Kapitel 24 - She's gone.

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Fly wurde am nächsten Morgen gefunden. Überall um sie herrum war getrocknetes Blut. Auf dem Boden lag das Messer. Ihre Augen waren geschlossen und ihr kleines Gesicht war blas. 

Sie sah so schwach aus. Aber trotzdem wunderschön. Sie war nur kaputt. Vom Leben. Sie war stark gewesen. Aber jetzt konnte hatte sie einfach nicht mehr gekonnt. Sie war einfach zu kaputt. Einfach zerstört, verletzt und am Ende. 

Niemand hasste sie für das was sie getan hatte. Sie wurde weiterhin geliebt. Sie nur wurde unendlich vermisst. Jeder wusste, dass sie etwas Besonderes war. 

Als sie ihre Sachen wegräumten, fanden sie einen Brief. Einen langen, unglaublich traurigen Abschiedsbrief. 

Hallo, an alle die das hier lesen, wenn es überhaupt jemals jedemand lesen wird. Wenn nicht, ist auch egal. Um ehrlich zu sein, wollte ich nie einen Abschiedsbrief schreiben, weil ich viel mehr zu sagen habe, als Wörter sagen könnten, aber ein Paar Sachen würde ich gerne noch loswerden. Als ich angefangen habe mich zu ritzen, hatte es natürlich Gründe. Aber es sind Gründe die ihr nicht verstehen würdet, wenn ihr euch nicht so fühlt. Ich erkläre es trotzdem. 

Wisst ihr, wie es ist einfach nicht mehr Lachen zu können, weil es keinen Grund gibt? Wie es ist alleine in seinem Zimmer zu sitzen und einfach zu heulen, weil alles so sinnlos scheint? Wisst ihr wie es sich anfühlt, nutzlos zu sein? Immer schlechter als andere, dicker als andere, hässlicher als andere, dümmer als andere? Nein, dass wisst ihr nicht, denn ihr seit perfekt stimmt's? 

Es gibt so viele Sachen die ich hasse, dass ich sie gar nicht aufzählen kann, trotzdem fange ich an. Autos, Züge, Menschen, Freunde, Schule, Hausaufgaben, Konzentrieren, Sport, Essen, Schlafen, Laufen, Städte, Dörfer, Straßen, Wege, Wiesen, das Meer, Seen. Okay ich mach's kurz: Ich hasse alles. Ich hasse wirklich alles. Ganz Besonders mich. Meinen Körper, mein Aussehen, alles. Ich weiß nicht, ob ihr das verstehen könnt, aber ich sag es euch jetzt einfach. 

Wovor ich Angst habe: Mit Menschen zu reden, vor meinen Eltern, vor Freunden, davor zu Lachen, zu Weinen, zu Verlieren, zu Gewinnen, Aufmerksamkeit kriegen, im Mittelpunkt stehen, allein zu sein, unter vielen Leuten zu sein. Ich mach's wieder kurz: Vor dem Leben, vor der Zunkunft und der Vergangenheit. Ich glaube, dass macht in euren Augen keinen Sinn, was ich hier sage, aber ich kann nicht Leben ohne Angst zu haben. Und niemand konnte mir die Angst nehmen. 

Was ich will. Weg. Einfach weit, weit weg. Und nie wieder kommen. Und ich will einmal im Leben das Gefühl haben geliebt zu werden. Ich will einmal, dass mich in den Arm nimmt und mich nie wieder los lässt, ich will wieder Lachen können, ohne dass es weh tut. 

Aber ich werde es nicht können. Das weißt ich. Und ich habe so viel versucht, wisst ihr? Ich habe versucht stark zu sein, euch stolz zu machen. Doch jetzt geht es einfach nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Ich bin einfach kaputt. Versteht es oder versteht es nicht. Ich gehe. 

Ob es mir leid tut weiß ich nicht. Das weiß ich wirklich nicht. Denn vermissen werdet ihr mich nicht, oder? Und ihr wolltet, dass ich aufhöre mich zu Ritzen, oder? Ich höre auf. Aber ich höre auch auf zu Sprechen und zu Denken und zu Lachen und zu Weinen und zu Atmen und zu Leben. Ist das okay? 

Egal ob es okay ist oder nicht. Ich gehe. Und ich komme nicht wieder. Ich will einfach nur noch Sterben. Ich will nicht mehr vor allem Angst haben müssen und dauernd weg laufen müssen. Ich will mich nicht ständig verstecken müssen. Ich will nicht mehr. Und ich kann nicht mehr. 

Und deshalb geh ich jetzt. 

Meiner Familie würde ich gerne noch sagen, dass sie ohne mich besser dran sind. Ihr habt mich in letzter Zeit so scheiße behandelt, das glaubt ihr gar nicht. Aber ihr habt es nicht eingesehen, sondern es jeden Tag schlimmer gemacht. Und genau deshalb habe ich mich nie getraut es euch zu erzählen. Ich hatte Angst, dass ihr mich zusammenschlagt oder was auch immer. Vielleicht dachtet ihr ich brauche jetzt Abstand zu euch. Aber in Wirklichkeit hätte ich eure Liebe gebraucht. Dass ihr mich festhaltet, wenn ich falle und mich nicht einfach in eine Klinik abschiebt. Dass ihr da seit, aber ihr wart es nicht. Dass ihr mich versteht, doch ihr konntet es nicht. 

Dear Fly...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt