4. KAPITEL

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Und dann rannte ich weg. Ich ließ den verwundeten Polizist liegen und rannte, rannte und rannte. Erst als ich vor meiner Schule war, blieb ich stehen. Ich keuchte. Langsam drehte ich mich im Kreis um zu schauen, ob mich jemand beobachtete oder verfolgte. Es war nicht grade vorteilhaft lange Zeit weg zu sein, wieder zu kommen und einen Mann zu verprügeln und besonders dann wegzurennen! Irgendjemandem musste ich ja aufgefallen sein?! Und dann fiel mir auf, dass ich unendlich müde war. Es war bereits dunkel und der Schlaf drohte mich zu überwältigen. Gähnend legte ich mich auf irgendeine eine dreckige Bank und schlief ein.


Unsanft rüttelte mich jemand an der Schulter. Verschlafen öffnete ich die Augen. Ich blinzelte mir den Schlaf aus den Augen und blickte in Kenzie's Gesicht. Sofort war ich hellwach und alles strömte auf mich ein. Ich hatte einen Polizisten verhauen und ihn vor dem Haus der Norrens liegen lassen. Wie dumm von mir! Ich starrte Kenzie an und wappnete mich für ein paar arrogante Worte. Stattdessen zog er nur eine Augenbraue hoch, zog seine Jacke aus und legte sie mir über die Schultern. Verwundert öffnete ich den Mund, schloss ihn aber wieder, da sich herausstellte, dass ich kein Wort herausbrachte. Er grinste und setzte sich zu mir. Ich verspannte mich. Er seufzte. "Warum bist du zurück gekommen, Elisabeth?" Jetzt war ich total verwirrt. "Warum sollte ich nicht wiederkommen?!" Kenzie wirkte verblüfft. "Du bist doch weggelaufen! Warum sonst würdest du drei Monate von zu Hause weg bleiben?" "Ich bin nicht weggelaufen! Ich würde entführt." Erklärte ich gespielt locker. Er riss die Augen auf. "Was? Alle dachten du wärst freiwillig gegangen" Ich runzelte die Stirn. Er machte es mir nach.

"Jedenfalls warst du eiskalt! Ich dachte schon du wärst tot, als ich dich da auf der Bank liegen sah. Ich hab probiert dich aufzuwecken, aber die ersten Minuten hast du dich nicht geregt! Weißt du wie ich erschrocken bin?!" Er deutete anklagend auf mich. Ich verdrehte die Augen. Als ob ich gewollt hätte, dass ich hier fast erfroren wäre. "Also wenn du meinst ich hätte dir etwas vorgespielt, dann irrst du dich! Und zwar gewaltig." Kenzie verzog das Gesicht. "Wie in alten Zeiten, oder? Ich sage irgendwas und du siehst es gleich wieder als Beleidigung an." Ich zuckte mit keiner Wimper. Insgesamt blieb ich erstaunlich ruhig, wie jedesmal wenn ich mit Kenzie stritt. Auch er war entspannt, als hätte er seine 'innere Ruhe' gefunden.

Wir bewegten uns keinen Milimeter, als wäre es ein innerer Kampf: Er wollte mit seinen Gedanken erzwingen, dass ich ihm antwortete und ich verschloss mich ihm, Verbarrikadiert hinter einer Mauer aus naja... Sturheit?! Ich hatte meine Trotzheitsphase wohl noch nicht ganz überwunden. Kenzie verengte die Augen zu Schlitzen und durchbohrte mich mit Blicken, ich hob nur das Kinn. Schließlich seufzte er. "Eigentlich ein bisschen kindisch, oder?" Ich verweigerte mich ihm zu antworten. peinlich berührt, weil er meine Gedanken schon wieder erraten hatte, sah ich zu Boden. Er sah mich genauso stur an wie ich zuvor. "Ach komm schon. Hören wir auf mit diesem dummen Spielchen." Ich schaute ihn misstrauisch an. "Du hast sicher Fragen!" Ich gab nach und nickte nun. "Ja, das hab ich... Warum seid ihr in unser Haus eingezogen?!" Er blickte grimmig drein. "Sorry, aber da fragst du den falschen... Meine Eltern wollten urplötzlich umziehen, in euer Haus, und haben mir nichts gesagt, nicht warum, nicht wann und auch nicht wohin. Bis wir dann vor eurem Haus standen." Ich nickte bedächtig.

