Nachdem sich der Sturm verzogen hatte, beschien helles Mondlicht die kleinen Gesichter. Ihre winzigen, zartrosa Lippen waren einen Spalt weit geöffnet, gleich zwei Rosenknospen, die gerade erblühten.
Die Königin konnte sich nicht an ihrem Anblick sattsehen, so fasziniert war sie von den beiden Säuglingen, die friedlich in ihren Wiegen schliefen.
Erneut fuhr sie mit ihrem Finger zärtlich über die weichen Wangen ihrer beiden Töchter. Sie waren so perfekt. Der Mutterstolz ließ ihr Tränen in die Augen steigen, die sie ärgerlich wegblinzelte.Obwohl sich die beiden vor wenigen Nächten noch denselben Leib teilten, hatten sie weniger miteinander gemein, als die Königin erwartete hätte.
Artemis, mit dem nachtschwarzen Haar und der mondscheinhellen Haut, kam zur Welt, noch ehe der Morgen graute. Ihre Schwester Hemera jedoch erblickte das Licht der Welt, sobald die ersten Sonnenstrahlen in die königlichen Gemächer fielen und ihren roten Haarschopf golden aufleuchten ließen.
Die Königin seufzte glücklich.
Dunkle Wolken brauten sich am Himmel zusammen und verdeckten den Mond. Offenbar währte diese friedliche Ruhe nur kurz. In der Ferne vernahm sie bereits das nächste Donnergrollen.
Plötzlich riss ein harsches Klopfen sie aus ihren Gedanken. Leise, um die Kinder nicht zu wecken, lief sie zur Tür um den unverhofften nächtlichen Besucher zu öffnen.
„Andreina“
Die Königin blickte in ein vertrautes Antlitz, doch das Lächeln, welches sich auf ihren Lippen auszubreiten versuchte, erstarb, sobald sie den gehetzten Blick in den Augen ihres Gatten erkannte.
„Xerxes. Was ist geschehen?“, fragte sie besorgt und fasste ihren geliebten Mann am Arm.
Der König rieb sich mit der freien Hand über die Stirn, die Krone schien auf einmal sehr schwer auf seinem Haupt zu lasten.
„Du musst fort, auf der Stelle. Ich habe einen meiner tapfersten Männer beauftragt, dich und die Mädchen aus dem Schloss zu schaffen“
„Nein!“, widersprach die Königin und fügte etwas beherrschter hinzu: „Ich werde dich nicht verlassen“
„Dir bleibt keine andere Wahl. Unser Feind ist zu stark. Die Truppen, die uns angriffen haben unsere Armee vernichtend geschlagen. Fast alle sind gefallen und nun halten sie direkt auf uns zu. Ich weiß nicht, wer sie anführt, doch sie werden kommen und wir werden ihnen nicht Stand halten können“
Der König löste ihre Hand sanft von seinem Arm und hielt sie einen Moment lang fest. „Bitte, lass mich dich und die Kinder in Sicherheit bringen. Sie brauchen ihre Mutter. Riordan wartet bei den Ställen auf euch“
Einen Moment lang zeigte die Miene der Königin deutlich den Kampf, den sie in ihrem inneren austrug, doch schließlich siegte die Vernunft.
„Ich werde unverzüglich aufbrechen“, verkündete sie wehmütig und der König hauchte dankbar einen Kuss auf ihre Fingerknöchel, ehe er sich umwandte und mit eiligen Schritten davon lief.
Ohne weiter zu zögern, eilte die Königin zurück in ihr Gemach und packte das Nötigste in einen kleinen Beutel, den sie sich umband, ehe sie die Kinder aus den Wiegen holte und fest in ihren beiden Armen hielt. Sie musste eine Amme finden und zu den Ställen gelangen, ehe die feindlichen Truppen das Schloss erreichten.
Während sie die Gänge entlang lief, die inzwischen wachen und quengelnden Mädchen in ihren Armen, schien das Schloss wie ausgestorben. Unsicherheit breitete sich in ihr aus und sie zwang sich, noch schneller zu gehen.
„Andreina? Was hast du zu so später Stunde in den Gängen verloren?“
Die Königin wandte sich um und erblickte ihren Schwager, der gerade aus einem der Räume trat, ein Schwert in seinen Händen.
Sie wollte sich ihm gerade anvertrauen, als sie das Blut bemerkte, dass von der Schwertspitze langsam auf den Boden tropfte. Der Bruder des Königs folgte ihrem Blick und seine Gesichtszüge verhärteten sich.
„Es sind schwere Zeiten angebrochen, Andreina“
Langsam wich die Königin vor ihm zurück.
„Was hast du getan, Brodor?“, fragte sie ihn vorwurfsvoll und er lächelte.
„Ich versuche, das Königreich zu schützen“
Er sah auf die Kleinen in ihren Armen und streckte fordernd die Hand aus.
„Gib sie mir und ich werde dir nicht folgen“
„Niemals!“, stieß die Königin wütend aus und Brodor lachte schallend. „Du bist eine wunderschöne Frau, Andreina. Ich hielt dich zudem immer für außergewöhnlich klug. Willst du wegen diesen Bälgern wirklich dein Leben aufs Spiel setzen?“
Als hätten sie verstanden, was ihnen blühte, fingen die Kleinen an zu weinen und zu schreien. Die Königin versuchte vergebens sie mit wiegenden Bewegungen zu beruhigen während sie fieberhaft nach einem Ausweg suchte. Mit den Kindern war sie zu langsam, sie würde ihm nicht davonlaufen können. Sie brauchte einen Plan…
Auf einmal fingen die Fackeln um sie herum an zu flackern, während ihre Töchter immer noch schrien. Sie loderten hell auf und knisterten wie gefräßige, wilde Tiere. Brodor betrachtete das Schauspiel gebannt und die Königin nutzte den Moment, um eine der Fackeln aus der Halterung zu lösen und ihm entgegen zu schleudern.
Brodor schrie von Schmerzen gequält auf und die Königin flüchtete, so schnell sie konnte.
Vor den Ställen traf sie auf Riordan, der mit zwei Pferden bereits auf sie wartete. Sie reichte ihm die beiden Säuglinge und wollte gerade selbst aufs Pferd steigen, als sie die Schlosstore bersten hörte.
Wo war ihr Gatte? Wieso kämpfte niemand gegen die Eindringlinge?
„Beeilung, Euer Hoheit!“, rief ihr Riordan zu doch in diesem Moment stürmten die feindlichen Truppen das Schloss und die Pferde scheuten.
Abtrünnige Hexenmeister, Elfen und noch viele finstere Kreaturen mehr, welche die Königin nicht einmal benennen konnte, metzelten die wenigen Wachen nieder. Sie hörte Mägde schreien und über all dem donnerte die Stimme Brodors:
„Zeigt keine Gnade, meine Freunde!“
Ein Pfeilregen prasselte auf sie alle herab, als wären die wenigen Überlebenden nicht schon wehrlos genug. Das Pferd der Königin fiel getroffen in sich zusammen.
„Geht!“, schrie sie Riordan zu, die Stimme ganz verzerrt vor Rauch und Panik. „Flieht solange Ihr noch könnt!“
Mit einem entschlossen Nicken gab der Ritter seinem Pferd die Sporen und ritt in die stürmische Nacht hinaus.
Hinter ihm durchbrach das Feuer, welches selbst durch den strömenden Regen nicht erlosch, die Schwärze der Dunkelheit, vor ihm verscheuchten Blitz und tosender Donner die Schatten.
Die Kinder waren merkwürdigerweise auf einmal ganz still und Riordan versicherte sich eilig, dass es ihnen gut ging, als sich plötzlich ein Schatten vor die Beine seines Pferdes warf.
Mit angstverzerrtem Wiehern scheute es, die Hufe traten verzweifelt in der Luft umher und Riordan flog aus dem Sattel.
Seile schlangen sich um den Körper des verängstigten Tieres und zwangen es zurück auf den Boden. Riordans Schädel pochte vor Schmerz, doch er dachte an die wehrlosen Prinzessinnen und rappelte sich auf, die Hand auf den Griff seines Schwertes gelegt.
Mit all seiner Kraft rammte er es einer der Gestalten in den Rücken, die versuchten, sein Pferd zu stehlen.
Als er es herauszog, fiel sie lautlos in sich zusammen, doch dafür waren nun die anderen auf ihn aufmerksam geworden. Banditen, erkannte Riordan und machte sich bereit.
Er spürte, wie ihm etwas Heißes die Seite seines Halses entlang lief und erkannte schlagartig, dass er diesen Kampf nicht überleben würde.
Die Banditen wussten dies offenbar auch, denn höhnisches Gelächter schlug ihm entgegen, während er versuchte, die Verbrecher zu erledigen.
Schließlich gaben seine Beine nach und er versank in undurchdringlicher Schwärze.
Die Banditen grölten angesichts ihres Triumpfes. Erst jetzt bemerkten sie die beiden Kinder.
„Wie alt?“, fragte der Anführer der Bande und nickte zu den zwei Bündeln hin.
„Vielleicht ein paar Tage“, antwortete eine weibliche Stimme nach eingehender Betrachtung. „Die sind auf dem Markt nichts wert. Sterben sicher, ehe wir sie überhaupt verkaufen können“
„Werft sie weg“, ordnete er sodann kaltherzig an und die Frau folgte seinem Befehl. Sie löste die Schnüre, mit denen der tote Ritter die Kinder ans Pferd band und legte sie sanfter als erwartet unter den nächsten Baum.
„Haben sie Wertsachen bei sich?“
„Nein, es sind nur Lumpen“, antwortete sie, ohne nachzusehen und kehrte den Säuglingen den Rücken.
Hätte sie etwas genauer hingesehen, wäre ihr vielleicht aufgefallen, dass nicht ein einzelner Regentropfen ihre winzigen Gesichter nässte, während sie still ihr Leid ertrugen.
Die Banditen entfernten sich und abgesehen von dem toten Ritter und den zwei zurückgelassenen Bündeln deutete nichts mehr daraufhin, dass überhaupt etwas geschehen war.
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Wolfsisters
FantasyZwei Schwestern, eine Krone, ein Kampf um Macht, Liebe und Freiheit… Als die beiden Schwestern Fenja und Menja eines Tages in ihrem geliebten Wald auf die Jäger des Königs stoßen, hätten sie sich nicht erahnen können, welche Ereignisse diese schicks...