12. Kapitel

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Menja:

Ich lauschte der gleichmäßigen Atmung meiner Schwester. Obwohl jede von uns ihre eigenen Gemächer zugewiesen bekam, schlüpfte Fenja gelegentlich nachts heimlich in meine Schlafstätte und kuschelte sich an mich. Nicht weil sie Angst hatte, sondern einfach, weil es für uns beide so schrecklich ungewohnt war, ohne die andere zu sein. Die Zeit unseres Streites war an keiner von uns spurlos vorbei gegangen, wie ich glaube. Noch nie zuvor mieden wir einander nach einer Meinungsverschiedenheit. Es hatte sich etwas verändert, etwas zwischen uns, wie ein haarfeiner Riss in der gefrorenen Oberfläche eines Sees. Noch war er klein und kaum zu sehen, aber er war da und wenn ich nicht achtsam war, würde ich, würden wir, einbrechen und in den kalten Fluten versinken.

Ihre feuerroten Locken kitzelten mein Gesicht, dennoch wandte ich mich nie ab, wenn sie erneut ihre Arme um mich schlang. Stattdessen erwiderte ich den Druck und atmete tief den Duft ihrer Haare ein, den unverwechselbaren Geruch aus einer Mischung von Tannennadeln und Sonnenschein, der zu ihr gehörte wie das funkelnde Gold ihrer Augen.

Im Schlaf waren ihre Züge völlig entspannt. Sie wirkte so unschuldig, so zerbrechlich. Wie sollte ein so zartes Geschöpf wie meine kleine geliebte Schwester die Last einer Krone tragen? Je mehr ich lernte, umso mehr verstand und fürchtete ich die Bestimmung, die das Schicksal uns beiden auferlegte. Dennoch lernte ich weiter. Tief in mir lauerte das Verlangen, Fenja von allem fernzuhalten, das ihr schaden könnte. Am liebsten würde ich sie sogar vor sich selbst schützen.

Seufzend löste ich mich aus den Armen meiner Schwester und verließ so lautlos wie möglich das Gemach. Die innere Unruhe und meine Sorgen würden mich ohnehin nicht schlafen lassen.

Der Mond stand hell und voll am Himmel, als hätte er nur auf mich gewartet, kaum dass ich unter den Schatten des Herzbaumes hervortrat. Verführerisch leuchtete er mir entgegen und weckte das Wasser in mir und um mich herum. In Nächten wie diesen spürte ich es, wie es in meinen Adern brodelte, jede Zelle meines Körpers durchtränkte und nur darauf wartete, dass ich es freiließ. Das Flüstern, das mich auf Schritt und Tritt begleitete, war heute besonders lockend. Unbewusst trugen mich meine Füße zum Rand des Teiches, in dessen Mitte strahlend schön die Phönixblüte schlief.

Langsam tauchte ich meine Zehen in das noch immer warme Wasser und seufzte vor Glück. Das Wasser in mir wurde stiller, sobald das Teichwasser meine Haut umspülte. Voller Begierde glitt ich tiefer in den Teich, bis ich kaum noch stehen konnte. Es war so weich, so lockend und warm, ich würde mich am liebsten darin auflösen und mit dem Wasser verschmelzen. Ich gab dem Gefühl nach und ließ mich einfach sinken. Fast schon zärtlich zerrte das Wasser an meinem Nachthemd, das immer schwerer wurde und mich zusätzlich nach unten zog. Es war eine Erleichterung für mich, als mein Kopf unter der Wasseroberfläche verschwand und ich mit verklärtem Blick zur selbigen hinaufsehen konnte, einem silberfunkelnden Gemälde aus Mondlicht und Wellen.

Ich sah auch mich selbst, sah meine weißen Glieder, die sich kaum vom weißen Stoff des Nachthemdes abhoben, sah mein schwarzes Haar, wie es im Wasser schwebte. Und ich fühlte. Ich fühlte so unfassbar viel, dass ich meinte, ein Sturm würde in meinem Inneren toben, obwohl mein Körper so friedlich im Wasser trieb. Jeder einzelne Stein, jedes Sandkorn und jede Alge lag in mir, ich lag nicht im Teich, ich war der Teich. Ich spürte die geschlossene Blüte in dessen Mitte, als wäre sie ein Teil von mir. Wenn ich wollte, könnte ich sie dazu zwingen, ihre Blütenblätter für mich zu entfalten, sich dem Mondlicht entgegen zu recken, statt der Sonnenstrahlen und als Blume der Nacht ihr Dasein zu fristen. Diese Energie, diese Macht fühlte sich unglaublich an, doch ich gab ihr nicht nach. Ich habe die Kontrolle über meine Kräfte, ich entschied, wann ich sie gebrauchte. Ich entschied…

Plötzlich fühlte ich etwas Fremdes, etwas Bedrohliches. Mein Geist war verwirrt, zu verwirrt, um rechtzeitig zu reagieren, als sich etwas auch schon um meine Taille schlang und mich ohne Erbarmen zurück an die Oberfläche zerrte. Erst dann erwachte ich aus meiner Trance. Ich wehrte mich und alles um mich herum tobte. Der sonst stille Teich war in Aufruhr, Wellen schlugen wild und warfen sich gegen meinen Angreifer. Ich versuchte, mich dem Griff zu entwenden und kratzte mit meinen Fingernägeln über die Haut des Armes, der mich umschlang. Eines kräftigen Armes. Von einem Augenblick auf den anderen war mein Widerstand wie weggeblasen. Ich realisierte wieder wo ich mich befand und dass niemand der Elfen mir Schaden zufügen würde und ich schämte mich für meine Gegenwehr. Vermutlich hat jemand beobachtet wie ich ins Wasser stieg und nicht wieder auftauchte, dachte ich mir.

WolfsistersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt