Schlaflos

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"Ich glaub' das nicht", Navina schüttelt den Kopf. Mittlerweile sind alle Leute weg und wir sitzen allein auf dem Wohnzimmerboden und essen Nudeln. Stühle und eine Couch müssen wir uns die nächsten Tage erst noch anschaffen."Er wohnt hier nebenan? Was ist das für ein kranker Zufall?" "Das frage ich mich auch. Ich dachte, ich sehe ihn nie wieder", stimme ich ihr zu. "Muss ich dich dann zum Essen immer von drüben holen?" Sie schielt vielsagend zu mir rüber. "Du Idiot", gebe ich zurück und pikse sie in die Seite. Vor schreck fährt sie hoch. "Verdammt Rory, wegen dir hätte ich fast mein Essen an unsere Decke katapultiert!" Lachend berichtige ich sie, "Das ist deine Schuld. Du hast diverse Andeutungen von dir gegeben." "Ich sage nur die Wahrheit", meint sie besserwisserisch und stopft sich eine volle Gabel Nudeln in den Mund. "Natürlich. Und ich bin der Weihnachtsmann", kontere ich und bewirke damit, dass Navi fast an ihren Nudeln erstickt vor Lachen. "Siehst du nicht meinen dicken Bauch und den langen weißen Rauschebart?", frage ich und streiche über meinen imaginären Kinnbart. "Verzeih, ich hatte vollkommen vergessen, dass du deine Einkäufe im Rentierschlitten erledigst", redet sie mit vollem Mund weiter. "Kau erst mal zu Ende, bevor du weiterredest. Ich will hier nachher nicht das Nudelmeer vom Boden entfernen müssen", kichere ich.

Es ist wirklich verblüffen, wie das Schicksal spielt. Wenn es überhaupt Schicksal ist. Ich liege nachdenklich in meinem dunklen, noch fast leeren Zimmer, auf meinem großen Bett. Es ist so ziemlich das einzige Möbelstück, welches sich zwischen den Umzugskartons behauptet. Von draußen dringt das schwache Licht der Straßenlaternen durch die Fenster. Hin und wieder wird das Licht durch Äste, die sich durch den leichten Wind vor die Scheiben schieben, unterbrochen. Genervt nehme ich meine Hand hinter meinem Kopf hervor und taste nach meinem Handy. Kaum habe ich es gefunden, drücke ich die Sperrtaste. Das Display leuchtet mir unverschämt hell entgegen. '01:56 Uhr' entziffere ich die Aufschrift mit zugekniffenen Augen, was mir verrät, dass ich schon drei geschlagene Stunden versuche meine wirren Gedanken von mir zu schieben und Schlaf zu finden. Der einzige Vorteil der sich bietet ist, dass der morgige Tag ein Samstag ist. Moment. Der heutige Tag. Immerhin steht die Uhr ja schon auf fast zwei. Wie soll ich mich mit unserem neuen Nachbarn verabreden, ohne dass es zu aufdringlich wirken würde? Vielleicht sollte ich die nächsten Tage einfach auf mich zukommen lassen und vorerst nichts unternehmen. In Sachen 'Eigeninitiative' bin ich ohnehin eine Niete.

Schwerfällig drehe ich mich auf die Seite und starre den rauschenden Bäumen vor meinem Fenster zu. 'Jetzt ist es wirklich langsam Zeit zu schlafen' sage ich meinem Unterbewusstsein in der Hoffnung, dass es mich endlich in Ruhe lässt.
Pustekuchen.
Langsam richte ich mich auf und verweile kurz in dieser Position. Möglichst leise schleiche ich mich in den Flur, wo meine Jacke hängt. Vorsichtig krame ich in den Jackentaschen nach meinen Kopfhörern. Bingo! Mit meiner Errungenschaft fest in den Händen mache ich kehrt und tapse zurück in mein Zimmer. Auf den Weg stoße ich gegen eine der Boxen. Schmerzerfüllt ziehe ich scharf die Luft ein. Wie angewurzelt bleibe ich stehen und lausche. Navi scheint durch meine Ungeschicktheit nicht aufgewacht zu sein. Zu meinem Glück.

"Aurora? Du schläfst ja immer noch!", werde ich von Navinas überraschter Stimme aus meinem Traum gerissen. Verpeilt reibe ich mir den Schlaf aus den Augen. Irgendetwas unter mir ist sehr unbequem. Mein Handy wie ich feststelle, als ich mich zur Seite rolle. Die Kopfhörer sind noch eingesteckt und es spielt seit letzter Nacht immer noch Musik vor sich hin. "Wie spät ist es?", frage ich mit kratziger Morgenstimme. "Halb zwölf", informiert mich Navi. "Warum bist du eigentlich schon wach, Navi?" Normalerweise ist sie die gnadenlose Langschläferin von uns zwei. Am Wochenende bringt sie nichts vor dem Mittagessen aus dem Bett. Vielleicht hängt das mit ihrem Job in der Bäckerei zusammen, für den sie morgens oft vor mir raus muss. "Liegt wohl an der neuen Umgebung. Ich muss mich hier erstmal eingewöhnen", gibt sie schulterzuckend zurück. "Du scheinst es hier ja zu mögen", grinst sie mich frech an. "Der Abend hat sich bei mir noch in die Länge gezogen", antworte ich trocken. "Ah ja", sie zieht die Augenbrauen hoch. "Jetzt aber raus aus den Federn. Ich hab' uns Frühstück gemacht", verkündet sie stolz. "Navina, du bist ein Schatz", lobe ich sie, als ich mich aus dem Bett schleppe.

Das Leben ist gnadenlos und unfairWo Geschichten leben. Entdecke jetzt