steht sich den Kopf reibend und in Boxershorts vor mir im Türrahmen. Fuck.

Das Leben ist gnadenlos und unfairWo Geschichten leben. Entdecke jetzt