Ein kleines Einhorn

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Ein kleines buntes Einhorn spielt lachend im Wind. Die Bäume lassen ihre Blätter rascheln und die Sonne bricht sich auf dem großen Wasser. Das Einhorn ist glücklich.
Plötzlich bricht ein Feuer die Idylle. Schmerz und Geschrei durchflutet die Welt des Einhorns. Wie durch einen Spiegel sieht es wie seine Heimat in Asche versinkt.

Das kleine bunte Einhorn läuft fort, es hat Angst.
Lange läuft es, und schafft es zu durch Wasser zu schwimmen und Berge zu laufen. Das Einhorn möchte wieder glücklich werden.
Es kommt in eine Stadt. Vielleicht eine Rettung, vielleicht eine Heimat. Es hat inzwischen sehr Hunger, und es friert in diesen neuen Landen. Weit ist es schon gelaufen. In der Stadt sind viele graue Pferde. Als sie das Einhorn sehen wie es so strahlend bunt und auf der Suche nach dem Glück durch die Straßen läuft, fangen sie an zu tuscheln. So anders, hört das Einhorn die grauen Pferde sagen. So komisch. Enttäuschung durchflutet das kleine Einhorn. Es schaut auf sich herab, und nimmt traurig wahr wie seine Farbe anfängt zu weichen. Es geht schüchtern auf eines der Pferde zu, denn der Hunger zerreißt es. Das Pferd lacht spöttisch, wieso sollte es einem so reichen Einhorn etwas geben? Das kleine Einhorn ist verwirrt, es ist nicht reich. Nur reich an Farben, und sogar die verblassen bei jedem Schritt mehr. Das Einhorn weiß nicht, wie eifersüchtig das graue Pferd ist, denn die Pferde weinen nicht. Schnell läuft das Einhorn weiter, damit die Pferde nicht sehen, wie die grauen Tränen aus seinen Augen laufen. Da sieht es plötzlich einen Apfel, er liegt zwischen anderen an einem Obststand. Das Einhorn schaut auf und sieht, dass es mitten auf dem Marktplatz gelaufen ist. Voll unerträglichen Hunger weiß das Einhorn selbst nicht wie ihm geschieht und es nimmt sich den Apfel. Als es die bösen Blicke der Pferde sieht und ihre herablassenden Stimmen vernimmt, läuft es schnell, und immer schneller. Es läuft raus aus der Stadt, seine letzte Kraft nutzend um den angedrohten Gittern zu entfliehen. Es hatte doch so einen Hunger, und so eine Angst. Die Worte verlassen das kleine Einhorn nicht, und seine Tränen waschen die Farbe von seinem Körper.
Das Einhorn läuft weiter, immer weiter. Nur fort. Dort hin, wo das Feuer es nicht einholen kann. Das kleine Einhorn möchte leben. Tage voll Hunger und Durst ziehen vorbei. Wochen voll Schlaflosigkeit verschwinden in der Zeit. Monate voll Angst erträgt das kleine Einhorn. Jahre voll erloschenen Welten lassen seine Sicht verschwimmen. Schritt für schritt weiter zum Glück. Vor dem weiten Meer aus gweinten Tränen tauchen allmählich viele bunte Lichter auf. Je näher das Tod geweihte Boot der Stadt kommt, desto mehr Farben erscheinen, aus denen sich bald schon Umrisse von großem Reichtum erkennen lassen. Viele farbenfrohe Pferde zwischen Bauten, die den Himmel berühren. Doch das Einhorn hat viel erlebt. Es blickt auf sein graues Fell. Es wird niemals akzeptiert, wie es ist. Die Pferde werden ihm wieder nicht zuhören. Es erreicht die Stadt und seine Hufe tönen seicht auf dem Asphalt. Es läuft durch die Straßen. Es will nicht hochsehen, zu den Pferden. Alle benehmen sich hier anders. Anders als dort, wo es her kommt. Das Einhorn sieht viele Zettel, bunt, wie alles hier. Sie verlocken es, auch so schön zu sein, bunt, wie alles hier. Die Zettel zeigen makellose Schönheit. Die Zettel zeigen Blumen, Federn, Stoffe und wunderschönen Schmuck. Das Einhorn ist sehr fasziniert. Natürlich weiß es, was das ist. Ringe gab es dort, wo es her kommt auch. Aber nicht so viele. Jeder trägt hier welche. Es möchte auch so einen Ring. Einen goldenen, mit einem großen azulblauen Stein. Oder einen bronzefarbenen, mit vielen teuren Steinen, die wie Glas aussehen. Dort, wo das Einhorn her kommt, gibt es überall Werke, die nach diesen Steinen suchen. Viele Dörfer wurden schlicht niedergebrannt um noch mehr Werke zu bauen. Doch hier trägt jeder solche Steine. Es möchte dazu gehören. Beim weiter gehen sieht das Einhorn viel essen. Wer kann denn das alles essen? Die Pferde hier, sehen nicht so aus, als würden sie jemals etwas essen. Sie sind ja schon fast so dürr wie ich, denkt sich das Einhorn. Es sieht das Plakat, und schaut auf sich herunter. Grau. Es ist beschämt. Keinem der Pferde sieht es in die Augen. Dafür hat es zu viel Angst. Wieder meldet sich der Hunger. Doch wenn es etwas isst, dann passt es noch weniger in diese Welt. Die beschmückten Pferde sind schließlich auch so dünn. Wieder steht das Einhorn auf einem Platz. Die bunten Lichter flackern von hier nach dort. Es senkt den Blick wieder, vielleicht wird es so weniger gesehen. Außerdem bekommt es Kopfschmerzen. Das Einhorn steht nun unsicher da. Zwischen vielen großen Pferden, die es herablassend ansehen. Sie sind voller Hass und Neid, eines dem anderen gleich. Das Einhorn kommt von weit her, doch ist nirgends zu Hause. Die Pferde sehen es verabscheut an, sie verachten das kleine, unscheinbare Einhorn. Es ist ganz braun, und so langweilig. "Siehst du das hässliche Einhorn?", fragt ein Pferd ein anderes. Es hat viele bunte Federn. Das andere Pferd flüstert durch seine Regenbogen locken zurück: "Es ist so anders. Es sieht böse aus." Das kleine Einhorn schaut nicht hoch. Natürlich hat das Einhorn die Worte gehört, aber das ist es gewöhnt. Überall spricht man so. Die Pferde tuscheln. Das Einhorn weiß, wie die Pferde reden. So reden alle Pferde. Das anfängliche: "Es passt nicht zu uns, es hat eine Seltsame Farbe, so grau." wird zu "Es sieht böse aus, bestimmt beißt es, wenn wir es nicht weg sperren." Zunächst sind es nur kleine Ideen, die allmählich die Überhand gewinnen und die Stimmen lauter werden lassen. Das kleine graue Einhorn möchte so gerne dazu gehören, es möchte bunte Haare haben, so schöne große Augen und tollen Schmuck, wie die anderen. Es schaut auf sich herunter und sieht wieder nur ein stumpfes Grau. Das Einhorn läuft wieder fort. Es hat Angst vor den Blicken, und vor jedem Wort, dass ihm wie Feuer im Herzen bleibt. Die Pferde sind gemein, nicht eines hat je mit ihm gesprochen. Das Einhorn läuft bis zum Strand. Hier sieht man keine Pferde mehr. Der Regen prasselt diesen Abend und bricht die Spiegelung des Mondes auf dem weiten Meer. Schwarze Tränen laufen über sein Fell und erinnern an die vielen Worte. An die vielen schrecklichen Worte. Wie weit das Meer ist. Es scheint hier so unendlich. Weit hinter diesem Meer, hinter Wüsten und Nebel liegt nun eine einst so glückliche Stadt in Trümmern. Nur nach Hause. Der Wunsch pfeift leise im Wind. Nur nach Hause. Hinter dem Einhorn leuchtet die große Stadt. Es kann hier so vieles haben, es hat einen so weiten Weg auf sich genommen um diesen Ort zu finden. Wo jeder immer glücklich ist, weil alles immer Sicher ist. Wieso kann das Einhorn hier nicht glücklich sein? Weil vieles nicht alles ist, und das Glück da ist, wo du zuhause bist. Der Regen fällt schwerer und das erste Grölen des Donners reitet über das unendliche Wasser. Als ein Blitz die Nacht erhellt, erkennt das kleine Einhorn eine Gestalt in der Nacht. Nun wieder im Schatten, ist das Pferd genau so grau wie das kleine Einhorn.
Das kleine Einhorn tappt langsam mit seinen Hufen über sen Sand. In Gedaken verlorene Neugierde weht es in Richtung des Pferdes. Es steht nun mutig hinter dem Pferd und sieht, wie graue Tränen in das Meer fallen. Wieder strömt Licht durch die Nacht. Das Pferd wird für einen kurzen Augenblick sichtbar. Die grellen Farben leuchten, doch seine Tränen bleiben grau. Das kleine Einhorn setzt sich neben das große Pferd: "Schönes Pferd, wieso weinst du graue Träume?" Das Pferd schaut nicht hoch. Mit gebrochener Stimme hört das kleine Einhorn das Wort: "Angst." "Wovor könnte ein Pferd Angst haben? Hier bist du doch sicher. Oder nicht? Hier bist du doch zuhause." "Oder nicht?", die Stimme des Pferdes versinkt in seinen Gedanken. Nun schaut es hoch, und betrachtet das weite Meer so, wie das Einhorn es vorher tat. Ein verlorener Blick: "Du kommst nicht von hier." Das Einhorn schaut zu Boden. Wie kann das Pferd es wissen. Hier ist es dunkel, und das Pferd schaute das kleine Einhorn nicht einmal an. Das Einhorn brauchte nicht antworten. Der Satz war eine Feststellung. Wieder laufen Tränen über sein Fell. Zu seiner Verwunderung sprach das Pferd weiter, den Blick noch immer in die Ferne vertieft: "Du kommst sicher von weit her, hast viel gesehen. Ich sah niemals von der anderen Seite auf das Meer. Ich sehe immer nur die eine Seite des Mondes. Ich bin es Leid." Vorsichtig versuchte das Einhorn die richtigen Worte zu finden, doch seine Verwirrung ließ nur wenig spielraum: "Aber du bist doch hier zuhause?" Als hätte das Pferd seine Worte über hört sprach es weiter: "Gewohnheit durchzieht Tage und Monate. So ein schönes weiches Bett, Essen bis ich platze und jede Möglichkeit mich noch bunter, schöner und kostbarer zu machen." Aus seiner Tasche zog das Einhorn nun eine Pfeife und stopfte sie gemächlich mit getrockneten Karotten. Das kleine Einhorn bekam große Augen. Verstand es die Antwort? Es war sich nicht sicher. "Bist du nicht glücklich?" Das Pferd sieht dem Einhorn nun direkt in die weißen Augen. Es grinst: "Natürlich bin ich glücklich. Wie alle hier. Siehst du denn nicht mein Lachen? Jeden Tag, seit so vielen Monden, dass ich sie schon nicht mehr zu zählen vermag, zeige ich der Welt dieses Lächeln." Als das Pferd wieder nach vorne blickt, erkennt man seine Tränen die im Mondlicht glitzern. Das kleine Einhorn bekommt sehr Mitleid mit dem Pferd, dessen Lächeln nun weicht. "Ich habe so vieles, ich bin so vieles. Aber Glücklich? Nein. Wer Sicherheit möchte, muss seine Freiheit aufgeben. Doch wie kann man in Befangenheit jemals glücklich werden?" Still sitzen sie nebeneinander. Einige Minuten verstreichen. Sie starren beide auf das Wasser. Das kleine Einhorn denkt nach: "Ich bin auch nicht glücklich." In der Stille holt das Pferd eine kleine Maschine aus seiner Tasche. "Aber du bist noch frei." Wie durch Magie entsteht ein kleines Feuer. In diesem Licht sieht das Einhorn, dass das Pferd unter dem schönen Blütenschmuck Fell hat. Kein buntes Fell, nein. Es ist nur ein kleiner Fleck, der nicht von Stoffen und Glitzer bedeckt ist. Der kleine Fleck am Hals ist grau. Das Pferd sieht den Blick, doch es schaut nicht. Es zündet sich seine Pfeife und der Rauch flimmert weiß durch den Schatten. Die Nacht ist still. "Hier sind die Pferde nicht glücklich kleines Einhorn. Sie haben es verlernt. Alle sind hier sicher, das stimmt. Alle sind hier bunt, das stimmt. Doch Sicher sein bedeutet, seine Freiheit aufzugeben. Wir leben hier einen Tag nach dem anderen, verdienen einen Kristall nach dem Anderen. Mit diesen Kristallen schmücken wir uns dann, bis jeder Centimeter unseres Körpers glücklich aussieht. Bis wir bunt sind, aber niemals glücklich." Das Pferd zieht den Rauch tief in seine Lunge und schickt sie als kleine Ringe wieder heraus. "Siehst du", sagt es, "wir sehen glücklich aus." Das kleine Einhorn schaut den Ringen lange Hinterher. Dann schaut es nur noch den Gedanken an sie hinterher. Sobald das Licht aus ist, hat nichts von alledem mehr Wert. Es vergeht wie Rauch. Das kleine Einhorn verlor keine schönen Ringe, es verlor sein Zuhause, es verlor seine Familie. Diese Werte, dieses Glück diese nun vergangene Lebensfreude haben die Pferde nie gesehen. Nur den Schatten davon, gefangen in kleinen Steinen, die wie Glas aussehen. "Wir sind hier nicht zuhause.", sagte das Einhorn, und es war keine Frage. Die Worte flogen noch zwischen ihnen, als das Pferd seufzte: "Liebes kleines Einhorn, Es gibt Orte an denen wir mehr zuhause sind."

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