Fenja‘s POV:
Die ersten Sonnenstrahlen eines neuen Tages bahnten sich einen Weg durch den dichten Wald und ließen die Tautropfen auf Blättern und Moos glitzern. Bei Morgengrauen hatte ich mich aus der Höhle geschlichen und war den Berg hinaufgeklettert um die Sonne zu begrüßen. Meine Haut saugte jeden Sonnenstrahlen auf, während ich mich der Sonne entgegenstreckte. Kraft durchströmte meine Adern und ich spürte wie das Feuer in mir erwachte. Nichts konnte schöner sein, als der Ausblick der sich mir bot. Der Wald schien sich endlos in alle Richtungen zu erstrecken, durchbrochen von einem Fluss, der mittenhindurchfloss und in der Ferne konnte man eine Hügelkette erkennen, die ein Gebirge versprach.
Die Sonne war schon ein gutes Stück den Himmel emporgewandert, als ich mich auf den Weg zurück zu unserer Höhle machte. Ich hatte mir vorgenommen noch jagen zu gehen und unser Frühstück mit etwas Fleisch zu erweitern. Ich verfolgte einige Tierspuren die vielversprechend schienen und kam auf einer kleinen Lichtung raus.
Eine Bewegung in meinem Augenwinkel ließ mich zur Seite springen. Mir war als hätte ich den anmutigen und kraftvollen Körper unserer Tigermutter Amaltheia gesehen. Langsam ging ich auf den Waldrand zu wo ich sie zu sehen geglaubt hatte. Doch alles was ich fand waren Spuren die auf einen Hasen hinwiesen. Manchmal konnte ich sie durch den Wald streifen sehen, wie sie vor mir um die Bäume streifte und sanftmütig zu mir zurückblickte. Eine Erinnerung aus der Kindheit, die mir von ihr geblieben war. Nur noch ein Schatten und dennoch so präsent als wenn sie tatsächlich noch auf der Erde weilen würde.
Eine Lektion die Menja und ich schon sehr früh von Amaltheia bekommen hatten war, dass wir geduldig sein mussten, eine Aufgabe die mir schon immer ziemlich schwer gefallen war. Stundenlang hatten wir als Kinder in Gebüschen gelegen und auf unsere Ziehmutter gewartet. Manchmal war sie nicht weit entfernt und beobachtete uns, weshalb sie auch mitbekam, wenn ich aus dem Versteck herauskroch und mich anderweitig beschäftigte. Doch da ihre Bestrafungen darin bestanden mich gar nicht erst mitzunehmen, zu den Jagdausflügen, begann ich neben meiner Schwester liegen zu bleiben. Ihre Konzentration war bewundernswert. Kein Muskel schien sich zu bewegen und sie schien alles um uns herum mit ihrem Geist wahrzunehmen. Sie konnte einem stets sagen, welcher Vogel auf welchem Baum in welchem Ast saß, wo ein Fuchs mit seinen Jungen spielte und in welchem Baum ein Bienennest versteckt war.
Sie war auch diejenige von uns beiden die als erstes ein Tier erlegte, indem sie es mit ihren eigenen Händen fing. Wir lernten auch ohne unsere Fähigkeiten auszukommen, damit wir nicht zu sehr auf sie angewiesen waren. Ich lernte mit der Zeit, meine Konzentration zu halten und meinen Geist weit zu öffnen, doch hatte ich nicht die Begabung meiner Schwester.
Ich kauerte mich also reglos an den Waldrand, mit der Hoffnung auf Beute. Allzulange musste ich nicht warten, bis ein Hase aus seinem Bau unter einem Baum hervorkam und anfing an dem Gras auf der Lichtung zu knabbern. Damit der Hase mich so spät wie möglich bemerkte achtete ich darauf, dass ich mich lautlos auf ihn zu bewegte. Außerdem sollte er mich nicht riechen, weshalb ich darauf achtete, dass der Wind nicht von hinten kam. Der Hase hielt inne und schaute sich um. Kurze Zeit schauten wir uns beide reglos an, bevor der Hase einen Haken zur Seite machte und begann in Richtung seines Baus zu rennen. Da ich damit gerechnet hatte war ich in dieselbe Richtung gesprungen. Mein Hechtsprung verfehlte den Hasen nur um ein paar Zentimeter, in letzter Sekunde hatte er einen weiteren Haken geschlagen. Ich stand auf und zog mit einer flüssigen Bewegung mein Messer, noch mit derselben Bewegung schleuderte ich das Messer dem davonrennenden Hasen hinterher und traf ihn genau im Nacken. Als ich meine Beute einsammelte sah ich, dass mein Messer den Hasen durchbohrt hatte und im Boden steckte. Die Erde wurde vom Blut getränkt und ich sagte meinen Dank an Mutter Erde für ihr Opfer.
Ich säuberte mein Messer bevor ich mich mit meiner Beute auf dem Weg nach Hause machte. In einem leichten Trab lief ich durch den Wald. Die Vögel begrüßten mich mit ihrem lieblichen Gesang und ich antwortete ihnen mit ein paar warmen Tönen die über meine Lippen sprudelten.
Als ich bei unserer Höhle ankam war Menja nicht da. Unsere Betten waren ordentlich zusammengefaltet und sie hatte bereits einen Topf mit Beeren auf einen kleinen Tisch bereitgestellt. Der Wasserkrug fehlte, weshalb ich vermutete, dass sie an der Quelle war.
Ich legte den Hasen vorsichtig auf einen kleinen Felsen nieder und wandte mich unserer Feuerstelle zu. Sanft rieb ich meine Hände aneinander bis sie warm wurden, meine Gedanken gingen an unsere Ziehmutter und das Gefühl von Zuneigung durchströmte mich, ich blies in meine Handflächen und Funken stoben von meiner Haut in die Zweige und Stöcke in der Feuerstelle und entfachten diese.
Das Feuer knisterte laut in meinen Ohren und berauschte mich regelrecht, so wie es dies schon immer getan hatte. Das Feuer war mein Element und meine Fähigkeit, ich konnte es nach meinem Willen Formen. Gleichzeitig stand ich im immerwährenden Kampf mit dem Feuer. Es schien mich ständig zu rufen und ich musste aufpassen, dass es mich nicht ganz konsumierte. Unsere Ziehmutter, hatte das Feuer gefürchtet und Angst gehabt, dass ich es nicht kontrollieren konnte. In ihrer Gegenwart hatte ich es vermieden meine Kräfte auszuprobieren, doch nachdem sie vor knapp vier Mondwenden gestorben war, hatte ich angefangen das Feuer immer öfter auszuprobieren.
Doch nachdem ich fast einen Waldbrand verursacht hatte war ich weitaus vorsichtiger.
Ich begann den Hasen zu Häuten und ihn für unser Mahl zuzubereiten, als Menja aus dem Wald trat. Ihr glattes, schwarzes Haar umfloss ihr helles Gesicht. Ihre ernsten Augen nahmen jede meiner Bewegungen auf. Sie stellte den Krug neben dem Topf mit den Beeren ab, bevor sie sich mir gegenüber niedersetzte. „Kaninchen?“ fragte ich sie grinsend und hielt ihr ein geröstetes Stück Fleisch entgegen.
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Wolfsisters
FantasyZwei Schwestern, eine Krone, ein Kampf um Macht, Liebe und Freiheit… Als die beiden Schwestern Fenja und Menja eines Tages in ihrem geliebten Wald auf die Jäger des Königs stoßen, hätten sie sich nicht erahnen können, welche Ereignisse diese schicks...