Wir sind hier nicht zum Spaß

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Außer Atem sprinte ich die Stufen hoch, in den zweiten Stock des Gebäudes. Oben angekommen halte ich kurz inne und werfe einen Blick auf meine Armbanduhr. Noch zwei Minuten. Erleichtert fahre ich mir noch einmal durch meine kurzen Haare und zupfe meinen Pullover zurecht, bevor ich die Tür öffne. Angespannt betrete ich die Praxis. Die Dame an der Rezeption lächelt mir freundlich entgegen. Ich überbrücke die letzten Meter bis zu dem hohen Empfangstresen und werde von der Arzthelferin begrüßt. "Hallo. Ich habe einen Termin", sage ich gerade heraus. "Den Namen bräuchte ich noch?" es ist mehr eine Frage als eine Aufforderung. "Schilling", antworte ich leicht perplex. Ich war noch nicht oft allein beim Arzt. Bei dem hier schon gar nicht. "Okay. Nehmen sie bitte noch kurz im Wartezimmer platzt."

Mit leicht zitternden Knien drehe ich mich um und trete durch eine Tür am Rand des Flurs in das Wartezimmer ein. Es ist nicht sehr voll und so setzte ich mich auf irgendeinen Stuhl gegenüber der Fensterfront. Kaum habe ich mich auf den Stuhl fallen lassen, krame ich in meiner Tasche nach meinem Handy und meinen Kopfhörern.

Kunstvoll ziehe ich beides unter meinen Sachen hervor und drücke auf die Shuffle Funktion meiner Musik. 'Youth - Daughter' erscheint es auf meinem Display. Perfekt. Diese Musik brauche ich jetzt um mich ein bisschen zu beruhigen.

Geschafft lehne ich mich in den Stuhl und blicke geradeaus durch die großen, imposanten Fenster. Nach wenigen Augenblicken bemerke ich, wie mich der Typ, der mir gegenüber sitzt, aufmerksam mustert. Interessiert erwiderte ich seinen Blick und er lächelt mich freundlich an. Verlegen lächle ich zurück und widme mich wieder meinem Handy, um ihm nicht länger ins Gesicht schauen zu müssen. Trotzdem spüre ich, wie sein Blick immer noch auf mir ruht.

„Schilling, bitte", erlöst mich die Stimme der Arzthelferin aus der unangenehmen Situation. Ich folge ihr in ein Behandlungszimmer und sie bedeutet mir, mich auf den Zahnarztstuhl zu setzten. Jetzt wird es ernst... Als die Zahnärztin den Raum betritt, zucke ich kurz zusammen, doch ergreife dann ihre Hand, die sie mir entgegenstreckt. „So... Du bist heute zum Weisheitszähne ziehen hier?", fragt mich die blonde etwas kleinere Frau, die sich gerade einen Mundschutz und Handschuhe aus einer der unzähligen Schubladen holt. „Ja", erwidere ich knapp. Das ist ja wohl klar, dass ich hier nicht zum Spaß sitze.

Wenig später liege ich von einem überdemensionalen grünen Tuch bedeckt, mit unzähligen Gerätschaften im weit offenem Mund und muss die unangenehme Prozedur über mich ergehen lassen. Um mich vom schlimmsten abzulenken, versuche ich mich darauf zu konzentrieren, im Kopf Liedtexte aufzusagen. Doch dank der Tätigkeiten der Ärzte, schaffe ich es nie weiter, als bis zur zweiten Strophe.

Eine knappe Stunde später wird das grüne Zelt von mir genommen und mir werden Schmerzmittel und Antibiotika verschrieben. Benommen und leicht schwankend verlasse ich den Behandlungsraum und setzte mich erneut ins Wartezimmer. Jetzt heißt es noch einmal warten, geröngt werden, und dann ab nach Hause. Der Typ von vorhin sitzt zu meinem Erstaunen immer noch am selben Platz. Toll. Das hat mir grade noch gefehlt. Um mich nicht wieder seinen Blicken aussetzten zu müssen beschließe ich, mir die Zeit des Wartens mit einem Gang zur Toilette zu vertreiben. Unsicheren Schrittes setzte ich einen Fuß vor den Anderen und nähere mich mit wackeligen Knien den Toiletten.

Als ich um die Ecke gebogen bin und gerade die Tür mit dem WC-Schild öffnen will, gerate ich ins Schwanken. 'Dein beschissener Kreislauf, Aurora' schießt es mir durch den Kopf, bevor mir schwarz vor Augen wird. Zitternd sacke ich zu Boden, doch erreiche ihn nicht. Von hinten ziehen mich zwei Arme nach oben und stützen mich vor einem weiteren Gleichgewichtsverlust.

Das Leben ist gnadenlos und unfairWo Geschichten leben. Entdecke jetzt