6. KAPITEL

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Ich saß noch lange so da und dachte über seine Worte nach. Das Gespräch ging höchstens 10 Minuten und doch ging es mir noch Stunden durch den Kopf.

Anscheinend war ich irgendwann aufgestanden und nach draußen gelaufen, denn plötzlich stand Kenzie vor mir. Er schaute besorgt aus. "Alles in Ordnung?" Fragte er. Ich nickte abwesend.

Er fasste mich an den Schultern und schüttelte mich. "Erde an Lis! Ich habe gefragt, ob alles ok ist?!" "Ja!" Schnauzte ich ihn ungewollt unfreundlich an. Er zuckte zurück. "Ok... War ja nur ne Frage."

Eine peinliche Pause entstand. "Ich werde wieder gehen. Weg. Wahrscheinlich ziemlich weit weg..." Brach ich das Schweigen. Er verzog das Gesicht und starrte mich geschockt an. "Ist es so schlimm hier? Ich meine, dass wird schon wieder! Du musst dich nur eingewöhnen."

Redete er auf mich ein, doch ich hob die Hand. Ich hatte meinen Entschluss gefasst. "Ich gehe!" Wiederholte ich. Er kniff die Augen zusammen. "Dann hab ich wenigstens meine Ruhe."

Er drehte sich weg und ging. Ich schaute zu Boden. Wer war ich, das ich zwei Jungs an einem Tag vergraulen konnte. Ich seufzte hörbar auf und machte mich auf den Weg nach Hause.
Moment! Ich hatte gar kein Zuhause mehr...

Ich merkte, wie mir die Tränen die Wangen hinunterrannen. Wie konnte ein einziger Brief ein ganzes Leben zerstören? Langsam ging ich meiner Wege. Ein bisschen später bemerkte ich, dass ich vor einer alten, halb zerfallenen Scheune stand. Ich lachte bitter.

Sie war heruntergekommen und ihr Strohdach war ein löchriger Flickenteppich. Ich überlegte kurz, dann trat ich ein. Drinnen erwartete mich ein staubiger, dunkler Raum. Ich drehte mich im Kreis und lachte heiser. Es war kein glückliches Lachen, nein. Ich war traurig und trotzdem lachte ich. Erleichtert, dass wenigstens etwas meiner Kindheit geblieben war.

Ich hatte nie viel mit anderen zu tun gehabt, dass erlaubte meine Fraktion nicht und deswegen bin ich meistens alleine hierhergekommen. Oft hatte ich geschnitzt oder Bilder gemalt. Einmal hatte ich auch Kenzie mitgenommen, aber als er eine tote Ratte gesehen hatte, war er geflüchtet.

Als ich daran dachte, musste ich grinsen. Kenzie fürchtete sich noch immer vor dem Tod. Ich glaube, er war noch nie ein richtiger Falke. Tja... Ein Falke zu sein, war auch ziemlich schwer. Die Falken glaubten an das Leben und nicht an Gott oder sonst wen. Sie durften sich nicht fürchten, vor nichts und niemandem, und sie durften nicht in Gruppen zusammen leben. Zum Glück war bald die Auswahl und man konnte sich einer anderen Fraktion anschließen. Er passte einfach nicht hierher.

Aber passte ich hierher? Schon oft hatte ich darüber gegrübelt. Die Rehe konnte ich ausschließen, ich wusste, dass ich nicht freundlich, offen und ruhig war. Genauso wie die Krähen. Sie waren einfach nur unheimlich. Bei den Falken fühlte ich mich schon jetzt immer so einsam...

Nein! Ich würde die Fraktion wechseln. Da war ich mir sicher. Jetzt gab es noch die Füchse und die Wölfe. Allerdings war ich weder schlau noch mutig. Mir wurde auf einmal klar, dass ich zu keiner dieser Fraktionen passte. Ich ließ mich auf den feuchten Steinboden sinken und begann erneut zu weinen.

Wann war ich zu so einer Heulsuße geworden? Ich wischte mir die Tränen von der Wange. Ich hatte ja noch Zeit. Wenig, aber etwas. Ich probierte zu entspannen, doch plötzlich stach mich etwas in den Rücken.

Ich drehte mich verwirrt auf den Bauch und grub etwas aus dem Stroh aus. Es war eine alte Zeichnung von mir. Verwundert und mit großen Augen starrte ich sie an. Sie zeigte mich, wie ich mit meiner Familie vor unserem Haus stand.

Vor unserem ehemaligem Haus... Ich riss mich zusammen um nicht schon wieder loszuweinen. Dann schob ich das restliche Stroh zur Seite und es kamen weitere 'Kunstwerke' hervor. Ich betrachtete sie. Damals musste ich noch sehr jung gewesen sein, denn Sie waren wirklich ziemlich schlecht. Auf dem Bild waren ein paar Stichmännchen zu sehen.

Ich musste lächeln. Inzwischen konnte ich besser zeichnen! Viel besser... Ich fand auch einen Block und ein paar Stifte. Ich wurde leicht abwesend, umfasste den Bleistift und schnappte mir ein Blatt. Wie vertraut sich das anfühlte. Ich legte mich auf den Boden und begann zu zeichnen.

Strich und Strich, ersteinmla die Konturen. Dann kleine Linien dazumalen. Den Schatten nicht vergessen. Falten in die Kleidung. Wieder Schatten. Nun zu den Haaren. Das Gesicht! Erst die Augen, dann die Nase und danach der Mund. Ich starrte in das Gesicht von Jason.

Es war so echt gemalt, dass ich kurz blinzeln musste. Das Blatt war noch so weiß. Ich begann erneut und danach betrachtete ich Kenzie's Gesicht. Wahrscheinlich saß ich mehrere Stunden an dem Bild. Irgendwann vergaß ich die Zeit.

Am Ende schauten mich sieben Personen an. In die Mitte hatte ich mich gesetzt. Nein, ich war nicht selbstverliebt, aber ich denke, jeder versteht, dass man selbst die Hauptfigur in seinem Leben ist und diese meistens in der Mitte ist. Rechts neben mir stand Jason. Er umfasste meine Tallie und grinste über meine Schulter.

Ja... Schön wär's! Überrascht stellte ich fest, dass Kenzie ebenfalls neben mir war. Er hielt meine Hand. Warum auch immer. In die untere linke Ecke hatte ich Darren's Gesicht gemalt. Ich mochte ihn zwar nicht, aber dennoch hat er eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt.

Oder? Mochte ich ihn vielleicht doch? Auf keinen Fall! Er hatte mich entführt und ... Ja, egal! Er hatte eben etwas furchtbares getan. Meine Mum und mein Dad waren am oberen Rand aufgeteilt. Sie hielten sich umarmt und vor ihnen saß mein kleiner Bruder Mars. Ich seufzte und strich über all diese vertrauten Gesichter. Irgendwann merkte ich wie müde ich war und polsterte mich auf dem Stroh, die Zeichnung vorsichtig neben mich gebettet, damit sie nicht zerknitterte.

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Hoffe es gefällt euch/dir bis hierhin und sorry, dass das Kapitel nicht schon am Sonntag kam
:(

Teufelstochter (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt