Du bist schön

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Die Leute um uns herum jubeln alle hysterisch Lukas zu und drängen sich nach vorne Richtung Bühne. Dieser meldet sich erneut zu Wort und was er sagt, lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.
"Falls ihr euch fragt, warum eine hübsche blaue Beule auf meiner Stirn prangt, das war kein Unfall von der Maske, sondern eine nette Bekanntschaft mit einer Tür."

Oh shit.

In der Halle bricht Gelächter aus. Er sagt es selbstironisch, doch in mir steigt sofort eine unerträgliche Hitze auf und ich glaube, ich sehe in kürzester Zeit aus, wie eine Tomate in der Sauna. Auf diese Entfernung erkennt man die Beule nicht. Doch als ich einen Blick auf die riesigen Übertragungsbildschirme werfe, welche rechts und links der Bühne montiert sind, ist sie nicht zu übersehen. Seine Stirn ist direkt in der Mitte rot verfärbt und die Beule ragt gut sichtbar hervor. Navi weiß natürlich sofort wem Lukas dieses unschöne Andenken zu verdanken hat und dreht sich grinsend zu mir: "Er sieht aus wie ein Einhorn." Bei diesem Kommentar muss ich lachen, trotzdem würde ich am liebsten im Boden versinken. Auch Mali, die zwei Schritte weiter vorne steht, dreht sich zu uns um und gibt eine Vermutung zum Tathergang ab: "Bestimmt war das Basti. Der ist immer so energisch drauf." Wer dieser Basti ist, weiß ich zwar nicht, aber ich nicke einfach mal zustimmend. Zum Glück bemerkt sie in der Dunkelheit mein knallrotes Gesicht nicht. Welchen Kommentar es sonst gehagelt hätte, will ich gar nicht wissen.

Lukas, oder Alligatoah, fährt mit seinem Programm fort: "Da ich mit diesem Makel an der Stirn nicht gerade dem Schönheitsideal entspreche, muss ich auf meine anderen Qualitäten zurückgreifen. Lesen und Schreiben sind zwei dieser Talente und diese Fähigkeiten habe ich genutzt, um den nächsten wundervollen Song zu kreieren." Die Masse um uns herum kreischt schon vor Begeisterung. Offensichtlich war das eine Anspielung auf den nächsten Titel, die ich nicht verstehe, da ich bisher nur wenige Songs gehört und demnach noch weniger der Texte im Kopf habe. Kaum beginnt die Musik, rückt die peinliche Sache schnell wieder in den Hintergrund. Zu meiner Erleichterung.

Während des gesamten nächten Songs, in dem es um Schönheit und nicht vorhandenes Talent geht, denke ich darüber nach, wie ich Lukas je wieder unter die Augen treten kann. 'Gar nicht', komme ich zu dem Entschluss, als die letzten Töne der Melodie verklingen. 'Ab sofort verschanze ich mich in unserer Wohnung und lasse Navi alles in der Außenwelt erledigen. Zur Uni muss ich halt aus dem Fenster klettern.' Zufrieden mit dieser Lösung grinse ich in mich hinein. 'Aber was, wenn ich Lukas irgendwo auf der Straße treffe? Verdammt.'
"Navi, wir müssen umziehen", rufe ich entschlossen meiner besten Freundin zu. "Warum das? Wir sind doch grade erst eingezogen", verwundert runzelt sie die Stirn. Vielsagend deute ich nach vorne auf die Bühne. Sofort verwandelt sich ihr Gesichtsausdruck in ein freches Grinsen. "Das ist nicht witzig", protestiere ich und versuche ihr den Ernst der Lage weiß zu machen: "Wenn ich ihm nochmal irgendwo über den Weg laufe, ist mein kurzes, aber mir dennoch wertvolles Leben vorbei." Hysterisch gestikuliere ich mit den Armen, soweit das die eingeschränkte Bewegungsfreiheit zulässt. Ihr Grinsen wird noch breiter. "Es weiß ja niemand, dass du das warst", versucht sie, beruhigend auf mich einzureden. "Ja aber ER weiß es. Und das ist ja das schlimmste daran", jammere ich. "Er nimmt das mit Humor", sagt sie nur und ich merke, dass das Gespräch jetzt für sie beendet ist. Schmollend drehe ich mich nach vorne und beobachte das weitere Geschehen auf der Bühne.

Lukas schafft es doch tatsächlich durch seine geschickten Überleitungen und seine witzige Art, mich auf andere Gedanken zu bringen. Nach zwei Liedern grinse ich schon wieder fröhlich vor mich hin und summe die Melodien mit, die mir bekannt vorkommen. Die von uns, die sich auf dem Konzert aber am meisten amüsiert, ist Malina. Sie grölt jede einzelne Zeile aus vollem Hals mit und wandert immer weiter nach vorne zur Bühne.

Nachdem die letzten Gitarrenschläge verklungen sind, trennen Mali und uns mindestens sechs Reihen voneinander. Langsam löst sich das dichte Gedränge und Malina findet ihren Weg zurück zu uns nach hinten. "War das nicht mega geil?", fragt sie hysterisch, das Gesicht leicht gerötet vom vielen Singen und Tanzen. "Naja, ob das die Worte wären, wie ich einen vom Scheinwerferlicht verschwitzten Mann auf einer Bühne beschreiben würde", tadele ich ihre Aussage an. "Dir wäre es lieber, wenn dieser Mann verschwitzt vor deinem Bett stehen würde", albert Navi belustigt herum. Mit einem energischen  "Psst", bedeute ich ihr die Klappe zu halten und ignoriere Malinas irritierten Blick einfach. "Kommt ihr mit nach draußen? Oder wollt ihr hier nachher beim Fegen helfen?", löse ich die unangenehme Situation auf und ziehe meine beiden Freundinnen mit, der breiten Masse hinterher.

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 27, 2020 ⏰

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Das Leben ist gnadenlos und unfairWo Geschichten leben. Entdecke jetzt