Königin Rhiannon studierte gerade eine alte Schriftrolle über die bisherigen Sichtungen von Elementarkindern der letzten tausend Jahre, als eine ihrer persönlichen Zofen, Vilandra, die sie eigentlich mit der Betreuung der Königsmädchen beauftragt hatte, die Bibliothek zögerlich betrat.
„Meine Königin“, grüßte sie auf elfische Art und Rhiannon wandte sich zu ihr um.
„Vilandra, was kann ich für dich tun?“
„Es geht um Prinzessin Artemis, Euer Hoheit. Sie wartet vor der Bibliothek und bittet um eine Audienz“
„So lasst sie eintreten“, befahl ihr die Königin sanft und die Zofe verschwand eilig nur um kurz darauf mit der dunkelhaarigen Prinzessin wieder aufzutauchen.
„Du kannst jetzt gehen, Vilandra“, gab Rhiannon ihr zu verstehen um mit der Prinzessin ungestört sprechen zu können.
Artemis senkte ergeben den Kopf zum Gruß.
„Bitte, Prinzessin, ersparen wir uns die überflüssigen Höflichkeiten wenn wir alleine sind. Erzählt mir lieber von Eurem Anliegen. Vilandra meinte, Ihr wolltet etwas mit mir besprechen“
„Ja, Euer Hoheit“ Die Prinzessin erhob sich wieder und sah der Königin direkt in die Augen. Rhiannon musterte sie interessiert. Schon am vorherigen Tag fiel ihr die Schönheit der Schwestern ins Auge. Sogar nach den Vorstellungen der Elfen waren sie sehr hübsch, besonders für Menschen. Doch was Rhiannon am stärksten bemerkte, war die natürliche Haltung einer Königin, die aus Prinzessin Artemis sprach. Aufrecht und stolz stand sie vor ihr wie eine wahre Regentin.
„Ich kam zu Euch, um mehr über unsere Vergangenheit zu erfahren. Ihr kanntet unsere Eltern“, sagte Artemis und die Königin wehrte ab.
„‘Kennen‘ würde ich in diesem Zusammenhang nicht behaupten, ich wusste ihre Namen und kannte ihre Herkunft. Elfen und Menschen waren noch nie zwei wirklich verbundene Völker gewesen, doch mit der Regentschaft Eures Onkels droht das bisherige Verhältnis langsam doch sicher in Feindschaft umzuschlagen. Seid nicht enttäuscht, wenn meine Antworten auf Eure Fragen nicht Euren Erwartungen entsprechen“
„Gewiss nicht“, bekräftigte Artemis und Rhiannon deutete auf einen der Stühle, auf dem die Prinzessin sogleich Platz nahm, und setzte sich selbst ihr gegenüber.
„Was wollt Ihr wissen, Prinzessin Artemis?“
Artemis zuckte kurz zusammen. Eine ungewöhnliche Reaktion für das Menschenmädchen, das doch ansonsten stets so bemüht zu sein schien, keinerlei Regungen zu zeigen. Wie Serim, schoss es der Königin durch den Kopf.
„Bitte, nennt mich Menja, Euer Hoheit. Das ist der Name, den unsere Ziehmutter mir gab und er gehört inzwischen zu mir wie der Wald, in dem wir aufwuchsen“
„Ich wünschte, das könnte ich“, gab die Königin zurück. „Doch Ihr seid nun eine der Prinzessinnen von Askan, meine Liebe. Ihr ward es schon zu Anbeginn und es wird Zeit, dass Ihr Euch dem stellt. Es gibt kein Zurück mehr zu dem Waldmädchen namens Menja, Prinzessin“
„Kein Zurück…“, murmelte Artemis nachdenklich. „Dann stimmen meine Befürchtungen wohl“
„Ihr meint?“
„Nicht von Bedeutung, verzeiht“, entschuldigte Artemis sich hastig. „Ich wollte Euch eigentlich nur fragen, wie es dazu kam, dass meine Schwester und ich im Wald lebten. Wenn unsere Eltern das Königspaar waren, hätten wir nicht in Askans Palast aufwachsen müssen?“
Etwas an ihrer Miene hatte sich verändert. Die eisblauen Augen waren kalt, als sie die Frage der Königin stellte. „Wieso haben unsere Eltern uns ausgesetzt?“

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Wolfsisters
FantasíaZwei Schwestern, eine Krone, ein Kampf um Macht, Liebe und Freiheit… Als die beiden Schwestern Fenja und Menja eines Tages in ihrem geliebten Wald auf die Jäger des Königs stoßen, hätten sie sich nicht erahnen können, welche Ereignisse diese schicks...