Delirium

292 36 58
                                    


║"Let me wake up in the cold so you don't have to"


Der letzte Mensch bist du.

Der erste und der letzte.


Der erste, der mich kannte und der letzte, der mir vergeben muss.

Der erste, der mich liebte und der letzte, der mich hasste.

Der erste, der die Wahrheit kennt und der letzte, dem ich sie erzählen muss.

Der erste, den ich verlasse und der letzte, der mich noch aufhalten kann.


Der erste Mensch bist du.

Der erste und der letzte.


***

Louis nach all den Jahren wiederzusehen war ein bittersüßer Schock. Auch er hatte sich äußerlich stark verändert, doch wie er da vor mir stand und mich prüfend musterte, war er genau der Louis, den ich vor langer Zeit zurückgelassen hatte. Seine Haare waren lang geworden und er trug jetzt einen modischen Dreitagebart, der seinem aristokratischen Kinn schmeichelte. Das Gesicht war dünn und blass, die blauen Augen hatten einen harten, unnachgiebigen Ausdruck angenommen, der Mund war eine schmale Linie.

Die stärkste Veränderung jedoch war wohl in seinem Innersten vor sich gegangen, Hand in Hand mit dem heimlichen Versprechen, mir auf Teufel komm raus nicht zu vergeben. Ich sah es in seiner Gestik und Mimik, sah wie er sich vor mir sträubte und nur mit allergrößtem Widerwillen zuließ, dass ich ihm folgte.

Er bat mich nicht herein, aber er ließ die Haustür offen stehen, was ich als stumme Einladung zur Kenntnis nahm.

Sorgenvoll stellte ich fest, dass er stark schwankte und trotzdem führte ihn sein Weg in die Küche, schnurstraks zu einer gläsernen Vitrine, in der sich Glasflasche an Glasflasche drängte. Ein furchtbarer Gedanke schälte sich aus dem Halbdunkeln der muffigen, vernachlässigten Küche, als ich ihn beobachtete. Seine Finger zitterten, er wirkte ungeduldig und agressiv, als er die Tür der Vitrine nicht sofort aufbekam. Er fluchte unter seinem Atem, seine Finger rissen an dem zerbrechlichen Möbelstück und als endlich dessen Tür aufflog, um den Inhalt zu offenbaren, da strichen seine Finger zärtlich über die Schnaps- und Vodkaflaschen, als wären sie sein teuerster Besitz. Dass er schon verdammt blau war, schien ihn entweder nicht zu interessieren, oder er merkte es gar nicht.

Gierig entkorkte er den Träger der bourbonfarbenen Flüssigkeit und stürzte gut ein Virtel der Flasche in einem Schluck hinunter. Mir wurde elend bei seinem Anblick und dass er sich meiner Anwesenheit zwar bewusst war, sie jedoch vollkommen ignorierte- fast als wolle er mir zeigen, wie sein Leben ohne mich aussah und was ich ihm angetan hatte, als ich damals ging.


Schau her, was aus mir geworden ist- los, schau es dir an!

Seine Rache schmerzte, wie ein Stachel im Herzen und machte mich gleichzeitig rasend vor Wut. Zornig entriss ich ihm die Whiskyflasche, an der er sich haltsuchend festklammerte. Als sie den Kontakt zu seinem Mund verlor, schwappten ein paar Tropfen über und besudelten meine Hände, sein T-shirt und den schmuddeligen Fußboden.

Etwas, das ihm Anlass gab, die Stimme zu erheben. „Bist du wahnsinnig?", fuhr er mich an und versuchte mit schwachen Fingern, die Flasche wieder an sich zu reißen- mit mäßigem Erfolg, was ihn nur rasender machte: „Hast du eine Ahnung, was du da eben verschüttet hast?! Das ist ein Bowmore aus dem Jahr '57."

CloverfieldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt