Ich stand im Bad. Das Blut lief über meinen Arm. Es wurden jeden Tag mehr Narben. Jeden Tag tat es mehr weh. Aber jeden Tag hatte ich diese Schmerzen mehr verdient. Das Blut lief über meinen Arm. Ich hatte solche Angst. Ich hatte Angst davor mit dem Ritzen aufzuhören, aber auch davor weiter zu machen.
Ich hatte Angst davor, dass jemand die Narben sehen würde. Ich hatte Angst, dass mich jemand mich danach Fragen würde.
Ich hoffe jeden Tag, dass alles besser werden würde. Ich wollte nur noch glücklich sein. Ich wollte nicht mehr in diesem Meer aus Traurigkeit versinken. Aber ich hatte einfach keine Wahl.
Ich wollte einfach nur noch alles loslassen. Die Vergangenheit vergessen und neu anfangen. Doch ich konnte einfach nicht loslassen.
Ich konnte nicht einfach die Vergangenheit vergessen. Sie hielt mich fest. Die ganzen Erinnerungen, die ich mit den Narben verband waren noch immer da. Und die würde ich in Zukunft nicht vergessen können.
Ich hatte versucht mit dem Ritzen aufzuhören. Gestern hatte ich es getan und hatte mir versprochen, dass es das letzte mal gewesen war.
Und jetzt stand ich wieder hier. Mit der Klinge in der Hand.
Ich wollte nicht all das verlieren, was ich erreicht hatte. Doch ich verlor alles.
Das spürte ich.
Lena, Sam, Jamie und meine Familie.
xx
"Fly? Kommst du bitte nochmal zu mir?" fragte mein Englisch Lehrer mich, als ich gerade dabei war, das Klassenzimmer zu verlassen.
Ich nickte nur und ging dann zu ihm. Er wartete bis wir alleine in dem Zimmer waren. Dann wante er sich mir zu.
"Ich mach mir Sorgen um dich, Fly." sagte er ernst. "Wieso?" fragte ich leise. "Du bist in den Pausen immer alleine und... ich hab gestern deinen Arm gesehen." Die letzten Worte schlugen mir förmlich ins Gesicht.
Er hatte die Narben gesehen.
Ich lächelte. "Das war vor Jahren. Mir geht's gut."
"Das war nicht vor Jahren. Vor ein Paar Monaten hast du noch Tops getragen und da war nichts."
Ich biss mir auf die Unterlippe. F*ck. Er hatte Recht. Am liebsten hätte ich noch "Kein Wort zu meinen Eltern" oder so gesagt, doch ich hielt die Klappe und ging einfach aus dem Raum.
Ich wusste nicht, was ich dachte. Einerseits wollte ich Hilfe, aber ich wollte nicht drüber reden.
Ich wollte eigentlich nicht tot sein, aber ich dachte zu oft darüber nach. Ich wusste, dass es falsch war, sowas zu denken.
Das Leben ist ein Geschenk, aber ich habe die Schere verloren um es zu öffnen.
Mein Leben ergab keinen Sinn mehr. Ich wurde jeden Tag schwächer und wollte nur noch aufgeben. Es gab kaum noch etwas, das mich am Leben hielt.
Es gab niemanden der mich retten wollte.
Oder doch? Jamie? Ich weiß es nicht, denn vielleicht waren die Briefe auch gar nicht von ihm.
Ich würde das wohl nie erfahren. Ich wollte weg. Weit weg. Keine bekannten Gesichter oder bekannte Umgebungen. Nichts. Ich wollte alleine sein. Ich wollte weg von hier. Weg von dem Leuten, die mich hassten. Weg von den Leuten, die mich verletzten. Weg von den Leuten die glaubten mich zu kennen.
Ich konnte nicht mehr.
Ich fiel immer tiefer.
Doch unter mir war nichts.
Nur Dunkelheit.
Ich war alleine.
Keiner der mich fing.
Keiner.
Gar nichts.
xx
Die nächsten Tage vergingen normal. Doch ich konnte nicht mehr richtig mit meinen Eltern reden. Das konnte ich noch nie, aber ich konnte nicht mal mehr mit ihnen zusammen sein, ohne Angst davor zu haben, dass sie mich auf irgendwas ansprechen würden.
Ich hatte jedes Mal, wenn sie mich ansahen Angst, dass sie mir gleich erzählen würden, was sie wussten.
Ich wollte das es aufhörte.
Und zwar jetzt.
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Dear Fly...
Ficción GeneralSie denken, sie kennen dich. Sie denken, sie wissen wer du bist. Doch das tun sie nicht. Aber wie sollen sie es wissen, wenn du es selbst nicht weißt? Wie sollen sie deine Tränen sehen, wenn du sie hinter einem Lachen versteckst? Wie sollen sie die...