"Also Ähm..." Er kratzte sich plötzlich verlegen am Hinterkopf. "Sollen wir hier sitzen bleiben oder in die Schule gehen?" Ich lachte bitter. "Siehst du hier irgendwo Schulsachen von mir?" Er verzog das Gesicht, kramte in seiner Schultasche, zog einen Block und einen Stift aus ihr und reichte sie mir. "Bitte sehr! Du brauchst mir nicht zu danken!" Ich verdrehte genervt die Augen. "Als ob ich das tun würde..." Er unterbrach mich. "Jetzt komm schon!" Eigentlich hatte ich nicht vorgehabt, das Gebäude, welches sich Schule nannte, jemals wieder zu betreten, aber mir blieb keine Wahl. Ich war entführt worden, im Wald mit einem verrücktem Mann herumgeirrt, hatte herausgefunden, dass meine Mom gestorben, mein Vater abgehauen, mein Bruder verschwunden und mein bester Freund in mein Haus gezogen ist und jetzt sollte ich allen Ernstes ganz normal in die Schule gehen?! Anscheinend schon... Ich folgte ihm mit gesenktem Kopf. Plötzlich war es mir peinlich so ungewaschen und verheult in die Schule zu gehen, als hätte ich nicht größere Sorgen. Doch ich lief weiter. Nach nur gefühlten Sekunden betraten wir die Schule.

"Bis bald!" Meinte er gutgelaunt. Ich blickte ihm verwirrt nach als er in den 1. Stock verschwand. Woher dieser plötzliche Sinneswandel? Ich zuckte die Schultern und lief den Flur entlang, der zu meinem Klassenzimmer führte. Klassenzimmer! Was für ein gewöhnliches Wort... Wie lang ich dieses Wort schon nicht mehr ausgesprochen hatte! Naja... 3 Monate. Ich trat ein und die erste Reaktion meiner Mitschüler: Nichts! Ich wurde nicht wahrgenommen, was mich komischer Weise aufregte. Ich wahr früher fast immer unsichtbar gewesen, habe stumm die Schule ertragen und mittelmäßige Noten geschrieben. Aufgefallen bin ich anscheinend niemandem. Doch jetzt wollte ich endlich beachtet werden! Wenn man lange Zeit nicht spricht, hat man das Gefühl gleich platzen zu müssen. So ging es mir und jetzt hatte ich die Chance, doch ich sagte nichts. Ich setzte mich wie immer stumm in die letzte Reihe und verschränkte meine Arme. Frau Meyer kam herein und begrüßte uns. Es war, als wäre ich nie weggewesen, doch eines hatte sich doch verändert. Ich. Ich hatte mich verändert und ich wollte es allen zeigen.

Ich wand mich innerlich. Meine Augen glühten, jedenfalls hoffte ich das, damit ich wenigstens etwas bedrohlicher wirkte. Ich stellte mir vor, wir Flammen aus meinen Augen schossen. Und da starrten mich plötzlich alle an. Ich sah verwirrt an mir herunter. Meine Hände waren erhoben und vorgestreckt, als wolle ich jemanden erwürgen und tatsächlich griff sich Matheo Reek an den Hals und probierte unsichtbare Hände von seinem Hals zu lösen.

Alles verschwamm vor meinen Augen. Ich spürte den Druck von seinem Hals an meiner Hand, ich spürte wie ich ihm die Luft aus den Lungen drückte, ich spürte alles. Obwohl ich sechs Meter mindestens von ihm entfernt saß und ich spürte wie sehr es mir gefiel ihm wehzutun. Nein! Ich probierte meine Hand zu kontrollieren, ich probierte es wirklich! Nach ein paar Sekunden schaffte ich es endlich. Röchelnd sank Matheo vom Stuhl. Ein paar meiner Klassenkameraden kreischten auf und zeigten mit zitternden Finger auf mich. Ich hob das Kinn, fest entschlossen, dass ich jetzt nicht zusammenbrach. Meine Hände zitterten und ich hatte Angst gleich wieder auf jemanden loszugehen. Deshalb ballte ich sie zu Fäusten, damit das Zittern aufhörte. Wie... Wie war das Geschehen? Ich spürte den unregelmäßigen Atem von Frau Meyer an meinem Hals. Sie stank aus dem Mund und ich widerstand dem Drang mir die Nase zuzuhalten. Sie beugte sich zu mir und hauchte mir ins Ohr: "Ich weiß nicht, wo sie die letzten drei Monate gesteckt haben, aber ich weiß, dass in dieser Zeit ihre Macht erwacht ist und das sie diese unter Kontrolle halten müssen!" Sie zischte gefährlich. Ich verstand nicht von was sie da redete. "Wie? Was?" Stotterte ich, doch sie hielt mir den Mund zu und packte mich an den Handgelenken. Augenblicklich wurde ich ruhig. Eine Kraft durchströmte mich und ich wippte auf meinen Fußballen hin und her. Frau Meyer nickte mir zu und zog mich mit sich. Währenddessen sank ich in eine wunderschöne schwarze Leere, wo ich erstmal alles vergessen konnte.


Teufelstochter (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt